Corona-Pandemie: Nürnbergs Schausteller in der Krise

30.1.2021, 06:00 Uhr
Corona-Pandemie: Nürnbergs Schausteller in der Krise

© Dominique Möller-Alexandru

"Das allergrößte Problem für die Schausteller ist, dass sie komplett aus ihrem sozialen Leben rausgerissen wurden", sagt Lorenz Kalb. Der 65-Jährige ist Schausteller in fünfter Generation. Er hat den Großteil seines Lebens auf Volksfesten verbracht, kennt die Menschen dort. Sie fehlen ihm. Auch die neuen Bekanntschaften vermisst er sehr, generell das viele Herumkommen. Während er normalerweise nur sechs Wochen im Jahr zu Hause ist, ist er seit Beginn der Pandemie kaum mehr von dort weggekommen.

Ungewissheit und finanzielle Nöte

Erst nach dem sozialen Aspekt nennt Kalb zwei der wohl offensichtlichsten Probleme: Finanzielle Einbußen und Planungsunsicherheit. Viele Schausteller haben seit Dezember 2019 keine Einnahmen mehr, manche auch schon länger. Hinzu kommt, dass im Frühjahr in der Branche in der Regel hohe Investitionen getätigt werden. "Ein Schausteller ist wie ein Biber, der im Herbst und Winter die Backen vollmacht, um den Januar, Februar und März zu überstehen", erklärt Kalb. Nachdem die Backen voll sind, wird in den ersten drei Monaten des Jahres renoviert, um für Volksfestbetreiber weiterhin attraktiv zu sein. Nur so könne man sich einen Stand sichern. Umso bitterer war der Ausbruch der Pandemie kurz vor Saison-Start.

Während die zweite Corona-Welle Deutschland derzeit fest im Griff hat, müssen sich die Schausteller auf die Saison 2021 vorbereiten. Dabei denken sie auch viel über alternative Pläne nach, für den Fall, dass auch dieses Jahr keine Volksfeste stattfinden können. Auf Alternativen wurde auch schon im letzten Sommer ausgewichen, etwa mit den Nürnberger Sommertagen anstelle des Volksfests. Ein adäquater Ersatz ist das aber nicht für Kalb: "Alles, was wir machen, ist Beschäftigungstherapie, aber auf keinen Fall ein Ausgleich."

Nürnberger Sommertage brachten kaum Erleichterung

Nach der coronabedingten Absage von Volksfesten und Kirchweihen hatte der Süddeutsche Schaustellerverband zusammen mit der Stadtverwaltung im August 2020 die "Nürnberger Sommertage" organisiert. Unter der Einhaltung strenger Hygieneregeln boten Schausteller aus der Region an verschiedenen Plätzen in der Stadt ihre Attraktionen an. Die Reaktionen auf die Veranstaltung fielen gemischt aus, viele Menschen äußerten Bedenken, dass es auf dem vollen Hauptmarkt zu Ansteckungen kommen könnte. Passiert ist das im Nachhinein nicht, sogar das Gesundheitsamt habe das Hygienekonzept gelobt, sagt Kalb. Dass familiäre Volksfeste oft mit dem Oktoberfest gleichgesetzt werden und deshalb verboten wurden, ärgert ihn. Das sei von der Größenordnung und dem Klientel überhaupt nicht vergleichbar, findet er.

Finanziell hätten sich die Sommertage eher weniger rentiert, die Einnahmen fielen bei allen Beteiligten deutlich geringer als beim Volksfest aus. Die Familie Kalb hat über die Zeit sogar 8000 Euro Verlust gemacht. Dennoch bereut er nichts, erzählt der 65-jährige. Die Möglichkeit, für fünf Wochen unter Leute zu kommen und seine Mitarbeiter zu beschäftigen, sei das Geld wert gewesen. Das Schausteller-Leben hatte ihm sehr gefehlt: "Das ist wie ein Künstler, der seinen Applaus vermisst". Generell seien vor allem die Fahrgeschäfte sehr gut von den Besuchern angenommen worden, die Gastronomie-Stände hingegen weniger gut gelaufen.

Durchatmen, aber nicht Aufatmen

Durch die Zusage von staatlichen Hilfen für die Monate November und Dezember können die Schausteller nach langem Zittern zum ersten Mal wenigstens etwas durchatmen. Zumindest theoretisch. Denn während vielen das Wasser nach wie vor bis zum Hals steht, kommen die zugesagten Finanzhilfen nur sehr schleppend an. Vereinzelt hätten manche schon Teilzahlungen erhalten, doch er kenne niemanden, der schon die volle Summe ausbezahlt bekommen habe, sagt Kalb.

Für dieses Jahr wünscht er sich, dass es mit den Impfungen ein wenig schneller voran geht, damit wieder Normalität in seiner Berufsgruppe einkehren kann. Und dass auch in Bayern sogenannte Pop-Up-Freizeitparks erlaubt werden, auf denen Schausteller ihre Stände aufbauen können. Es gäbe schon ausgereifte Hygienekonzepte, damit es nicht zu Ansteckungen komme, versichert Kalb. Denn gefährden möchte er niemanden. Er sieht in den Parks eine Möglichkeit für Schausteller, das Geld zu verdienen, das sie dringend brauchen: "Den Kinderkarussell-Besitzer, der auf die Dörfer fährt und den Kindern Freude bereitet, den wird es nicht mehr geben, wenn uns nicht geholfen wird."

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