Körpermodifikationen

Cyborgs: Kann die Technik Menschen verbessern?

13.7.2021, 06:00 Uhr
Halb Mensch, halb Technik? So kommen Cyborgs zumindest in Science-Fiction-Filmen rüber. 

© imago images / Panthermedia Halb Mensch, halb Technik? So kommen Cyborgs zumindest in Science-Fiction-Filmen rüber. 

Was ist eigentlich ein Cyborg? Die meisten kennen den Begriff wahrscheinlich einfach nur Science-Fiction Filmen oder Büchern.

Enno Park: Nach der Definition ist ein Cyborg ein Mensch, in dem Technik in unterschiedlichster Form steckt. Der Name steht für „kybernetischer Organismus“ und kam zuerst 1960 in den USA auf. Die Erfinder dachen daran, den Körper eines Menschen technisch aufzurüsten und umzubauen, wie man sich das in Cyberpunk-Fantasien vorstellt, mit Ersatzteilen, einem künstlichen Arm oder einer künstlichen Lunge, damit er im Weltraum nicht mehr atmen muss. Das war ein Konzept, das 1960 natürlich jenseits jeglicher Realisierung und eher ein Gedankenspiel war.

Heute haben wir eine neue Qualität in der Debatte bekommen. Es ist nicht mehr Science Fiction oder Philosophie, wenn immer mehr Menschen konkret Technik im Körper tragen. Diese Verquickung mit technischen Systemen ist tiefgründig und geht bis in die Steinzeit zurück. Kochen ist letztendlich auch nichts anderes als die Auslagerung von Verdauungsprozessen in technische Gerätschaften.

Und warum bezeichnen Sie sich als einen Cyborg?

Park: Ich habe ein Cochlea-Implantat eingesetzt bekommen, damit ich hören kann. Ich bin medizinisch gesehen gehörlos. Das ist ein schwieriger Begriff. Menschen mit relativ viel Restgehör können gehörlos sein und Menschen mit relativ wenig Restgehör sind es nicht. Ich definiere das jetzt rein medizinisch. Ich habe ein sehr geringes Restgehör von etwa fünf Prozent. Ich hatte 20 Jahre lang sehr sehr starke Hörgeräte, mit denen ich ein Sprachverständnis von rund 25 Prozent hatte.


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Das heißt, drei Viertel von den Gesprächen, die um mich herum waren, konnte ich nicht verstehen. Seit zehn Jahren habe ich das Cochlea-Implantat. Das umgeht das kaputte Innenohr und reizt die Nervenenden des Hörnervs mit elektrischen Impulsen. So entsteht bei mir im Gehirn ein Klangeindruck. Erst klang es wie wabernder sphärischer Nebel, aber das Gehirn stellt sich nach ein paar Monaten um. Jetzt kann ich spannende Sachen damit machen. Das Implantat ist beispielsweise während dieser Videokonferenz mit Bluetooth an den Computer gekoppelt.

War dieses Implantat also der Start, sich mit Cyborgs zu beschäftigen?

Park: Technik und Technikkultur interessieren mich schon lange. Das hängt auch mit meiner Gehörlosen-Phase zusammen. In dieser Zeit war das Internet mein Lebensraum, eben weil man da schriftlich kommunizieren konnte und ich nicht ausgeschlossen war. Ich bin von Haus aus Informatiker und es war unglaublich spannend zu sehen: Was macht dieses Implantat mit mir?

Der Journalist Enno Park bekam vor zehn Jahren in Folge seiner Gehörlosigkeit ein Cochlea-Implantat eingesetzt und bezeichnet sich als Cyborg. Park studierte Wirtschaftsinformatik und war als Software-Entwickler und Unternehmensberater aktiv. Er beschäftigt sich intensiv mit Technikphilosophie und schreibt zu Fragen des Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine. 2013 gründete er den Cyborgs e.V. in Berlin.

Der Journalist Enno Park bekam vor zehn Jahren in Folge seiner Gehörlosigkeit ein Cochlea-Implantat eingesetzt und bezeichnet sich als Cyborg. Park studierte Wirtschaftsinformatik und war als Software-Entwickler und Unternehmensberater aktiv. Er beschäftigt sich intensiv mit Technikphilosophie und schreibt zu Fragen des Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine. 2013 gründete er den Cyborgs e.V. in Berlin. © Jakob Weber

Spannend ist es auch, zu sehen, wie sich das ganze Thema Behinderung verschiebt. Wenn Menschen ein Hörgerät bekommen, dann ist das eine soziale Markierung für alte Leute. Viele schämen sich dafür, weil man dann zum alten Eisen gehört. Wenn man ein Cochlea-Implantat bekommt, dann ist das nicht so. Das ist eher ein Marker für Coolness und krasse Technik.

Dieser kleine Computer in Ihrem Ohr ist programmiert. Wie einfach oder schwer ist es, so etwas zu manipulieren?

Park: Grundsätzlich geht das. Jedes Computersystem ist zu hacken, es gibt niemals eine absolute Sicherheit. Das ist wie mit dem Schloss an der Tür, es gibt teure und billige. Mit einer Panzerfaust kriegt man trotzdem jede auf. Wir haben manchmal ein schräges Konzept, was Sicherheit bedeutet. Mir sind keine Fälle bekannt, dass Cochlea-Implantate gehackt worden sind. Ich selber habe mal ansatzweise versucht, es zu tun, es aber nicht geschafft. Das überstieg meine Fähigkeiten. Die Hersteller lassen sich nicht gerne in die Karten gucken, wie die Implantate programmiert sind.

Wenn man es unbedingt will, gibt es Mittel und Wege, das Implantat zu hacken. Aber ich verfalle deswegen jetzt nicht in Panik, weil ich glaube, dass kein größeres Interesse daran besteht, es zu tun. Es gibt so viele effektivere Möglichkeiten, kriminell zu sein und Menschen Schaden zuzufügen.


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Ich würde allerdings gerne die Programme des Implantats anpassen und selber programmieren können, um zu bestimmen, wie meine Welt klingt. Das bleibt mir bislang verwehrt. Ich bin der Meinung, da dieser Computer in meinem Körper ist und an meinem Hörnerv angeschlossen ist, sollte ich das können dürfen. Unterm Strich glaube ich, dass die Systeme sicherer werden, wenn der Quellcode offen liegen würde.

Dieses Implantat hat Ihnen ein riesiges Stück Lebensqualität wieder zurückgebracht. Was gibt es noch für Beispiele, wie Menschen mit verschiedenen Behinderungen in Zukunft geholfen werden könnte, wenn man einfach die Technik nutzt?

Park: Es ist eine unglaublich interessante Gleichzeitigkeit zwischen Erweiterung und Behinderung. Ein Beispiel dafür ist eine myoelektrische Prothese, wenn man keine Hand mehr hat. Im Armstumpf befindet sich meist noch Rest-Muskulatur und somit elektrische Aktivität. Die wird gemessen und von einem Computer in Bewegungskommandos umgesetzt, die dann die Prothese bewegen lassen. Das ist immer noch ziemlich starr, die Agilität ist weit davon entfernt, Klavier spielen zu können. Schuhe binden geht aber, wenn man weiß wie. Diese Prothesen lassen sich um 360 Grad drehen. Die Technik ersetzt nicht das natürliche Organ, so wie es ist, sondern bestimmte Eigenschaften unperfekt und bestimmte andere Eigenschaften überperfekt.

Technik kann also alles reparieren?

Park: Nein. Es gibt auch Menschen, die mit einem Cochlea-Implantat nicht klarkommen. Die Vorstellung, Menschen reparieren zu können, ist falsch. Interessant ist aber, dass mittlerweile komplizierte Dinge gehen, wie per Hirnimplantat Informationen auszulesen, die in Bewegungsdaten umgesetzt werden können. Das kann vollständig gelähmten Menschen helfen. Auf der anderen Seite ist es noch nicht gelungen, ein Kunstherz zu bauen. Das ist offenbar zu schwer.

Wie viel Technik steckt noch in Ihnen?

Park: Ich habe ein sogenanntes NFC-Implantat in der Hautfalte meiner linken Hand. Der Chip ist so groß wie ein Reiskorn und wird mit einer Spritze unter die Haut gesetzt. Ich habe darauf eine digitale Visitenkarte abgespeichert. Wenn man ein Smartphone auf meine Hand legt, ploppt eine Meldung auf, mit der Frage, ob man den Kontakt im Adressbuch speichern möchte. Ich habe damit auch eine Zeit lang mein Handy entsperrt.

Braucht es sowas wirklich?

Park: Theoretisch finde ich das interessant und praktisch. In Stockholm gibt es durchaus schon Orte, an denen man mit einem implantierten Chip einen Kaffee bezahlen kann.

Und wie sieht es mit der Sicherheit von NFC-Implantaten aus?

Park: Solche Chips werden seit Jahrzehnten in Tieren verwendet, gesundheitliche Probleme sind da nicht bekannt. Unter Datenschutz-Gesichtspunkten wird davor immer gewarnt, doch das entspricht nicht dem Stand der Technik. Man kann nicht überwacht und getracked werden, zumindest nicht in einer Form, in der es nicht sowieso ginge.

Die Chips haben zudem keine eigene Energieversorgung. Das heißt, in 99 Prozent der Zeit sind sie tot, sie bekommen ihre Energie per Induktion von außen. Der Chip protokolliert oder misst also in der restlichen Zeit gar nichts. Er schaltet sich erst an, wenn er ausgelesen wird. Eigentlich ist es ziemlich langweilige Technik, die aber Spaß machen kann.

Glauben Sie, dass das irgendwann salonfähig wird, sich Chips implantieren zu lassen?

Park: Diese Technik hat auf jeden Fall das Potential dazu. Ich glaube, dass die Bereitschaft, sich einen solchen Chip einpflanzen zu lassen, ziemlich hoch ist. Ich vergleiche das mit Piercings. Das Ganze bekommt gerade durch diese ganzen Verschwörungs-Mythen einen ganz schönen Dämpfer durch die Behauptung, dass wir mit der Corona-Impfung alle heimlich gechippt werden würden

Was für ein unglaublicher Unsinn, durch die dünne Spritze bekommt man gar keinen Chip. Ich könnte mir vorstellen, dass - wenn bis zu einem gewissen Grad die Infrastruktur vorhanden ist - sich implantierte NFC-Chips durchaus verbreiten könnten. Aber bislang ist es den Menschen noch nicht unpraktisch genug, mit Bargeld, Karte oder dem Telefon zu zahlen.

Was möchten Sie noch unter die Haut bekommen?

Park: Das interessanteste Gadget momentan ist, sich einen Magneten in die Fingerkuppe einsetzen zu lassen, weil man damit elektromagnetische Felder spüren kann. Ich habe aber Angst davor, dass der Magnet kaputt gehen könnte, und die enthaltenden Schwermetalle ins Körpergewebe gelangen.

Ich hätte gerne eine Backup-Lösung. Ich würde gerne alle wichtigen Dokumente verschlüsselt in meinem Körper speichern, um sie im Zweifel immer parat zu haben. Dazu reicht die Speicherkapazität der Chips aber noch nicht aus. Da können wir in zehn Jahren nochmal darüber reden.


VERANSTALTUNGSINFO: Enno Park ist am 07. Juli um 19 Uhr zu Gast bei "überMorgen" - Der Zukunftsplausch" des Deutschen Museums Nürnbergs mit dem Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Thema des Abends ist "Die Zukunft des Menschen - Cyborgs & Co.".

In der Gesprächsreihe sprechen führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FAU über Themen wie künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit, Müllvermeidung oder die Zukunft der Medizin. Weitere Termine sind der 23. September zum Thema "Die Zukunft der Medizin" sowie der 17. November zur "Zukunft der Nachhaltigkeit".

Alle Veranstaltungen laufen über die Videokonferenzplattform Zoom. Klicken Sie hier für den Teilnahmelink.

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