Mit Künstlicher Intelligenz: Erlanger Forscher wollen Diagnostik revolutionieren

1.6.2021, 06:00 Uhr
Die 32-Jährige Markéta Kubánková will mit ihrem Team vom Max-Planck-Zentrum in Erlangen eines erreichen: Durch Künstliche Intelligenz die Diagnostik revolutionieren.

© Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts Die 32-Jährige Markéta Kubánková will mit ihrem Team vom Max-Planck-Zentrum in Erlangen eines erreichen: Durch Künstliche Intelligenz die Diagnostik revolutionieren.

Jeder Patient, jede Patientin kennt das Prozedere beim Arzt. Bei gesundheitlichen Beschwerden wird erst einmal Blutdruck und Körpertemperatur gemessen. Eine einfache Methode, jedoch oft zu unspezifisch, um eine Krankheit sicher diagnostizieren zu können. In vielen Fällen wird dann dem Patienten Blut abgenommen und zur Analyse ins Labor geschickt. Diese Ergebnisse sind zwar aussagekräftiger aber dauern eben auch länger und sind teurer.

Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin (MPZPM) in Erlangen arbeiten derzeit an einem Verfahren, das die Diagnostik revolutionieren und die Vorgänge beim Arzt wesentlich beschleunigten könnte. Ihr Ziel: Statt Blutproben aufwändig im Labor zu untersuchen, soll sie jede Arztpraxis künftig mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI)-gestützten Verfahren schnell und zuverlässig analysieren können.


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Bei der sogenannten RAPID-Methode wird eine Blutprobe durch eine trichterförmige Verengung in den schmalen transparenten Kanal, der 20 Mikrometer breit und hoch und 300 Mikrometer lang ist, geschleust. Zum Vergleich: Das entspricht dem Durchmesser eines einzigen dünnen menschlichen Haares. In dem Kanal werden die Zellen dann beschleunigt, verformt und wieder hinausgespült. Dieser Prozess wird mit einer Highspeed-Kameras erfasst, die etwa 2000 bis 4000 Fotos pro Sekunde aufnimmt. Die Künstliche Intelligenz (KI) sucht anhand dieser Bilder nach Merkmalen, die Anzeichen für bestimmte Krankheiten sind und liefert im Anschluss einen spezifischen Diagnosevorschlag.

Zig kleine Selfies der Blutzellen: Mit Hilfe der RAPID-Methode sollen künftig Krankheiten schon beim Hausarzt diagnostiziert werden können.

Zig kleine Selfies der Blutzellen: Mit Hilfe der RAPID-Methode sollen künftig Krankheiten schon beim Hausarzt diagnostiziert werden können. © VNP

"Die neue Methode ist wirklich bahnbrechend. Mit ihr erhalten wir viele Informationen und Bilder der Blutzellen in kürzester Zeit. Wir können schneller als je zuvor sehen, welche Formen und Texturen die Zellen haben und auf welche Krankheiten sie hinweisen", sagt Markéta Kubánková, Leiterin des RAPID-Projekts.

Die 32-Jährige Tschechin arbeitet seit zweieinhalb Jahren am Max-Planck-Institut in Erlangen, zuvor promovierte sie am renommierten Imperial College in London mit Schwerpunkt Biophysik der Zellen. Über den ersten Versuch der RAPID-Methode sagt sie: "Das war ein wirklich cooler und faszinierender Moment, als ich das Gerät zum ersten Mal nahm und einen Tropfen meines Blutes darauf gab. Ein paar Minuten später sah ich auf dem Bildschirm meine eigenen Blutzellen, die durch das Gerät liefen. Wie Selfies von meinem eigenen Blut", erzählt sie begeistert.

Im Moment, so Kubánková, dauert das Verfahren noch gute zehn Minuten. "Wir arbeiten daran, es zu automatisieren und noch schneller zu machen", so die Forscherin. Sie rechnet damit, dass Ergebnisse in Zukunft bereits nach zwei Minuten vorliegen können.

Das interdisziplinäre Team rund um Kubánková und Professor Jochen Guck, Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, wurde jüngst mit dem Medical-Valley-Awards des Bayerischen Wirtschaftsministeriums ausgezeichnet. Um die innovative Technik zur Marktreife bringen zu können, stellt das Ministerium 250.000 Euro zur Verfügung.

Bis die Methode wirklich in den Arztpraxen zum Einsatz kommen wird, steht jedoch noch einiges an Arbeit an: Zuerst muss das Team Algorithmen entwickeln. "Als Mensch ist es ziemlich schwierig, die ganzen gesammelten Daten zu analysieren. Stellen Sie sich vor: In ein paar Minuten haben Sie Tausende von Bildern aus ihrem Blut. Jede Zelle sieht dabei ein bisschen anders aus, wie soll der Mensch da schnell erkennen, um welche Krankheit es sich handelt? Wir brauchen also eine KI-gestützte Methode, um nach Mustern zu suchen, nach etwas, das sich verändert, weil die Person krank ist", erklärt die Forscherin.

In den kommenden zwei Jahren wird das Team aus Wissenschaftlern und Medizinern die RAPID-Methode in den klinischen Alltag des Universitätsklinikums Erlangen integrieren. Parallel zu den herkömmlichen Diagnoseverfahren werden sie Patientenproben mit der neuartigen Technik untersuchen, um eine riesige Datenbank aufzubauen, mit der die Künstliche Intelligenz trainiert werden kann.

Rund 10.000 Proben sollen von Patienten mit verschiedenen Erkrankungen gesammelt werden. "Ziel ist es, am Ende mit unserer Methode Krankheiten mit einem spezifischen Fingerabdruck sicher identifizieren zu können", so Kubánková. Am Ende der Projektlaufzeit soll die Gründung eines Start-ups stehen, damit das neuartige Diagnosewerkzeug schon bald zum klinischen Standardverfahren wird. Und wenn ihnen dann gelingt, wäre es tatsächlich eine Revolution in der Diagnostik.

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