Dieser Krankenpfleger hilft Obdachlosen in Nürnberg

22.2.2021, 05:58 Uhr
Dieser Krankenpfleger hilft Obdachlosen in Nürnberg

© Roland Fengler/NNZ

Patrick Phillips steigt vorsichtig einen rutschigen, schmalen Pfad im Gebüsch an der Theodor-Heuss-Brücke hinunter. Mit seinem Erste-Hilfe-Rucksack muss er aufpassen, dass er auf dem glitschigen Untergrund nicht stürzt. Die Lokalredaktion hat den 33-jährigen Krankenpfleger von der Straßenambulanz der Nürnberger Caritas auf seiner Tour zu den Wohnsitzlosen begleitet.

Wärmende Feuerschale

Auf der "Platte" unter der Brücke hausen derzeit vier Wohnsitzlose. Berni und Robbi haben es sich fast gemütlich eingerichtet: Sie sitzen an einer wärmenden Feuerschale. Mit Möbeln, Kleiderständern und provisorischen Wänden aus Matratzen sowie Lattenrosten haben sie sich einen wohnlichen Platz im Freien geschaffen, auch wenn drumherum viel Gerümpel steht.

Dieser Krankenpfleger hilft Obdachlosen in Nürnberg

© Roland Fengler

Der 65-jährige Berni hackt gerade Holz, das ihm die Drogenhilfe Mudra vorbeigebracht hat. Um den Hackklotz liegen viele Zweige und Holzreste herum, in seinem "Wohnzimmer" herrscht dagegen Ordnung - da legt er großen Wert darauf: Lebensmittel stehen fein säuberlich nebeneinander im Vorratsschrank.

Wasserflaschen wegen Kälte zerplatzt

Als es kürzlich zweistellige Minusgrade gab, waren die Eier dort festgefroren, die Wasserflaschen zerplatzt. Aber Berni und Robbi haben im Freien durchgehalten: "Ich habe schon viel härtere Nächte erlebt, bei Minus 30 Grad in Rumänien", erzählt der 65-Jährige. Mit Decken und Schlafsäcken habe man die Kältephase jetzt gut überstanden.


Blick in Nürnbergs Obdachlosen-Szene


Während des Dauerfrosts hatten Sozialarbeiter verschiedener Organisationen wie der Wärmestube oder der Drogenhilfe Mudra und städtische Streetworker jeden Abend nach den Wohnsitzlosen geschaut. Man spricht sich untereinander ab, damit nicht ständig Helfer an den verschiedenen Plätzen auftauchen. Niemand muss in bitterer Kälte draußen schlafen, es gibt genügend Heimplätze.

Gutes Gespür für Menschen

"Wir machen nur Angebote und informieren über unsere Hilfen", sagt Patrick Phillips von der Straßenambulanz, "ob sie sie dann annehmen, ist ihre Sache. Sie sind schließlich Erwachsene, die über ihr Leben entscheiden."

Man brauche ein gutes Gespür für die Menschen, um sie nicht in die Hilfsbedürftigen-Rolle zu drängen. Manche Wohnsitzlose wollen das nämlich absolut nicht, sagt der Caritas-Mitarbeiter, sie fühlen sich von zu großer Hilfsbereitschaft erdrückt. Dann ziehen sie sich zurück und wehren ab. Mit seiner offenen, freundlichen Art trifft der Krankenpfleger den richtigen Ton.

Normalerweise verlässt er die Gibitzenhofer Straßenambulanz "Franz von Assisi" einmal pro Woche, um Wohnsitzlose vor Ort zu versorgen. Manchmal muss er offene Wunden verbinden, Schmerztabletten ausgeben oder auch Blutzucker messen.


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Blutdruckmessen unter der Brücke

Heute prüft er bei dem dritten Obdachlosen unter der Brücke den Blutdruck: "Nenn mich einfach Keule", sagt er, als er nach seinem Namen gefragt wird. Bei ihm ist alles in Ordnung. Phillips bietet ihm einen dicken Schafsack an, den er gleichzeitig als Jacke mit abnehmbaren Fußsack tragen kann.

"Keule" schlupft hinein: "Passt gut, ist warm. Den nehm ich gern." Unter der Theodor-Heuss-Brücke ist es recht zugig, da kann man einen Windstopper gut brauchen. Außerdem ist der Schlafsack gut imprägniert. Seit die Temperaturen steigen, tropft es von der Betondecke über ihnen herunter und es wird an manchen Stellen klamm und feucht.

Der 31-jährige "Keule" lebt seit einem Jahr auf der Platte. Er ist froh, dass die Stadt ihm das Plätzchen unter der Brücke lässt. Nachbar Robbi freut sich ebenfalls drüber, denn der Standort ist etwas versteckt und dadurch geschützt.

Arbeitslos durch Lockdown

Der 43-Jährige hat früher als Verpacker für Übersee-Umzüge der amerikanischen Streitkräfte gearbeitet. Doch im Lockdown ist es mit der Firma bergab gegangen - und er selbst wurde arbeitslos, erzählt er. "Früher habe ich den Obdachlosen was zu essen gebracht, jetzt wohne ich selbst hier."

Dieser Krankenpfleger hilft Obdachlosen in Nürnberg

© Roland Fengler/NNZ

Krankenpfleger Phillips gibt ihm einen Info-Flyer zum Angebot der Straßenambulanz: Hier kann der Wohnsitzlose sich ärztlich untersuchen lassen, wenn ihm etwas fehlt, auch falls er keine Krankenversicherung mehr haben sollte. Essen gibt es ebenso wie in der Wärmestube, wo man auch Wäsche waschen und duschen kann.

Informieren über Hilfen

Für den gebürtigen Nürnberger ist der wöchentliche Außentermin wichtig: Nicht jeder Obdachlose ist schließlich über die Unterstützung informiert, die Hilfsorganisationen und Stadt bieten. Auf seiner Tour von der Theodor-Heuss-Brücke zum Plärrer lernt er auch neue Gesichter kennen. Zwar sind ihm gut zwei Dutzend Obdachlose bekannt, die selbst bei kältesten Temperaturen im Freien bleiben. Doch es kommen immer wieder einmal neue dazu, andere verschwinden.

Phillips hat neun Jahre auf der Intensivstation im städtischen Klinikum gearbeitet, der Tagesablauf war klar strukturiert und genau getaktet. "Ich wollte irgendwann etwas komplett anderes machen", erzählt er, "hier läuft nichts nach Standards. Unsere Klienten lehnen Standards ab, sie wollen nicht in bestimmte Raster passen."

Kontaktfreudigkeit ist wichtig

Daher muss auch die 33-jährige Pflegekraft flexibel sein. Fast die wichtigste Voraussetzung für Phillips' Job ist neben seiner fachlichen Kompetenz ist Kontaktfreudigkeit. "Man darf keine Angst davor haben, unbekannte Leute anzusprechen." Und man dürfe nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Bei Klienten mit Drogenproblemen würde er das Gespräch nicht gleich zu Beginn darauf lenken. Erst muss das Vertrauen wachsen.

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