Hilfe für die Ärmsten: Straßenambulanz versorgt Bedürftige

15.12.2015, 09:21 Uhr
Hilfe für die Ärmsten: Straßenambulanz versorgt Bedürftige

© Fotos: Matejka

Der schwere Metalldeckel einer Mülltonne knallte Thomas G. auf den Handrücken und bescherte ihm eine tiefe Schnittwunde. Mittlerweile ist die Verletzung fast verheilt, aber einmal muss der Verband noch gewechselt werden. Vor allem, um zu verhindern, dass die verkrustete Wunde wieder aufreißt. Sicher ist sicher.

Nicht ganz so gut steht es um die Verletzung auf der Stirn. Der Grind ist versteckt unter seinen blondierten, strähnig-ungekämmten Haaren. Eine Verletzung, so unscheinbar, dass man den rot-bräunlichen Fleck auch für ein bisschen Dreck halten könnte – zumindest mit einem ungeübten Blick. Sebastian Balling erkennt die Entzündung unter der Oberfläche sofort. Thomas G. lacht und erzählt, da habe ihn ein Baum angegriffen.

Balling lächelt zurück und streift frische Gummihandschuhe über. Mit einer langen Pinzette zupft er an der verkrusteten Mischung aus abgestorbener Haut, getrocknetem Blut und Dreck. Thomas G. zuckt nicht einmal. „Ich kenne das schon“, sagt er und grinst. Ihm fehlen ein paar Zähne.

Häufige Infektionen

„Aufgrund von Mangelernährung, aber auch wegen mangelnder Hygiene, bilden sich häufig solche Infektionen“, sagt Balling. Mit einem Wattebausch, getränkt in Desinfektionsmittel, tupft er Blut, Eiter und Wasser ab.

Das Behandlungszimmer im ehemaligen Kloster St. Ludwig in der Südstadt wirkt steriler, als es ist. Aber natürlich wird nach jedem Patienten die Liege gereinigt und alles desinfiziert. Alles andere als steril ist indes die Atmosphäre und das Verständnis. Seit zehn Jahren arbeitet Balling hier. Er versorgt Patienten – oder Klienten, wie er sie nennt. Klienten, die auf der Straße leben, die keine Krankenversicherung haben und die durch das Gesundheitsnetz gefallen sind.

Hilfe für die Ärmsten: Straßenambulanz versorgt Bedürftige

Thomas G. kennt er schon lange. So wie viele andere. Als Krankenpfleger kann er die meisten Leiden selbst versorgen. Für schwierige Fälle sitzt zwei Zimmer weiter ein Arzt. Gerade hat die Grippe Hochkonjunktur. „Ansonsten kommen die meisten Patienten mit Hautkrankheiten wie Pilzen oder Ekzemen. Auch direkte oder indirekte Folgen des Drogenkonsums kommen häufig vor“, sagt er. Abszesse von dreckigen Spritzen zum Beispiel.

Hohe psychische Belastung

Ob er diesen Job gern macht? „Gern ist das falsche Wort“, sagt Balling. Ihm wäre es lieber, es bräuchte ihn und die Einrichtung gar nicht. Das aber ist utopisch. Und so spricht die Tatsache, dass er schon seit zehn Jahren dabei ist, Menschen zu verarzten, weil das notwendig ist, dafür, dass er es auch gerne tut. Den Weg zur Arbeit legt er gerne mit dem Rad zurück – es ist sein Tor zwischen dem, was er in der Straßenambulanz sieht und seinem Zuhause, in dem er glücklich mit seiner Familie lebt. Auf den paar Kilometern kann er vieles verarbeiten und vergessen. „Wenn man nicht belastbar ist, kann man in der Pflege generell nicht arbeiten, egal in welchem Bereich.

Hier ist die psychische Belastung aber noch einmal etwas höher.“ Aber seit er in der Straßenambulanz tätig ist, erlebte Balling auch einige Erfolge: Wenn ein Heroinabhängiger endlich in die Substitution geht, wenn eine Frau ihr Kind wieder selbst versorgen kann, wenn Thomas G. vielleicht irgendwann mit dem Trinken aufhört. Es gibt Tage, an denen müssen die Mitarbeiter der Straßenambulanz Patienten bitten, später noch einmal vorbeizuschauen, weil das Wartezimmer voll ist. Im Durchschnitt kommen an einem Vormittag rund 25 Patienten. Heute kann Sebastian Balling nach Thomas G. kurz durchatmen, ehe der Nächste hereinkommt.

Dusche und Kleiderkammer

Thomas G. ist derweil auf dem Weg in die Dusche. Es ist für ihn eine der wenigen Möglichkeiten, sich kostenlos zu waschen in Nürnberg. Wie viel die Dusche bringt, ist – zumindest rein kosmetisch gesehen – fraglich. Thomas G.s Sachen sind nass, matschig und müffeln ein wenig. Er könnte neue Kleidung aus der hauseigenen, von ehrenamtlichen Helfern betriebenen Kleiderkammer bekommen, doch die möchte er nicht.

In seiner abgegriffenen schwarzen Lederjacke mit dem kaputten Reißverschluss und der Camouflagehose, deren Muster man nur noch schwer erkennt, fühlt er sich einfach wohler. „Wir zwingen hier niemanden zu irgendwas. Wir können nur anbieten. Das fängt bei frischen Klamotten an und hört bei der Drogenberatung auf“, sagt Balling. Aber zumindest einen neuen, schneeweißen Verband legt der Krankenpfleger Thomas G. nach der Dusche noch an.

Jeder Zweite ist nicht versichert

1616 Menschen hatten im vergangenen Jahr in der Straßenambulanz Hilfe gesucht; etwa jeder Zweite ist nicht krankenversichert. „Wir freuen uns, wenn wir helfen können, unabhängig von den Zahlen“, sagt Leiter Roland Stubenvoll. Besonders betrüblich: Unter den Patienten sind viele Kinder. Neben medizinischer Hilfe bietet die Caritas in der Straßburger Straße 14 außerdem einen Treff mit kostenlosen, von gespendeten Lebensmitteln gekochten Mahlzeiten an. Letztes Jahr wurden dort 42 840 Portionen ausgegeben. Ein Stockwerk tiefer ist die Kleiderkammer, die von ehrenamtlichen Helfern betreut wird.

Die Angebote der Caritas-Straßenambulanz kann jeder nutzen. „Wir verlassen uns einfach darauf, dass der offene Zugang zu den Hilfsangeboten nicht ausgenutzt wird“, sagt Stubenvoll.


Zur Unterstützung von Obdachlosen und Menschen ohne Sozial- und Krankenversicherung bittet die Weihnachtsaktion auch in diesem Jahr um Spenden für die Straßenambulanz. Die Spendenkonten:

DE 63 7605 0101 0001 1011 11

Sparkasse Fürth: DE 96 7625 0000 0000 2777 72

Sparkasse Erlangen: DE 28 7635 0000 0000 0639 99

Postbank Nürnberg: DE 83 7601 0085 0400 0948 54

Für Spendenbescheinigungen bitte vollständige Adresse angeben, für zweckgebundene Spenden die Fallnummer. Alle Informationen und Fälle im Internet unter www.nordbayern.de

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