Ex-Juror gibt Tipps: So wird Nürnberg Kulturhauptstadt

19.9.2017, 05:58 Uhr
2015 bewirbt sich Nürnberg als europäische Kulturhauptstadt. Ex-Juror Gottfried Wagner berät die Stadt und gibt Tipps für die Bewerbung.

© Viola Bernlocher 2015 bewirbt sich Nürnberg als europäische Kulturhauptstadt. Ex-Juror Gottfried Wagner berät die Stadt und gibt Tipps für die Bewerbung.

Ob die Veranstaltung Mut gemacht hat? Sie hat eher Zweifel hinterlassen. Gottfried Wagner lobte das hervorragende Verwaltungshandeln in der Stadt. Zugleich sah er darin eine große Gefahr. Denn da würden neue Projekte leicht von eingespielten Gremien auf ausgefahrene Schienen gesetzt. Er hingegen fordert eine "beißende Kernidee" als Grundlage der Bewerbung. Eine Idee, die von ästhetischer Originalität getragen sein muss. Dazu Realismus in der Einschätzung von den Stärken und Schwächen der Kulturpolitik.

Kulturell viel zu bieten – aber niemand weiß davon

In der auf Wagners Thesen folgenden Diskussion mit Kulturreferentin Julia Lehner und Philip Zerweck von der Bürgerinitiative NUE2025 (moderiert von BR-Redakteur Tom Viewegh) wurde vor allem das bekannte Ungenügen als Schwäche formuliert: Nürnberg hat so ein großes und vielfältiges kulturelles Angebot – und keiner weiß davon! Das kann ein Kommunikationsproblem sein. Das kann aber auch daran liegen, dass dem Angebot überregionale Exzellenz fehlt.

Gottfried Wagner forderte aber Exzellenz ein. Beratungs-Exzellenz von außen, damit man nicht in Selbstgenügsamkeit erstickt. Künstlerische Exzellenz bei den Bewerbungs-Projekten, um die Jury zu verblüffen und neugierig zu machen. Er sieht Exzellenz in der Stadt durchaus vorhanden: die hervorragende soziokulturelle Infrastruktur (da fiel unvermeidlich wieder einmal der Name des Ex-Kulturreferenten Hermann Glaser). Aber auch das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände mit seinem architektonischen Mut, sich der Vergangenheit zu stellen.

Es geht um die Idee Europas

Mit der Soziokultur und dem Doku-Zentrum ragen kulturpolitische Entscheidungen der Vergangenheit in die Gegenwart. Aber wie steht es derzeit mit kulturellen Aktivitäten? Wagner machte darauf aufmerksam, dass ohnehin angestoßene Infrastruktur-Vorhaben wie der neue Konzertsaal oder die Sanierung des Opernhauses bei der Kulturhauptstadt-Bewerbung keine entscheidende Rolle spielen dürften. Er sah jedoch Chancen darin, die heikle Vorstellung von Nürnberg als besonders deutscher Stadt (das ist nun mal eine verbreitete Außensicht) offensiv aufzugreifen und die historische Perspektive einer Zeitreise mit dem Beitrag der Stadt zur Neudefinition Europas zu verknüpfen. Schließlich geht es nicht nur darum, was der Titel der Kulturhauptstadt für die Ausrichterin bringt, sondern auch darum, wie die Ausrichterin die Idee Europas bearbeitet.

Ob das bei Nürnbergs Bürgern angekommen ist? Philip Zerweck berichtete, dass der Newsletter der seit rund 18 Monate alten Initiative NUE2025 bisher rund 300 Interessenten gefunden hat. Das ist kein Signal für das Engagement irgendeiner Mehrheit. Das ist eher Menetekel für die träge Haltung: "Brauchen wir das wirklich?" Die korrespondiert mit Zerwecks Beobachtung, dass man weder an der Basis der Parteien noch im Stadtrat über die Kulturhauptstadt bisher intensiv diskutiert.

Nürnberg könnte sich selbst im Weg stehen

Vollends zur Kollision kam Gottfried Wagners Forderung nach künstlerischem Mut mit Julia Lehners Eingeständnis, eine Aktion wie Olaf Metzels Einrüstung des Schönen Brunnens würde sie sich gar nicht mehr trauen. Wie will man die Hauptstadt-Juroren dann mit Innovationen überzeugen? Es könnte sein, dass weder Dresden noch Kassel zum schärfsten Konkurrenten bei der Bewerbung wird. Die Nürnberger könnten sich selbst wieder einmal im Wege stehen.

Vielleicht deutet eine Anmerkung von Philip Zerweck einen Ausweg an. Er sprach nicht nur von Kultur, sondern von der Kreativwirtschaft mit Puma, Adidas, der Medizintechnologie von Siemens. Wenn es gelänge, Sport, Mode, Medizin und Hochkultur aus ihrem Konkurrenzverhältnis zu lösen und unter einer übergreifenden sozioästhetischen Idee zu vereinen, könnte Nürnberg die Jury für den Hauptstadttitel womöglich überzeugen.

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