Freude für alle - Fall 26: Wegen Corona ist in der Straßenambulanz viel los

14.12.2020, 09:19 Uhr
Schnelle Hilfe: Krankenpfleger Sebastian Balling kümmert sich um einen Patienten.

© Roland Fengler, NNZ Schnelle Hilfe: Krankenpfleger Sebastian Balling kümmert sich um einen Patienten.

Jurij M. (Name geändert) ist glücklicherweise rechtzeitig gekommen. Zwar haben sich die kleinen Wunden auf Unterschenkeln und Knien des 42-Jährigen schon entzündet, doch noch geht es nur um ein paar Stellen, die Krankenpfleger Sebastian Balling problemlos versorgen kann. Nach der Behandlung bekommt M. noch einen neuen Schlafsack mit - und ist wieder ein bisschen besser gewappnet gegen die Kälte auf der Straße, die der obdachlose Pole derzeit allerdings gegen ein Bett in einer Notschlafstelle eintauscht.

Zögern wegen Corona hat "fatale Folgen"

M. ist einer von rund 1200 Menschen, die in diesem Jahr in der Straßenambulanz medizinische Hilfe gesucht haben. Die Zahl sei ähnlich hoch wie im Vorjahr, sagt Einrichtungsleiter RolandStubenvoll. "Doch leider kommen die Menschen derzeit oft viel zu spät zu uns." Was niedergelassene Ärzte und Krankenhausmediziner berichten, stellen auch die Mitarbeiter der Einrichtung an der Ludwigskirche fest: Aus Angst, sich mit dem Corona-Virus anzustecken, zögern viele Kranke medizinische Behandlungen so lange wie möglich hinaus.

In einem umgerüsteten Bauwagen machen die Mitarbeiter der Straßenambulanz auch Corona-Schnelltests.

In einem umgerüsteten Bauwagen machen die Mitarbeiter der Straßenambulanz auch Corona-Schnelltests. © Roland Fengler, NNZ

Mit zum Teil fatalen Folgen: Neulich erst habe das Team einem Patienten die Kleider direkt vom Leib schneiden müssen, erzählt Stubenvoll. Wunden, ähnlich denen, die Jurij M. quälen, hatten sich über den ganzen Körper ausgebreitet und waren regelrecht mit Hemd und Hose verwachsen.

Dabei tun die Mitarbeiter alles, um sich und ihre Patienten vor einer Ansteckung zu schützen. Einfach so kommt niemand mehr in das sonst so offene Haus in der Straßburger Straße hinein. Vor der Tür nimmt der Mitarbeiter eines Security-Dienstes die Hilfesuchenden in Empfang, denn mehr als zwei Patienten dürfen nicht gleichzeitig ins Wartezimmer.

Der Tagestreff ist derzeit geschlossen. Doch die Mitarbeiter verteilen Lebensmittelspenden an die Besucher.

Der Tagestreff ist derzeit geschlossen. Doch die Mitarbeiter verteilen Lebensmittelspenden an die Besucher. © Roland Fengler, NNZ

Rote Aufkleber im Treppenhaus markieren weitere Warteplätze, oft aber müssen die Menschen draußen vor der Tür ausharren, bis sie an der Reihe sind. "Morgens stehen häufig rund 50 Leute vor der Tür", sagt Stubenvoll.

Viele kommen wegen Lebensmitteln

Nicht alle warten auf medizinische Hilfe, viele kommen auch wegen der kostenlosen Lebensmittel, die hier verteilt werden. Im Flur stapeln sich auch heute die Kisten mit Bananen, Christstollen und Brot, eine Spende von Supermärkten und Bäckereien. Auf Wunsch gibt es ein warmes Mittagessen dazu - allerdings nicht, wie früher, im gemütlichen Tagestreff, wo sich die Besucher sonst über Stunden aufwärmen können, sondern nur in der Einwegpackung "to go".

Die traditionelle Weihnachtsfeier fällt ebenso aus wie ein kleiner Weihnachtsmarkt, den die Mitarbeiter bis vor kurzem noch als Ersatz geplant hatten. Doch mit Blick auf die Pandemie wurde auch dieses Projekt gestoppt. Einziger Ersatz ist ein festlich geschmückter Tannenbaum im Flur vor der Essenausgabe. Doch ein täglicher Zufluchtsort für die, die auf der Straße leben, kann die Einrichtung in diesem Winter nicht sein.

Neu: spezielle Quarantäne-Bereiche

Wenigstens dürften die Obdachlosen auch tagsüber in den Notschlafstellen bleiben, sagt Stubenvoll. Auch spezielle Quarantäne-Bereiche wurden dort geschaffen. In der Straßenambulanz können sich die Patienten auf eine eventuelle Corona-Infektion testen lassen. Stubenvoll hat eigens einen Bauwagen angeschafft und zur Teststation umfunktioniert - so müssen Patienten mit Symptomen das Haus erst gar nicht betreten. Doch das alles geht ins Geld. "Wir haben enorm aufrüsten müssen", sagt der 54-Jährige.


Hier finden Sie alle Fälle von Freude für alle


Die Ausgaben für Schutzkleidung, Desinfektionsmittel und Masken belasten das ohnehin knappe Budget - auch in "normalen" Jahren ist die Straßenambulanz auf Spenden angewiesen. Manches sei knapp und deshalb extrem teuer geworden, sagt Stubenvoll. "Der Preis für Einmalhandschuhe hat sich verdreifacht, und wenn wir zehn oder 20 Packungen bestellen, kommen nur drei." Zudem erschweren Masken und Schutzausrüstung die Arbeit der Helfer. "Die Patienten verstehen uns noch schlechter als sonst", sagt Stubenvoll.

Doch auch, wenn es anstrengend ist: Die notwendige Unterstützung soll darunter nicht leiden. Und so schlüpft Krankenpfleger Sebastian Balling wieder mal in seinen blauen Schutzkittel, verbirgt die Haare unter einer Plastikhaube, greift zusätzlich zur Maske auch zum Schutzschild aus Plexiglas, um anschließend im Bauwagen einen Patienten zu testen. Ob er trotz Schutzkleidung noch Angst vor einer Ansteckung hat? "Wenn ich die hätte", sagt Balling, "hätte ich den falschen Beruf."

Verwandte Themen


Keine Kommentare