Hass im Netz: Sechs Monate Haft für Familienvater aus Franken

5.2.2020, 05:03 Uhr
Der Hass im Netz ist allgegenwärtig - doch nirgendwo entlädt er sich so wie auf Facebook.

© Daniel Reinhardt (dpa) Der Hass im Netz ist allgegenwärtig - doch nirgendwo entlädt er sich so wie auf Facebook.

Ein Flüchtlingswohnheim soll eröffnet werden, über einen Zeitungsartikel erfährt die Öffentlichkeit online, dass nach Helfern gesucht wird, und ein "Tom Braun“ schreibt wörtlich im Kommentarfeld darunter: "Also wenn die noch nicht fertig sind, würd ich mich zur Verfügung stellen, die Heizung zu installieren! Ups da hab ich doch glatt aus versehen n paar Löcher in die Gasleitungen gemacht. Sorry." Es folgt das Symbol für ein Lachgesicht.

Das Internet, die technische Leitutopie unserer Zeit, kann ein hässlicher Ort sein. Beleidigungen aller Art sind an der Tagesordnung – frustrierte Bürger hetzen gegen Flüchtlinge, erwachsene Männer geben online Macho-Fantasien über junge Frauen wie Greta Thunberg von sich, und über Politiker werden ohnehin ständig Eimer voller Häme gekippt. Was für Menschen sind das, die ihren Hass herauskrakeelen? Über "Hass" und "Hetze" wird in der Politik und den Medien ständig diskutiert – und nun sitzt der Mann, der am 7. März 2019 den Satz über die angebohrte Gasleitung in seine Tastatur getippt und unter einem Artikel der Ruhr Nachrichten ins Netz gestellt hat, vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. "Tom Braun“ heißt er nicht.

Verlust des Arbeitsplatzes droht

Der Angeklagte ist 42 Jahre alt, wohnt in Schwabach, ist verheiratet und hat Kinder. Das Amtsgericht Schwabach hat ihn im September 2019 wegen Volksverhetzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Er will nicht hinter Gitter, deshalb hat er mit Hilfe seines Rechtsanwalts Rudolf Gerber Berufung gegen das Urteil der ersten Instanz eingelegt. Er gibt sich kleinlaut. Er sagt, dass er einen guten Arbeitsplatz hat. Für seinen Chef sei er unentbehrlich. Trotzdem, so lässt er über seinen Verteidiger vortragen, würde er seinen Arbeitsplatz verlieren, wenn er ins Gefängnis muss.

Den Satz habe er "damals lustig gefunden" und sich "nichts dabei gedacht". Er habe nichts gegen Flüchtlinge, beteuert er mehrfach, doch er sei der Meinung, dass der Staat Obdachlosen und sozial Bedürftigen zu wenig unter die Arme greift. "Wenn dies Ihrer politischen Überzeugung entspricht, ist mir unverständlich, warum Sie dies nicht auch geschrieben haben“, hakt Richter Dieter Seyb nach

"Der Alkohol war schuld, ich war einfach betrunken", sagt der Angeklagte.

Mitarbeiter von Medien, wie in diesem Strafverfahren die Journalisten der Ruhr Nachrichten, stoßen berufsbedingt im Netz besonders häufig auf auffällige Meinungskommentare – es ist nicht leicht zu entscheiden, ob die Grenze zur Schmähkritik überschritten wurde, eine Beleidigung oder Volksverhetzung vorliegt.

Mehr als 60 bayerische Verlage und Rundfunksender haben sich daher zusammengeschlossen und ein Bündnis mit der Justiz gebildet. Mit wenigen Klicks können Hasskommentare und Posts an die Staatsanwaltschaft übermittelt werden, dort wird der Verdacht strafrechtlich relevanter Inhalte geprüft.

"Konsequent gegen Hass und Hetze im Netz“ heißt die Aktion, an der sich auch die Nürnberger Nachrichten beteiligen. Auch die Ruhr Nachrichten wollten zum Kommentar von "Tom Braun“ nicht schweigen.


Hatespeech: So geht ein Online-Redakteur mit Hass im Netz um


Der Angeklagte wusste, dass sein Kommentar öffentlich von jedermann lesbar ist. Er spielt auf die Morde in der NS-Zeit in den Gaskammern an, er greift die Menschenwürde von Asylbewerbern an.

Hätte er gewusst, welche Lawine er lostritt, hätte er es gelassen, sagt "Tom Braun". In der Berufungsverhandlung hofft er darauf, dass seine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird: "Ich habe nichts gegen sie. Ich würde auch freiwillig Flüchtlinge betreuen", beteuert er.


Hass im Netz: BKA ermittelt in neun Bundesländern


Der 42-Jähriger ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt: Im Jahr 1993 beginnen seine 13 Eintragungen im Strafregister, er hat gestohlen, fuhr betrunken Auto, wurde wegen Körperverletzung schuldig gesprochen – und fiel bereits vor zwanzig Jahren wegen Volksverhetzung auf. Damals verteilte er Visitenkarten, verziert mit Hakenkreuzen. Man kann dies als Jugendverirrung abtun, man kann es aber auch für möglich halten, dass sich an seinem Weltbild nichts verändert hat. Heute sei er verheiratet, sagt er, und mehrfacher Vater. Er lebe in soliden Verhältnissen. "Wem ist denn geholfen, wenn ich meinen Job verliere?"

Die Berufungskammer überzeugt er nicht. Seine Familie, den Arbeitsplatz – all dies hatte er auch zum Tatzeitpunkt, stabilisiert habe ihn dies nicht. Überdies existiert auch ein Post seiner Frau: „Tom Braun, leg los!“ schrieb sie zuerst, angestachelt davon postete er dann den Satz, den er heute als „dummen Scherz“ verstanden haben will.

 

Fakt ist: Er erhielt mehrfach die Chance, sich zu bewähren, und wurde immer wieder straffällig. "Der Staat muss konsequent sein“, sagt Richter Dieter Seyb – und er sagt auch: „75 Jahre nach Auschwitz muss man wieder wachsam sein." Das Urteil des Amtsgerichts Schwabach bleibt bestehen.

22 Kommentare