81-Jähriger gibt den Vorsitz ab

Horst Schmidbauer: "Mister Lebenshilfe" sagt nach 20 Jahren Servus

15.11.2021, 19:51 Uhr
20 Jahre gab er bei der Lebenshilfe die Richtung vor - nun verabschiedet sich der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer vom Vorsitz. 

© Stefan Hippel, NNZ 20 Jahre gab er bei der Lebenshilfe die Richtung vor - nun verabschiedet sich der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer vom Vorsitz. 

Das Loslassen nach 20 Jahren als Vorstandsvorsitzender fällt ihm nicht leicht. Das ist in Horst Schmidbauers Brief an die Mitglieder der Lebenshilfe, in dem er seinen Verzicht auf die Wiederwahl bekannt gibt, zu spüren. Trotz seiner 81 Jahre sei die Erwartung hoch gewesen, dass er noch einmal für eine weitere dreijährige Amtszeit kandidiert: "Es hat mir durchaus geschmeichelt, für energischer und agiler gehalten zu werden als manch Jüngere."

Mehr Freizeit

Doch letztlich hat sich der Mann mit dem markanten Schnurrbart für mehr Freizeit entschieden – und auch dafür, jüngeren Kräften das Feld zu überlassen. Die Mitglieder wählten den 1984 geborenen SPD-Stadtrat Fabian Meissner, bisher bereits Stellvertreter, zum neuen Vorsitzenden.
Als Schmidbauer 2001 das Ehrenamt bei dem Sozialverein antritt, gehört er als Abgeordneter für den Wahlkreis Nürnberg-Süd noch dem Bundestag an. Überregionale Bekanntheit erlangt der Gesundheitsexperte wegen seiner kritischen Haltung zu den Agenda-Plänen des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD).

Alternative Wohnformen

Klare Kante beweist der Sozialdemokrat jedoch auch als Lebenshilfe-Chef. Schmidbauer beruft sich in seiner Philosophie auf ein Zitat von Tom Mutters, der als Vater der Elterninitiative gilt: "Erfolg ist, wenn wir keine Sondereinrichtungen mehr benötigen." Zwar betreibt die Lebenshilfe zwei Wohnheime und die Pegnitz-Werkstätten, die sich im Jahr 2015 in WerkStadt Nürnberg umbenennen – aber zugleich werden in Schmidbauers Amtszeit alternative Wohnformen für Menschen mit Behinderung erprobt.

Im Jahr 2006 gründet der Verein zudem zwei Inklusionsfirmen – ein Catering- und ein Reinigungsunternehmen – in denen Menschen mit und ohne Behinderung Seite an Seite arbeiten. Die Jakob-Muth-Schule wird nach demselben Prinzip zur "Schule für alle". Ihre derzeit laufende und vom Freistaat geförderte Generalsanierung ist mit 37 Millionen Euro das teuerste Bauprojekt in der Geschichte des Vereins.
"Es liegen Welten dazwischen", sagt Schmidbauer, wenn er auf seine Anfänge als Lebenshilfe-Chef zurückblickt. In der mit "Kennziffern der Menschlichkeit" überschriebenen Leistungsbilanz sind aktuell 1600 Mitarbeiter und Ehrenamtliche notiert, die 2500 Menschen mit und ohne Behinderung betreuen. Im Jahr 2002 waren es 623 Mitarbeiter und 1680 Klienten.

Ein Regenbogen

Der jährliche finanzielle Aufwand ist im selben Zeitraum von 24,5 Millionen Euro auf 47,1 Millionen gewachsen. Die Nürnberger Lebenshilfe betreibt 29 Einrichtungen; Schmidbauer beschreibt ihr Leistungsspektrum als einen "Regenbogen", weil es die Fülle des Lebens abdecke – von der Unterstützung junger Mütter, die ein Kind mit Behinderung zur Welt gebracht haben, bis hin zur Sterbebegleitung.
Ein weiterer Punkt ist dem Sohn eines IG-Metall-Gewerkschafters wichtig: Die Lebenshilfe zahle Tarif, betont er immer wieder, und das durch Betriebsräte garantierte Mitbestimmungsrecht der Belegschaft werde hoch gehalten.

Lange politische Laufbahn

Der 81-Jährige war vor seiner Zeit im Bundestag (1990–2005) Mitglied des Stadtrats (1972–1990), zudem amtierte er zwischen 1985 und 1997 als Chef der Nürnberger SPD. Auch nach dem Abschied vom Vorsitzendenamt werde er sich "nicht aus der politischen Arbeit verabschieden", verspricht er in seinem Brief den Mitgliedern.
Es seien schon auch "große Gefühle" mit seinem Engagement bei der Lebenshilfe verbunden gewesen, sagt Schmidbauer in der Rückschau. Beim Besuch der Wohngemeinschaft an der Ziegenstraße wird er von den dort lebenden Menschen mit Behinderung stürmisch empfangen: "Schade, dass du aufhörst", sagt eine Bewohnerin.