Ausweisungsverfahren ruht

Kampagne jubelt: Nürnberger Ärztin Banu Büyükavci darf bleiben

25.8.2021, 06:16 Uhr
Sie musste lange bangen, bekam aber auch viel Unterstützung: Die Ärztin Banu Büyükavci darf in Nürnberg bleiben. 

© Eduard Weigert, NNZ Sie musste lange bangen, bekam aber auch viel Unterstützung: Die Ärztin Banu Büyükavci darf in Nürnberg bleiben. 

Jeden Mittwoch haben sich die Unterstützer der promovierten Medizinerin seit Dezember 2020 vor dem DGB-Haus am Kornmarkt getroffen, um per Mahnwache für einen Verbleib von Banu Büyükavci in Nürnberg zu demonstrieren. Nun dürfen die Teilnehmer der von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) forcierten Kampagne #BanuMussBleiben einen wichtigen Erfolg feiern. Das bei der Ausländerbehörde der Stadt Nürnberg laufende Ausweisungsverfahren sei "ruhend gestellt", teilte ver.di-Gewerkschaftssekretär Ulli Schneeweiß mit. "33 Kundgebungen mit 3656 Teilnehmerinnen und unzählige Gespräche mit Funktionsträgern und Entscheidern seit Dezember 2020 haben sich gelohnt", freuen sich Schneeweiß und Charlotte Johnson, die bei ver.di als Vorsitzende des Migrationsausschusses auf Landes- und Bezirksebene fungiert und die die Kampagne initiierte.

Freiheitsstrafe von über drei Jahren

Die Stadt Nürnberg habe der anwaltlichen Vertretung von Banu Büyükavci verbindlich zugesichert, dass das Verfahren jedenfalls bis zur letztinstanzlichen Entscheidung in der anhängigen Strafsache nicht weitergeführt werde, so Schneeweiß. Die ehrenamtliche ver.di-Funktionärin Büyükavci war im Jahr 2020 vom Oberlandesgericht München nach Paragraf 129b des Strafgesetzbuches (Unterstützung einer kriminellen Vereinigung im Ausland) zu einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren verurteilt worden, da sie der türkischen kommunistischen Organisation TKP/ML angehören soll, die durch die Türkei als terroristisch eingestuft wird. Die Revision gegen das Urteil läuft noch. Die Strafe hat sie durch eine lange Untersuchungshaft zwischen 2015 und 2018 aber ohnehin nahezu abgesessen - die Stadt nahm das Urteil indes zum Anlass, eine Ausweisung Büyükavcis zu prüfen.

"Meine zweite Heimat"

Eine Verfolgung durch deutsche Behörden wurde indes ohnehin nur möglich, da das Bundesjustizministerium hierzu die ausdrückliche Erlaubnis (eine sogenannte Verfolgungsermächtigung) gegeben hat, obwohl die TKP/ML hierzulande weder als terroristisch noch als kriminell betrachtet wird. "Eine konkrete Straftat war Dr. Büyükavci nie vorgehalten worden", sagt Schneeweiß.

Am Klinikum Nürnberg sei die Ärztin für Psychiatrie sehr anerkannt. Büyükavci zeigt sich enorm erleichtert, dass die Ausweisung nun vorerst vom Tisch ist: "Nach unserer Verfolgung als Kommunisten in der Türkei hatte ich meine erste Heimat verloren. In Deutschland habe ich eine zweite Heimat und viele Freunde gefunden. Es wäre schrecklich gewesen, auch diese zu verlieren. Ohne die vielen Menschen, die sich für mich eingesetzt hätten, wäre das wohl passiert."

Argumente haben überzeugt

Tatsächlich sind andernorts laut Schneeweiß schon längst Ausweisungsbescheide gegen Mitangeklagte der TKP/ML ergangen, sodass sich die Kampagneninitiatorin Johnson sicher ist: "Der Druck und die Argumente aus unserer Kampagne haben letztlich sowohl Innenminister Joachim Herrmann als auch Oberbürgermeister Marcus König überzeugt: Eine Ausweisung hätte einen bundesweiten Skandal nach sich gezogen, welche die Stadt der Menschenrechte in ein undenkbares Licht gerückt hätte." Schneeweiß denkt auch nicht, dass das nunmehr ruhende Verfahren nach der endgültigen Entscheidung durch den Bundesgerichtshof noch einmal in Gang kommt. "Die Zeit spielt für uns." Je länger Büyükavci als unbescholtene Bürgerin hier lebe, desto weniger könne die Stadt begründen, warum man sie ausweisen sollte. Die Ärztin kam 2005 nach Deutschland, seit 2012 arbeitet sie am Nürnberger Klinikum.

Zeit der Ungewissheit

Die vergangenen Monate seien wegen der Ungewissheit schlimm gewesen, berichtet Büyükavci. "Man konnte keine Pläne machen", sagt die 50-Jährige. Auf der anderen Seite hätten ihr die wöchentlichen Mahnwachen viel Mut gegeben: "Jedes Mal waren um die 100 Leute da, das hat mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin." Dafür sei sie sehr dankbar.

Bandbreite an Unterstützern

Schneeweiß hat die enorme Bandbreite der Unterstützer beeindruckt: Neben ver.di und dem DGB beteiligten sich an den Kundgebungen eine Vielzahl an Parteien, ärztliche Standesorganisationen, Vereine von den Naturfreunden bis Amnesty International sowie viele Künstler und Juristen. An Büyükavcis Seite stellten sich auch prominente Persönlichkeiten wie etwa Ex-Bundesfamilienministerin Renate Schmidt oder der frühere Klinikumschef Alfred Estelmann. Schneeweiß spricht von einer "spektrenübergreifenden Solidarität". Vertreter ganz linker Gruppierungen, die in der Regel mit Kirche wenig am Hut haben, hätten akzeptiert, dass Pfarrer der Veranstaltung ihren Segen gaben.

Falls es "wider Erwarten" doch zu einer Neuauflage des Ausweisungsverfahrens komme, könne man dieses Netzwerk sofort reaktivieren, glaubt Schneeweiß: "Dann stehen wir wieder bei den Entscheidern auf der Matte - und natürlich auf der Straße."

Der Kampagnenorganisator betont auch, dass Büyükavci gegenüber der Stadt nicht ihrer "kommunistischen Gesinnung" habe abschwören müssen, damit das Verfahren stillgelegt wird. "Sie hat kein Politikverbot erhalten." Aber freilich sei die städtische Erwartungshaltung, dass die Ärztin nicht gegen den Paragrafen 129b des Strafgesetzbuches verstößt. Den aber würden die Aktivisten ohnehin am liebsten kippen, da es eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle gebe, bei denen sich kein so breites Bündnis hinter die Betroffenen stelle: "Ziel ist die Wiederabschaffung des erst im Jahr 2002 eingeführten §129b des Strafgesetzbuches", sagen Johnson und Schneeweiß. Es dürfe nicht sein, dass sich Deutschland in den Dienst autoritärer Staates stelle und deren Definition von "terroristisch" zum Anlass nehme, um Bürger zu verfolgen, die sich ansonsten nichts hätten zuschulden kommen lassen.

Buch und Dokumentation

Insofern soll das Engagement weitergehen, auch wenn der Fall Büyükavci vorerst abgeschlossen ist - und gleich doppelt aufgearbeitet wird. Der Verleger Manfred Rothenberger plant eine Buchveröffentlichung zum Thema, die Finanzierung dieses Projekts ist inzwischen auch gesichert; ver.di wiederum möchte eine Dokumentation der Kampagne herausbringen.

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