Nach Hundeboom: Nürnberger Tierheim befürchtet Corona-Kollaps

26.2.2021, 05:46 Uhr
Tierpfleger Tobias Gastner kümmert sich um Noah. Der siebenjährige Mischling wartet bereits seit vier Jahren im Nürnberger Tierheim auf ein neues Zuhause.

© Roland Fengler, NNZ Tierpfleger Tobias Gastner kümmert sich um Noah. Der siebenjährige Mischling wartet bereits seit vier Jahren im Nürnberger Tierheim auf ein neues Zuhause.

"Wir haben die große Sorge, dass die Tierheime überflutet werden, wenn nach Corona allmählich der Normalzustand einkehrt", sagt Tierheim-Chefin Tanja Schnabel. Und spricht von Hunden, deren Halter dann keine Zeit mehr für die Tiere haben, weil sie wieder fortgehen und verreisen können. Schnabel meint aber auch überforderte Besitzer, die sich die Vierbeiner aus einer Corona-Laune heraus angeschafft haben.


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Tierpflegerin Veronika Stäblein mit Freigängerin Langos. Eine verschmuste Einzelkatze, die zu Coronazeiten wohl bald ein Zuhause findet.

Tierpflegerin Veronika Stäblein mit Freigängerin Langos. Eine verschmuste Einzelkatze, die zu Coronazeiten wohl bald ein Zuhause findet. © Roland Fengler, NNZ

Ruhe vor dem Sturm

Noch herrscht in der Nürnberger Einrichtung ungewöhnliche Leere: 200 Kleintiere, 40 Hunde und 50 Katzen. "Das ist selbst für den Winter ein extrem niedriger Stand", berichtet Schnabel. "Es wird deutlich weniger abgegeben oder ,verloren‘ aufgrund von Urlaubsreisen." Zugleich seien die Anfragen nach "netten, einfachen Hunden" seit Corona sehr hoch. Und so fällt im Tierheim mehrfach täglich am Telefon der Satz: "Was Sie suchen, haben wir gerade nicht da."


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In Nürnberg ist im Jahr der Pandemie 2020 die Zahl gemeldeter Hunde um 571 Vierbeiner auf 15721 gestiegen. Woher kommen die Tiere? Seriöse Züchter, Ebay-Kleinanzeigen und illegale Welpentransporte – Letztere haben durch Corona einen dramatischen Aufschwung erfahren. Dem Deutschen Tierschutzbund zufolge wurden im Vorjahr allein zwischen Januar und Oktober bundesweit 75 Fälle entdeckt. 818 Tiere waren betroffen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.

"Wir haben den Eindruck, dass der illegale Handel und die Preise explodieren", so Schnabel. Dabei seien die Händler dazu übergangen, kleine und somit unauffälligere Tiermengen aus Osteuropa zu transportieren.


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Nahezu jeden Monat nimmt das Nürnberger Tierheim beschlagnahmte Rassehunde auf. Zuletzt im Januar. Die Welpen – sechs Spitze und ein Pudel – waren gerade mal zwischen sieben und zehn Wochen alt und befinden sich gesundheitlich in einem sehr schlechten Zustand. Sie stehen derzeit nicht zur Vermittlung, wie Schnabel nachdrücklich betont. Im Dezember waren es drei Welpen, im November vier, im September drei.
Auch wenn die treuen Gefährten bei einem seriösen Händler gekauft werden, kann das Probleme mit sich bringen. "Vor allem bei Rassen, bei denen die Menschen primär nach der Optik gehen, aber verdrängen, dass es kein Anfängerhund ist.

Wie zum Beispiel Weimaraner: wunderschöne Hunde, aber vom Charakter her nicht die einfachsten." Man könne bei der Hundeerziehung sehr viel falsch machen. Umso dramatischer sei die Corona-bedingte Schließung der Hundeschulen.

"Um das Schlimmste zu verhindern"

Deren Betreiber hoffen auf Lockerung im März. Angela Koch von der Nürnberger Hundeschule Advo-Canis bietet inzwischen Pandemie-bedingt Online-Training an. Eine Notlösung, "um das Schlimmste zu verhindern". Sie weiß: "Viele sind von ihrem Hund total überfordert und greifen aus Hilfslosigkeit zu unschönen Methoden."


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Die Zahl der Ersthundebesitzer habe massiv zugenommen, ihnen fehle das nötige Rüstzeug für die Welpenerziehung. "Wir schaffen uns eine Generation von Problemhunden."

Hilferufe am Telefon

Hundetrainer Oliver Ludwig aus Lauf an der Pegnitz berichtet: "Meine Erfahrung ist, das wir immer mehr Problemhunde bekommen, die eigentlich keine sind." Er nennt ein Beispiel nach dem ersten Lockdown: "Eine junge Französische Bulldogge – eine Hunderasse, die nie ein schwieriges Verhalten in der Hundeschule gezeigt hat – war aufgrund ausgebliebener Welpenstunden extrem aggressiv." Es fehlte der Kontakt zu Artgenossen, junge Hunde müssen das Sozialverhalten erst lernen.

Täglich erreichen ihn Anrufe, darunter auch Hilferufe: "Ich wurde gebissen. Ich krieg’ den Hund nicht los." Auch das Nürnberger Tierheim erhält derartige Anfragen, "aber noch ist kein Hund bei uns gelandet. Wahrscheinlich wurden sie bei Ebay verscherbelt", befürchtet Schnabel. In anderen Tierheimen seien bereits die ersten Hunde aus der Pandemie-Zeit eingetroffen. "Ich weiß nicht, wann er kommt, aber der Corona-Kollaps wird die Tierheime treffen", prophezeit sie.

Seit fast einem Jahr geschlossen

Die Nürnberger Einrichtung hat ohnehin zu kämpfen: Sie ist seit dem 20. März wegen Corona geschlossen. Sämtliche Veranstaltungen wurden abgesagt, Öffnungszeiten gibt es nicht mehr, die Tiervermittlung findet lediglich mit Einzelterminen statt. Bei den Gesprächen achte man darauf, dass Interessenten einen Plan für die Zeit nach Corona haben, sagt Schnabel, "wir haken noch ein bisschen intensiver nach".

Sorgen bereitet den Tierschützern das Ausbleiben von Spenden. Derweil warten Hunde wie Noah auf ein neues Zuhause. Der Mischling, dem in Griechenland die Ohren verstümmelt wurden, ist seit vier Jahren da – mehr als sein halbes Hundeleben. Solche Vierbeiner, für die man viel Geduld, Liebe und Einfühlungsvermögen braucht, sind nicht gefragt, bedauert Schnabel. Und wegen Corona wird die Zahl der schwer vermittelbaren Hunde zunehmen.

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