Reichsparteitagsgelände

Nürnberg: Diese Ausstellung zeigt das Doku-Zentrum während des Umbaus

27.5.2021, 10:15 Uhr
Ein einziger Raum erzählt ab jetzt einige Jahre lang im Doku-Zentrum die Geschichte des Reichsparteitagsgeländes. Die Kompaktversion bringt mehr persönliche Sichtweisen ein, als in der alten Ausstellung enthalten waren.  

© Michael Matejka Ein einziger Raum erzählt ab jetzt einige Jahre lang im Doku-Zentrum die Geschichte des Reichsparteitagsgeländes. Die Kompaktversion bringt mehr persönliche Sichtweisen ein, als in der alten Ausstellung enthalten waren.  


"Feldmarschmäßig" sei er nach Hause zurückgekehrt. "Stolz wie Oskar, und wie!" So erinnert sich Reinhold aus Bonn an den Ausflug zum Reichsparteitag 1937, bei dem er für den Reichsarbeitsdienst aufgetreten war. Traubenzucker habe es gegeben, "Dextro Energen", damit keiner umkippen würde – was wegen der Wärme trotzdem der Fall war.

Neben Reinhold steht Ruth: "Ich erinnere mich nur daran, dass ich traurig war, als ich hörte, am Dutzendteich wären Aufmärsche." Das Mädchen stammt aus einer später ausgewanderten jüdischen Familie.

Der 17-jährige Reinhold und die Fürther Schülerin Ruth: zwei von 17 Zeitzeugen der Reichsparteitage, die man jetzt auf einem Bildschirm in der großen Halle des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände mit einem Tipp-Stift anwählen kann. Ihre Blicke auf die Geschichte, aus Interviews oder Briefen, sind Teil einer neuen Einordnung des scheinbar Altbekannten. "Nürnberg – Ort der Reichsparteitage: Inszenierung, Erlebnis und Gewalt" heißt die Ausstellung, mit der das Doku-Zentrum seine Schließungsjahre überbrückt.

Das Dokumentationszentrum bleibt bis mindestens Ende 2023 geschlossen, weil es umgebaut und erweitert wird. Solange ist der Besuchereingang an die Seite der Kongresshalle beim Serenadenhof verlegt.

Das Dokumentationszentrum bleibt bis mindestens Ende 2023 geschlossen, weil es umgebaut und erweitert wird. Solange ist der Besuchereingang an die Seite der Kongresshalle beim Serenadenhof verlegt. © Michael Matejka

Sollte die Halle am Freitag planmäßig öffnen, so bleibt der Rest des Museums in der Kongresshalle geschlossen. Und das liegt nicht an der Pandemie. Seit dem Jahreswechsel erhält das Haus seine lange geplante Modernisierung, für jeden zu erkennen am Bauzaun und dem Kassen-Container. Die auf drei Jahre veranschlagten Umbauarbeiten sollen am Ende auch eine komplett erneuerte Ausstellung hervorbringen, wahrscheinlich dann 2024. Die Ersatz-Ausstellung will vermeiden, dass besonders Schülergruppen und Touristen in der Zwischenzeit in ein Loch fallen, wenn sie sich am Originalort über Nürnbergs nationalsozialistische Geschichte informieren wollen. Das 2001 eröffnete Doku-Zentrum verzeichnet immerhin nach dem Germanischen Nationalmuseum die zweithöchsten Museumsbesucherzahlen der Stadt.


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Zwei Jahre lang haben die Kuratorinnen Martina Christmeier, Melanie Wager und Nina Lutz die Kunst der Komprimierung betrieben. 100 Jahre umfasst die Geschichte des Geländes mittlerweile. Das Was, Wann, Wo und Wie muss ja rein in so eine Kompaktversion. Genauso aber Verständnisbrücken für die Nachgeborenen. Inhalte, die die Eröffnungsausstellung von 2001 bisher nur streifte, sind jetzt gleichrangig gewichtet: das Gelände als Gefangenenlager, Schauplatz von Deportation und Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. Das Ergebnis: weniger Deutsches Reich, mehr Nürnberg. Weniger Nazi-Schauseite, mehr Menschengeschichte.

Auch Einzelschicksale von Opfern des NS-Terrors gibt es in der neuen Interimsausstellung zu erkunden - die große Fotografie zeigt Zwangsarbeiterinnen der Nürnberger Firma Diehl.

Auch Einzelschicksale von Opfern des NS-Terrors gibt es in der neuen Interimsausstellung zu erkunden - die große Fotografie zeigt Zwangsarbeiterinnen der Nürnberger Firma Diehl. © Michael Matejka

Wer sich auf den Rundgang konzentriere, brauche wohl eine Stunde dafür, schätzen die Macherinnen. Er lade aber auch zum mehrmaligen Besuch ein. Vertiefen kann man sich zum Beispiel in ein privates Fotoalbum aus Bremen, digitalisiert und kommentiert, vom Reichsparteitag 1938. Oder in drehbare Würfel mit Köpfen, Kurzbiografien und Zitaten politischer, aber auch privater Akteure. Dabei hätten sie sich von der Vielstimmigkeit der Geschichte leiten lassen, erklärt Nina Lutz. "Perspektiven von Tätern und Opfern können verschwimmen." So tritt hier auch die Stadt Nürnberg eben nicht nur als frühe NS-Hochburg in Erscheinung, sondern auch als Standort wehrhafter Sozialdemokratie bis 1933.

Dass Geschichte weder Einbahnstraße ist noch Vorsehung, auf diese Erkenntnis zielt die Ausstellung viel stärker ab als die bisherige. Formal ordnet sie den Stoff an Thementischen an. Die Ausstellungsarchitekten Lendler aus Berlin, die 2017 die Albert-Speer-Ausstellung gestaltet hatten, wählten Mintgrün als Leitfarbe und ließen – endlich – auch Platz für englischsprachige Texte.


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Ein "Testfall" sei diese Ausstellung, und "vielleicht sogar ein Erfolgsmodell", sagt Florian Dierl, der Direktor. Das Team will Erfahrungen sammeln, damit die endgültige Dauerausstellung die nächsten Besuchergenerationen bestmöglich anspricht. "Interimsausstellung" klinge sperrig, passe aber gut zu einer Gegenwart, die den Wert liberaler Demokratien neu auf die Probe stelle. "Wir probieren neue Formate des Erzählens aus", sagt der städtische Museendirektor Thomas Eser. Die Erinnerungskultur durch Dialog lebendig zu halten, sei schließlich ein Hauptauftrag des Doku-Zentrums, sagt Oberbürgermeister Marcus König, der den Medienrundgang am Mittwoch begleitete.

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Bayernstraße 110, Mi.–So. 10–18 Uhr, Eintritt 6 Euro (ermäßigt 1,50 Euro). Die Museen der Stadt Nürnberg gehen von der Wiederöffnung ihrer meisten Häuser ab Freitag, 28. Mai, aus. Ein Corona-Test ist nicht notwendig, jedoch die Buchung eines Zeitfensters auf https://tickets.nuernberg.de (entfällt ab stabiler Inzidenz unter 50). Vorerst sind nur Einzelbesucher und keine Gruppen zugelassen.

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