Kirchen und Gewerkschaft

Nürnberger Bündnis fordert: Auf Kosten der Armen darf nicht gespart werden

5.9.2021, 16:18 Uhr
Sie unterstützen gemeinsam die "Nürnberger Erklärung" (von links): Sabine Weingärtner (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt), DGB-Geschäftsführer Stephan Doll, Britta Müller (Evangelisch-Lutherisches Dekanat), der katholische Betriebsseelsorger Martin Plentinger und der katholische Stadtdekan Andreas Lurz.    

© Marco Puschner Sie unterstützen gemeinsam die "Nürnberger Erklärung" (von links): Sabine Weingärtner (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt), DGB-Geschäftsführer Stephan Doll, Britta Müller (Evangelisch-Lutherisches Dekanat), der katholische Betriebsseelsorger Martin Plentinger und der katholische Stadtdekan Andreas Lurz.   

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Mittelfranken und Vertreter der Kirchen haben sich vor der Bundestagswahl mit einem Positionspapier an die Parteien und ihre Kandidaten gewandt. In einer "Nürnberger Erklärung" fordern sie, dass bei der Bewältigung der Corona-Folgen das Gemeinwohl und nicht individuelle Interessen im Zentrum des politischen Geschehens stehen müssten.

"Steuern sind sozial"

Andreas Lurz verweist in diesem Kontext auf die katholische Sozialverkündigung, die auch nach über 100 Jahren nichts von ihrer Aktualität eingebüßt habe. "Die Pandemie hat die Ärmsten getroffen. Dieser Entwicklung gilt es zu begegnen", meint der katholische Stadtdekan. Es wäre falsch, die Lasten der Krise scheinbar gerecht auf alle gleich zu verteilen und aufgrund des Kostendrucks zum Beispiel auch Sozialleistungen einzudampfen: "Wer mehr hat, muss für die anderen einstehen." Übersetzt bedeutete dies freilich eine höhere Besteuerung großer Vermögen, was die Kirchenleute nicht anficht. Der katholische Betriebsseelsorger Martin Plentinger findet ohnehin, dass der Begriff "Steuern" zu negativ konnotiert sei. "Steuern sind etwas sehr Soziales." Die Wohlhabenden müssten einen größeren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, finden Plentinger und Lurz.


Zumal die Ärmsten auch von der Pandemie am Schlimmsten betroffen waren, wie Sabine Weingärtner, stellvertretende Leiterin des evangelischen Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (kda), betont. "Wer keine Wohnung hat oder beengt lebt, ist einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt." Doch Corona habe hier nur besonders den Fokus auf ein sozialpolitisches Problem gelegt, das ohnehin auf der Tagesordnung stehen müsste, wie Weingärtner und DGB-Regionschef Stephan Doll finden.

Es fließt zu viel in die Miete

Doll verweist auf die hohe Zahl von Mietern, die angesichts steigender Preise auch in Nürnberg mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für ihre Wohnung ausgeben müssen. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung betrifft dieses Problem in Deutschland 49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete leben. Der Gewerkschaftschef findet das nicht akzeptabel. "Arbeit muss nicht nur zum Leben, sondern auch zum Wohnen reichen", pflichtet Weingärtner bei. Es sei aus einer sozialethisch-christlichen Perspektive "ein Unding", wenn Wohnen "zum Luxusgegenstand" werde.

Forderung nach Tariftreue

Damit Arbeitskräfte im Freistaat auf eine ordentliche Bezahlung rechnen könnten, fordert Doll ein Tariftreuegesetz für Bayern. Öffentliche Aufträge dürften nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden, schließlich sollten sie kein "Förderprogramm für Ausbeutung und Niedriglohnsektoren sein".
Plentinger sagt, dass sich zudem die Logik des Wirtschaftens in Krankenhäusern nicht an der Gewinnmaximierung orientieren dürfe, sondern an den Bedürfnissen der Menschen – Gesundheit sei keine Ware. Britta Müller, als evangelische Dekanin für den Nürnberger Stadtsüden zuständig, mahnt eine ordentliche Ausstattung der kommunalen Verwaltungsbehörden – vor allem der Gesundheitsämter – an. In Krisen, sagt Doll, riefen selbst neoliberale Stimmen stets nach dem starken Staat und mithin einer funktionierenden Behördenlandschaft. Er plädiert dafür, das von Altoberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) geprägte Leitbild einer "solidarischen Stadtgesellschaft" ins Zentrum des politischen Handelns zu stellen.


"Seelsorge", meint Plentinger angesichts der "Nürnberger Erklärung", "ist immer auch politisch." Die Unterzeichner des Papiers geben zwar keine Wahlempfehlung ab, verleugnen aber auch nicht, dass ihre sozialpolitischen Überzeugungen eher vom linken Teil des politischen Parteienspektrums geteilt würden. Für die Devise, dass Arbeit Vorrang vor Kapital habe, sei man aber nicht auf Anleihen aus dem Programm der Linkspartei angewiesen, argumentiert Plentinger: "Das ist Teil der katholischen Soziallehre."

Sechste Auflage

Doll, der sich einst als Vorsitzender des Kreisjugendrings schon qua Amt um ein gutes Verhältnis zwischen Gewerkschaftsjugend und christlichen Nachwuchsorganisationen bemühen musste, lobt den "bundesweit einmaligen"Schulterschluss zwischen Kirchen und Gewerkschaften in Nürnberg. Die aktuelle "Nürnberger Erklärung" ist die sechste seit 2009, als man angesichts der damaligen Banken- und Finanzkrise erstmals gemeinsam ein derartiges Papier verfasste.

Verwandte Themen


4 Kommentare