Gedenkort an der AOK-Zentrale

Nürnberger Gesetze: Tafeln erinnern an den NS-Rassenwahn

26.7.2021, 07:39 Uhr
Viel besser erkennbar als früher: die Gedenkstelen am neuen Durchgang neben der AOK-Zentrale, hier mit Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde, Jürgen Göppner, Vorsitzender des AOK-Direktionsbeirats, und  OB Marcus König (v.li.n.re.)

© NNZ Viel besser erkennbar als früher: die Gedenkstelen am neuen Durchgang neben der AOK-Zentrale, hier mit Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde, Jürgen Göppner, Vorsitzender des AOK-Direktionsbeirats, und  OB Marcus König (v.li.n.re.)

Paragrafen mit mörderischen Folgen - das sind die sogenannten Nürnberger Gesetze. Im Rahmen eines NS-Reichsparteitags hatte Adolf Hitler dazu eigens die - längst nur noch linientreuen - Abgeordneten des Reichstags in die Frankenmetropole beordert, wo sie am 15. September 1935 brav und verblendet die Hand zur Verabschiedung der Bestimmungen hoben. Die sollten der Ausgrenzung, Verfolgung und letztlich Ermordung der jüdischen Bevölkerung und weiterer als "blutfremd" diffamierter Gruppen wie der Sinti und Roma den Anstrich einer legalen Grundlage verleihen.

Parlament im Kulturverein

Schauplatz der Inszenierung einer vermeintlichen Rechtsstaatlichkeit war das repräsentative Gesellschaftshaus des Industrie- und Kulturvereins (IKV) am Frauentorgraben. Als dieser den Standort vor mehr als 50 Jahren aufgab, übernahm ihn die AOK Bayern für ihre mittelfränkische Zentrale. Und seit 15 Jahren erinnern hier Tafeln im Stil des Informationssystems, das für das Reichsparteitagsgelände entwickelt wurde und auch am Memorium Nürnberger Prozesse zu finden ist, an das Geschehen von 1935 und seine Folgen.

Allerdings mussten sie weichen, als die AOK ihr früheres Domizil abriss und das Areal an der Ecke zur Zeltnerstraße zur Baustelle wurde. Inzwischen ist der AOK-Neubau bezogen und eine neue Passage zur Sandstraße angelegt. So bot sich hier auch die Wiederaufstellung der Gedenkstelen an.

"Handlungsbedarf am Bahnhof Märzfeld"

"Sie kommen an dieser Stelle viel besser zur Geltung als früher", freut sich Christoph Popp vom Büro Lipopp. der seinerzeit den Gestaltungswettbewerb für das Infosystem gewonnen hatte. Jetzt gebe es "großen Handlungsbedarf", so der Künstler, am verwahrlosten Gelände des einstigen Bahnhofs Märzfeld in Langwasser. Von dort waren mehr als 2000 Nürnbergerinnen und Nürnberger in die Vernichtungslager deportiert worden.

Allein das Geschehen der Vergangenheit zum Thema zu machen, reiche aber bei weitem nicht aus, mahnte Jo-Achim Hamburger, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde. "Die meisten Menschen in diesem Land haben noch nie Kontakt mit Jüdinnen und Juden gehabt, aber wir müssen miteinander reden", forderte er. Nur so seien Vorbehalte und Vorurteile dauerhaft zu überwinden.

Einstimmige Resolution

Die Gefahr eines "Zivilisationsbruchs" sei keineswegs gebannt, warnte Serenada Schneeberger vom Landesverband der Sinti und Roma. Deshalb gelte es wie damals, wachsam zu bleiben und frühzeitig menschenverachtendes Denken zu bekämpfen, betonte auch Oberbürgermeister Marcus König. Mit einer einstimmigen Resolution habe sich der Stadtrat deshalb im vergangenen März verpflichtet, allen Formen von Rassismus und Antisemitismus entgegenzutreten. Und auch die Gedenkstelen seien dafür ein wichtiges Zeichen.

Prof. Hannes Wandt, Vorstand der Regionalgruppe der "Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs" (IPPNW), erinnerte schließlich daran, dass ausgerechnet ein Mediziner, nämlich der sogenannte Reichsärzteführer Gerhard Wagner, zu den treibenden Kräften der Verabschiedung des "Reichsbürger-" und des "Blutschutzgesetzes" gehört hatte. Ein Grund: Nicht wenige Ärzte sahen die jüdischen Kollegen als unliebsame Konkurrenz, die sie gerne verdrängen wollten.