Fall 33 der Weihnachtsaktion

Opfer für die Kinder: Wie Prostitution zum Überleben hilft, aber nicht vor Not bewahrt

Wolfgang Heilig-Achneck

Lokalredaktion

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20.12.2022, 05:45 Uhr
Eine Impression vom Nürnberger Rotlichtbezirk an der Frauentormauer bei Nacht.

© Roland Fengler, NN Eine Impression vom Nürnberger Rotlichtbezirk an der Frauentormauer bei Nacht.

Ein paar Beispiele mögen zeigen, wie und warum Hilfe nötig ist - auch wenn sich die Schicksale hier nur kurz und nur mit verändertem Namen skizzieren lassen. Da ist Cynthia S., die mit 16 Jahren nach Deutschland kam und hier einen deutlich älteren Mann heiraten musste, den ihre Familie für sie ausgesucht hatte. Das Paar bekam ein Kind, doch die Frau war mit dem Nachwuchs bald auf sich gestellt, der Zwangspartner ließ sie kurzerhand sitzen.

Um die Tochter und sich zu versorgen, verdingte sich die Frau, der eine Berufsausbildung verwehrt geblieben war, als Prostituierte. So konnte sich Cynthia S. mehr als drei Jahrzehnte lang durchschlagen - und obendrein noch Verwandte unterstützen. Bis eine Erkrankung sie zwang, ihr Gewerbe aufzugeben. Inzwischen ist sie pflegebedürftig und leidet unter fortschreitender Erblindung.

Im Partner getäuscht

Betreut wird sie seit langem von der Nürnberger Selbsthilfe- und Beratungsstelle Kassandra. Dort hat auch Fiona P. in ihrer existenziellen Krise Beistand gefunden. Sie war nicht das Opfer einer Zwangsheirat, vielleicht aber von etwas Gutgläubigkeit. Denn der Partner, den sie zu lieben glaubte, beanspruchte sie für sich allein. Sie gab ihren Job auf, zog bei ihm ein - und war noch voller Zuversicht für eine glückliche Zukunft.

Bis sie - ungeplant - schwanger wurde und der Lebensgefährte sie zu einer Abtreibung drängte. Obwohl er sie unter Druck setzte und handgreiflich wurde, bestand sie darauf, das Kind zu bekommen - und entschied sich damit, noch ahnungslos, für eine radikale Wendung im Leben. Der rabiate Partner setzte sie auf die Straße. In ihrer Not ließ sich Fiona P. auf sexuelle Dienstleistungen ein - und fand sogar relativ schnell eine eigene Wohnung.

Doch die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren sollten sich jäh zerschlagen: Sie brachte das Kind bei einer extremen Frühgeburt zur Welt. Die Mutter verbringt soviel Zeit wie nur irgend möglich auf der Intensivstation. Und die Bearbeitung des Antrags beim Jobcenter zieht sich in die Länge.

Corona kostete alle Ersparnisse

Als „gepflegte, ältere Dame, die sehr auf ihre Gesundheit achtet und selten ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen muss“, wird Elvira M. beschrieben. „Ich bin eine der letzten Deutschen, die das machen“, meint sie selbstbewusst. Auch sie ließ sich einst quasi aus Ratlosigkeit und Verzweiflung auf das sogenannte horizontale Gewerbe ein - nachdem ihr Mann vor über 40 Jahren unerwartet gestorben war und ihr mit den drei Kindern nichts als Schulden hinterlassen hatte.

Die Einnahmen reichten immer - bis sie in der Corona-Pandemie alles Ersparte aufbrauchen musste. Nun kann sie nicht mal mehr die Beiträge zur Krankenversicherung, die sie als Selbstständige zahlen muss, aufbringen, ein Wechsel ist ausgeschlossen. Und aus Scham und Stolz, es doch immer aus eigener Kraft geschafft zu haben, will sie tunlichst niemandem „zur Last fallen“.


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