Racial Profiling: Wie rassistisch ist die deutsche Polizei?

24.6.2020, 05:57 Uhr
Während einer Kundgebung gegen Rassismus am 6. Juni in Stuttgart stehen Polizisten vor Demonstranten. Auf einem Transparent steht auf Englisch: "We all bleed the same colour" (Wir alle bluten in der gleichen Farbe).

© Foto: Sebastian Gollnow/dpa Während einer Kundgebung gegen Rassismus am 6. Juni in Stuttgart stehen Polizisten vor Demonstranten. Auf einem Transparent steht auf Englisch: "We all bleed the same colour" (Wir alle bluten in der gleichen Farbe).

Nasser Ahmed ist einer der ersten afrodeutschen Stadträte in Deutschland. Der 31-Jährige sitzt für die SPD im Nürnberger Rathaus. Er ist als Kind eritreischer Einwanderer in Nürnberg auf die Welt gekommen. Erfahrungen mit Alltagsrassismus hat der Kommunalpolitiker in seinem Leben mit allen Institutionen und Behörden machen müssen – vor allem auch mit der Polizei.

"Sie sprechen aber gut Deutsch"

Racial Profiling: Wie rassistisch ist die deutsche Polizei?

© Foto: Ludwig Olah

Der Doktorand in Politikwissenschaften schickt voraus: "Die Polizei ist Freund und Helfer. Sie ist Teil der Gesellschaft, aber die hat eben auch ein Problem mit Rassismus." Als verkehrspolitischer Sprecher seiner Partei setzt er sich für den Ausbau des Radwegenetzes in Nürnberg ein, er ist auch selbst leidenschaftlicher Radfahrer. Doch als er bei den Sicherheitsbehörden noch nicht als Kommunalpolitiker bekannt war, wurde er öfter mal von einer Streife angehalten. "Die haben immer dasselbe wissen wollen: Ob das Fahrrad mir gehört."


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Abgesehen von der Polizei mache seine Familie immer wieder Erfahrung mit offenem oder latentem Rassismus im Alltag: Abfällige Bemerkungen, Beleidigungen oder scheinbar harmlose Sätze und Fragen wie "Sie sprechen aber gut Deutsch" oder "Wo kommen Sie eigentlich her?" Es wird dann gar nicht akzeptiert, wenn Ahmed antwortet, dass er gebürtiger Nürnberger sei.

Cousin wurde an der Wöhrder Wiese kontrolliert

Racial Profiling: Wie rassistisch ist die deutsche Polizei?

© Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Kürzlich hielt sich sein Cousin mit Freunden auf der Wöhrder Wiese auf. Die Grünanlage war voller Menschen. Aber eine Polizeistreife, die dort guckte, ob die Infektionsschutzvorgaben eingehalten werden, fuhr an allen vorbei – und hielt dann bei seinem Cousin an. Reiner Zufall?

Der Stadtrat meidet mittlerweile den Hauptbahnhof und das Umfeld, wenn es möglich ist. Denn hier hat die Polizei ihn früher häufig kontrolliert. "So geht es mir und meiner ganzen Familie. Da fragt man sich schon, ob man was falsches gemacht hat."


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Aus seiner Sicht schwingt da immer etwas mit, dass nämlich Menschen mit anderer Hautfarbe krimineller seien als andere. "Auch wenn es von offizieller Seite heißt, dass es Racial Profiling nicht gibt. Vorurteile gibt es bei der Polizei." Mit dem Begriff Racial Profiling ist gemeint, dass Menschen alleine aufgrund von äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe von der Polizei kontrolliert werden. Das Grundgesetz verbietet das.

Mit dieser konkreten Annahme ist Ahmed nicht alleine. Sylvie Nantcha ist 1974 in Kamerun geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Von 2009 bis 2014 war sie die erste afrodeutsche CDU-Stadträtin in Deutschland, ihr Amt führte sie in Freiburg im Breisgau. "Wir wissen, dass unsere Leute öfter von der Polizei kontrolliert werden, als es eigentlich sein sollte", sagte sie kürzlich gegenüber der Deutschen Welle. Von den Mitgliedern ihrer Organisation habe sie zahllose Berichte über Racial Profiling gehört. "Ich kann von einem Fall erzählen von einem Kollegen, der in einem Zug war, in einem Waggon mit mehr als hundert Leuten. Die Polizei läuft vorbei und hält direkt vor ihm und fragen nach dem Ausweis. Das sind Sachen, die täglich passieren."

Wie Zuverlässig sind die Bewerber?

Doch wie blickt die Polizei bei diesem Thema auf sich selbst? "In der bayerischen Polizei ist kein Platz für Rassismus", heißt es aus dem Innenministerium. "Jedem Verdacht wird akribisch nachgegangen, jede persönlich oder schriftlich vorgebrachte Beschwerde oder Anzeige wird ernst genommen und sorgfältig geprüft." Das beginne schon ganz am Anfang mit der Bewerbung um eine Polizeiausbildung.


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Geguckt wird, wie zuverlässig die potentiellen Einsteiger sind, ob sie etwa extremistischem oder rassistischem Gedankengut nahe stehen. Ergeben sich Zweifel, kommt in Einzelfällen auch der Verfassungsschutz ins Spiel. Damit ist es allerdings nicht getan. "Nach der Einstellung legen die Ausbilder und Vorgesetzten ein großes Augenmerk auf das Verhalten der Auszubildenden und deren Eignung", sagt Michael Siefener, Sprecher des bayerischen Innenministeriums. "Racial Profiling" sei unzulässig. "Darauf legen wir bereits in der Ausbildung unserer Polizistinnen und Polizisten einen Schwerpunkt."

Doch bedeutet das, dass "Racial Profiling" bei der Polizei gar nicht stattfindet? Im Gespräch mit einem erfahrenen bayerischen Polizisten klingt das anders. "Es ist so. Menschen mit einer anderen Hautfarbe werden in besonders gefährdeten Bereichen je nach Lagebild öfter verdachtsunabhängig kontrolliert", erklärt der Beamte. In Nürnberg sind das beispielsweise Orte im und um dem Hauptbahnhof herum sowie in der Königstorpassage.

"Ein planvolles, von Behörden vorgegebenes Racial Profiling gibt es bei der Polizei zwar nicht. Dennoch kommt es vor." Die Polizei müsse schließlich ihren Blick schärfen. Gewisse Anhaltspunkte von Personengruppen dienten dazu, genauer hinzuschauen. "Diese Kenntnisse leiten wir aus der Lagearbeit ab", sagt er. Es gebe nun einmal rund um den Nürnberger Hauptbahnhof ein Drogenproblem und gewisse Ethnien seien in diesem Kontext verstärkt vertreten. "Warum sollen Polizisten am Bahnhof auch einen Mann verdachtsunabhängig kontrollieren, der einen Anzug trägt und wie ein Geschäftsmann aussieht?" Das sei sehr wahrscheinlich verschwendete Zeit.

Trotz seiner Erfahrungen mit der Polizei, steht für SPD-Stadtrat Nasser Ahmed fest: "Die Polizei als rassistisch zu bezeichnen, ist komplett daneben. Auf eine so einfache Formel lässt sich das keinesfalls bringen."


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