Schickedanz-Bodyguard im Interview: Wie er die Quelle-Pleite erlebte

19.10.2019, 16:16 Uhr
Bei der Eröffnung des Kaufhauses an der Fürther Straße 1967 stürmten die Massen geradezu das umgebaute und erweiterte Quelle-Warenhaus von Gustav Schickedanz und seiner Frau Grete.

© Archiv Bei der Eröffnung des Kaufhauses an der Fürther Straße 1967 stürmten die Massen geradezu das umgebaute und erweiterte Quelle-Warenhaus von Gustav Schickedanz und seiner Frau Grete.

Herr Staudt, wie wird man zum Personenschützer von Grete Schickedanz?

Wolfgang Staudt: Die permanente Bedrohungslage gegen die deutsche Wirtschaft im "Deutschen Herbst" der späten siebziger Jahre – sie fand ja zum Beispiel in der Entführung von Hanns-Martin Schleyer durch die RAF Niederschlag – veranlasste die Konzerngeschäftsleitung, den Sicherheitschef von Quelle mit der Bildung einer Personenschutzgruppe zu beauftragen. Ich kam am 1. Februar 1978 als ehemaliger städtischer Verwaltungsbeamter zur Quelle-Betriebssicherheit und sollte zunächst eigentlich dort auch kaufmännische Aufgaben abwickeln, wurde dann aber sehr schnell Teil dieser Personenschutzgruppe. Rekrutiert wurden sonst überwiegend Feldjäger oder ehemalige Polizeibeamte.

Wie groß war die Truppe damals?

Staudt: Wir waren zu zehnt.

1984 wechselten Sie in den Betriebsrat. War denn da die Quelle-Welt noch in Ordnung?

Wolfgang Staudt (65) arbeitete fast 30 Jahre bei Quelle.

Wolfgang Staudt (65) arbeitete fast 30 Jahre bei Quelle. © Foto: Marcel Staudt

Staudt: Klar, wir waren ein europaweit aufgestelltes Unternehmen, die Umsätze haben gestimmt, alles war bestens. Zumindest an der Oberfläche. Ich war für den Betriebsrat unter anderem auch im Wirtschaftsausschuss des Unternehmens. Da wurden immer glänzende Zahlen vorgelegt. Dazu fällt mir ein Zitat meines Vaters ein: "So lange es die Quelle gibt, gibt es auch eine deutsche Wirtschaft." Er hat sich leider geirrt.

Wann zeichnete sich dann für Sie die Wende ab?

Staudt: Darüber, wie die Quelle kaputtgegangen ist, habe ich meine ganz eigene Theorie: Die Saat des Untergangs wurde schon vor dem Tod von Gustav Schickedanz gesät. Man meinte wohl stets, der liebe Gustav wird uralt und stirbt nicht. Deswegen hat man sich nie um einen adäquaten Unternehmensnachfolger bemüht – um irgendeinen jungen Menschen, der dieses Imperium auch wirklich führen kann. Auf einmal starb Schickedanz dann 1977. Und seine Frau – die ohne Zweifel eine hervorragende Einkäuferin war – war trotz allem einfach betriebswirtschaftlich nicht beleckt genug, um so ein Unternehmen zu führen. Daran änderte auch die Bestallung der beiden Schwiegersöhne zu Generalbevollmächtigten nichts. In der Folge wurden innerhalb kurzer Zeit sehr viele Vorstandschefs verschlissen. Wenn ich mir jetzt überlege, wie deren Verträge damals ausgestattet waren, und dass besagte Vorstände dann abgefunden und teilweise vier oder fünf Jahre weiterbezahlt wurden, dann kann man sich vorstellen, wie viel Geld da verbrannt wurde.

Änderte sich nach dem Tod von Grete Schickedanz im Jahr 1994 etwas?

Staudt: Nein, die Geschichte wiederholte sich – damals wurde dann der ehemalige Vorstandschef Herbert Bittlinger reaktiviert. Und auch der holte externe Berater an Bord. Und wenig später gab es den nächsten Wechsel. Aber es wurden auch strategische Fehler gemacht: Man hat das aufkommende Thema E-Commerce überhaupt nicht beachtet. Als es dazu zum ersten Mal eine kleine Projektgruppe bei der Quelle gab, war Amazon schon gut auf dem Markt. Der allergrößte Fehler war aber, dass sich Madeleine Schickedanz operativ in das Geschäft eingeschaltet hat. Sie war von Anfang an falsch beraten – wie der Versuch, Karstadt zu übernehmen, belegt.


Zehn Jahre nach der Pleite: Wie Quelle unterging


Ergab der Erwerb der Warenhäuser nicht auch Sinn?

Staudt: Auf den ersten Blick vielleicht schon. Der Sektor Warenhäuser bei der Quelle schwächelte – mit den neuen Warenhäusern von Karstadt hat man gemeint, man belebt das alles. Was die Verantwortlichen aber übersehen haben ist, dass man auch ein zweites Versandhaus mit eingekauft hat: Neckermann, ebenso ein Vollsortimenter wie Quelle. Hier hat man versucht, die Geschäfte miteinander zu verknüpfen. Da wurden Millionen verbrannt. Ich war im Bereich Kundenservice tätig – die Vorgesetzten meines betriebsrätlichen Betreuungsbereiches hatten jeweils ein Büro in Fürth und eines in Frankfurt. Dieses Doppelgeschäft war auch in jedem anderen Bereich der Quelle zu finden. Man hat auch versucht, die Karstadt-Verwaltung oben in Essen abzulösen, doch das hat nie geklappt. Karstadt war immer unglaublich stark. Diese Parallelstrukturen haben die Quelle letzten Endes die Existenz gekostet, da halfen auch Konstrukte wie die Konzerngesellschaft Arcandor unter Thomas Middelhoff oder die Versanddachgesellschaft Primondo unter Marc Sommer nichts.

Wann war Ihnen persönlich klar, dass die Quelle den Bach hinuntergeht?

Staudt: Das war definitiv im Jahr 2004/05, wo die Überlegung bekanntwurde, Kernkompetenzen nach außen zu verlagern. Also die Kernkompetenz Logistik und die Kernkompetenz Kundenservice sollten aus der Quelle herausgelöst und in eigene GmbHs organisiert werden. Spätestens da war mir klar: Das kann nicht gutgehen. Wenn eine Firma Kernkompetenzen unter dem Verweis auf Kostenersparnis herauslöst, läuft etwas schief.

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