Fruchtige Note für eine extra Portion Frische

Schmeckt das? Sommerlebkuchen sorgt für kontroverse Reaktionen

8.9.2021, 11:58 Uhr
Die Sommerlebkuchen von Witte gibt es mit bonbonbunten, fruchtigen Glasuren.

© Michael Matejka Die Sommerlebkuchen von Witte gibt es mit bonbonbunten, fruchtigen Glasuren.

In diesem Supermarkt im Nürnberger Osten steht die Vorweihnachtszeit thematisch direkt neben dem Sofaklassiker Kartoffelchips: Spekulatius, Dominosteine, Kokosmakronen und Lebkuchen in allen Variationen, mit und ohne Oblaten, als mehlfreie Elisenlebkuchen oder als einfacheres "brown gingerbread" in der großen Tüte. Allmächd, sagt da der Nürnberger und greift sich an den Kopf, warum muss denn das sein: Lebkuchen schon im September?!

Geht es nach den Verkaufszahlen, muss es sein. Stellfläche ist kostbar. Gäbe es keine Menschen, die auch im Biergarten und mit Sandalen an den Füßen gerne Lebkuchen essen, würden die Supermärkte das Gewürzgebäck nicht anbieten. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 86.510 Tonnen Lebkuchen, Honigkuchen und Printen produziert. 2019 war die Produktion etwas geringer mit 86.360 Tonnen. Mit 116.240 Tonnen Gewürzgebäck war der Appetit der Deutschen im Jahr 1995 am größten. Laut dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie ist das beliebteste "Herbstgebäck" – als solches wird es dort erfasst – der Lebkuchen.

Bis zu drei Millionen Stück

Seit Ende August laufen die größeren Bestellungen der Händler ein, sagt Michael Fraunholz, Geschäftsführer der Lebküchnerei Fraunholz. Er führt das Unternehmen in vierter Generation. Bei Lebkuchen-Schmidt wird zwar das ganze Jahr über gebacken, aber erst seit Anfang Juli steigt die Produktion an bis zu den Spitzenzeiten im November. Da laufen bis zu drei Millionen Stück täglich vom Band.

Zudem hat sich inzwischen eine ganz eigene Kategorie etabliert. So genannte Sommerlebkuchen sollen das Gebäck von seiner weihnachtlicher Anmutung befreien. Daher gibt es bei der Handwerkslebküchnerei Witte Gebäck aus dem typischen Lebkuchenteig, überzogen aber mit bonbonbunter Glasur in den Geschmacksrichtungen Lemon, Erdbeere und Orange. Auch Lebkuchen Gollmann bietet diese fruchtigen Glasuren an und empfiehlt als Aufbewahrungsort den Kühlschrank, "für eine extra Portion Frische".

Als er 2008 in der elterlichen Backstube stand und seine Idee eines sommerlichen Lebkuchens vorstellte, habe man ihn für "verrückt" gehalten, erinnert sich Michael Witte. Zusammen mit seinem Bruder Daniel leitet er das Unternehmen "Witte Spezialitäten", das auf eine Bäckerei am Burgberg zurückgeht. "Lebkuchen gab es früher das ganze Jahr über, sie haben sich aber als Weihnachtsgebäck etabliert. Wie also lässt sich auch der Sommer mit dem Traditionsprodukt ausfüllen? Mit neuen Glasuren! Die haben auch den Vorteil, dass sie nicht so anfällig sind wie Schokolade, vor allem Zartbitter vergraut leichter."

"Jederzeit essbar"

Der Nürnberger Buchautor und Lebensmittelsensoriker Harald Schieder mag zwar persönlich am liebsten süße Vollmilch-Glasur, ist aber aufgeschlossen: "Ein Lebkuchen ist für mich ein Dessert, wie ein kleiner Kuchen, der jederzeit essbar ist, nicht nur, wenn es kühler ist." Die dunklen, kräftigen Gewürze des Lebkuchens erschweren seiner Ansicht nach die Zugabe einer fruchtigen Note, dennoch könne die Kombination gelingen. Vor allem zum Zitronat passen die kreativen Glasuren gut, sagt Schieder, der von Käse über Schokolade bis hin zu Spirituosen alles verkostet, was mundet. Der Fachmann empfiehlt zum Lebkuchen einen Portwein oder einen Sherry, grundsätzlich, sommers wie winters.

Bei Lebkuchen-Schmidt dagegen sollen Sommer und Lebkuchen nicht zusammenfinden. Das Unternehmen setzt auf Kreationen wie die des fränkischen Sternekochs Alexander Herrmann, der zusammen mit den Nürnbergern die "Sonnenfrüchtchen" entwickelt hat: kleine Kuchen, die zum Beispiel nach Blutorange-Joghurt schmecken. Geschäftsführer Jürgen Brandstetter betont: "Aber unser echter Nürnberger Lebkuchen soll bewusst ein Saisonprodukt bleiben!"

Anders sieht das Michael Fraunholz, der schon seit langem dagegen kämpft, dass Lebkuchen "mit Winter verknüpft" ist. In Spitzenzeiten produziert er 10.000 Stück am Tag, diese liegen aber nur in den kalten Monaten. "Wir haben das Feedback, dass sich die Sommerlebkuchen ganz ordentlich verkaufen", sagt er, "vielleicht starten wir damit im nächsten Jahr einen Versuch."

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