Späterer Unterrichtsbeginn: Testläufe an Nürnberger Schulen

7.1.2020, 22:11 Uhr
Die Rahmenbedingungen für den Nürnberger Testlauf sind gesteckt: An Schulen, die sich beteiligen, beginnt der Unterricht frühestens um neun Uhr und endet entsprechend später.

© Franziska Kraufmann/Symbolbild (dpa) Die Rahmenbedingungen für den Nürnberger Testlauf sind gesteckt: An Schulen, die sich beteiligen, beginnt der Unterricht frühestens um neun Uhr und endet entsprechend später.

Wissenschaftlich ist es längst bewiesen: Der Schlaf-Wach-Rhythmus verändert sich in der Pubertät. Teenager schlafen später ein und würden, wenn sie denn dürften, später aufstehen. Die US-Fachgesellschaft der Kinderärzte hat 2014 eine konkrete Empfehlung abgegeben: Der Unterricht sollte nicht vor 8.30 Uhr beginnen.

Dieser Meinung ist auch Alexander Liebel, der für die FDP im Stadtrat sitzt. Er hatte in einem Antrag an die Stadtverwaltung einen Modellversuch gefordert, in dem der Unterrichtsbeginn dem Biorhythmus der Schüler angepasst wird. Sein Vorschlag stößt auf viel Zustimmung. Im Schulausschuss des Stadtrats sind sich die Parteien einig, dass es einen Versuch wert ist, die jungen Leute später aus den Federn zu jagen.

Eine Stunde Betreuung

Bevor der Modellversuch in Nürnberg beginnt, sollen erst einmal Meinungen dazu eingeholt werden: Sind Schulen überhaupt interessiert daran, später mit der Arbeit zu beginnen? Welche Schulen möchten mitmachen und warum? In der Befragung sollen wissenschaftliche Ergebnisse aus Studien zum Biorhythmus einfließen und Erkenntnisse darüber, wie sich ein später beginnender Unterricht auf Leistungen und Motivation der Schüler auswirkt.

Die Rahmenbedingungen für den Nürnberger Testlauf sind gesteckt: An Schulen, die sich beteiligen, beginnt der Unterricht frühestens um neun Uhr und endet entsprechend später. Die Schüler werden von acht bis neun Uhr betreut. Der Projekt-Zeitrahmen umfasst die Schuljahre 2020/21 und 2021/22. Offen ist noch, ob eine komplette Schule mitmachen muss oder ob auch nur einzelne Klassen teilnehmen können. Das Schulreferat hält einheitliche Startzeiten für sinnvoll, weil sonst die Stundenplangestaltung noch aufwendiger werde.

"Sardinendosen-Effekt"

Die Ergebnisse der Befragung sollen im Juni präsentiert werden. "In dem Modellversuch können wir Erfahrungen sammeln und dann überlegen, ob man dabei bleibt", sagt Schulbürgermeister Klemens Gsell (CSU). "Ich bin für alles offen." Er erinnert aber auch an den G8-Effekt: "Wenn der Unterricht später endet, kann es wieder zu Kollisionen mit dem Freizeitprogramm der Schüler kommen – mit Sport oder Musikunterricht." Positive Signale erwartet Gsell von der VAG.

Vor allem in der U2 zwischen Hauptbahnhof und Nordostbahnhof sei der "Sardinendosen-Effekt" morgens groß. "Die Situation, so wie sie aktuell ist, können wir stemmen", sagt eine VAG–Sprecherin dazu. "Aber wenn einige Schulen erst um neun Uhr begännen, würde der Verkehr natürlich entzerrt." Voraussetzung für das 9-Uhr-Modell sei, dass alle Beteiligten einverstanden sind, betont Alexander Liebel. "Das darf nicht von oben verordnet werden."

Sozialer Jetlag

Darauf weist auch Manfred Hierl hin, der Leiter des Amts für allgemeinbildende Schulen. Er finde die Pläne "überaus spannend", sagt er und betont ebenfalls, dass niemandem etwas aufgezwungen werden dürfe. "Das entscheidet die Schulleitung gemeinsam mit dem Schulforum. Denn schließlich hat ein veränderter Unterrichtsbeginn auch organisatorische Konsequenzen. Außerdem stellen sich personelle Fragen. Da muss man die Karten schon auf den Tisch legen."

Für einen späteren Unterrichtsbeginn plädiert auch Prof. Dr. Kneginja Richter. Die Oberärztin leitet am Klinikum Nürnberg die Schlafsprechstunde der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Zentrum für Schlafmedizin. Sie hält einen Schulbeginn ab neun Uhr für sinnvoll. "Ich befürworte diesen Modellversuch sehr", sagt sie im Gespräch mit der NZ. "Aus der Wissenschaft wissen wir, dass junge Leute zwischen 14 und 19 Jahren unter dem sozialen Jetlag leiden."

Das heißt, sie leben gegen ihre innere Uhr. "Ihr Schlafrhythmus hat sich verschoben. Sie sind nachts aktiv und gehen spät ins Bett. Wenn sie könnten, würden sie erst mittags aufstehen." Schrieben die Jugendlichen in der ersten oder zweiten Schulstunde eine Ex oder Schulaufgabe, befänden sie sich eigentlich noch in der letzten Schlafphase, fügt Kneginja Richter hinzu.

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