Sterben mit Corona: Auch die Hinterbliebenen leiden

30.12.2020, 05:35 Uhr
Keine Umarmungen, keine Küsse: Der Abschied von sterbenden Infizierten ist für viele Angehörige schwer.

© ute grabowsky via www.imago-images.de, NN Keine Umarmungen, keine Küsse: Der Abschied von sterbenden Infizierten ist für viele Angehörige schwer.

Es war ein schwerer Abschied. Ein Abschied, der Andrea K. (Name geändert) so zugesetzt hat, dass es ihr schwer fällt, darüber zu reden. Vor einem Monat ist ihre Mutter in einem Nürnberger Altenheim an Corona gestorben. Schon Wochen zuvor hatte K. die 92-Jährige nicht mehr gesehen. Das Virus hatte sich in der Einrichtung ausgebreitet, die Mitarbeiter baten darum, auch bei gesunden Bewohnern auf Besuche zu verzichten. Als die Mutter erkrankte, war ein Kontakt dann ohnehin tabu. Deshalb habe sie nach deren Tod wenigstens noch Abschied nehmen wollen, erzählt K.

Sie sei froh, dass ihr das ermöglicht wurde, betont die 62-Jährige. Die Umstände dieses Abschieds würde sie dennoch gerne vergessen. "Ich habe mich gefühlt wie in einem Science-Fiction-Film." Denn einfach mal so ans Sterbebett zu treten, das geht in diesen Wochen nicht.

Andrea K. wurde in einen separaten Raum geführt, musste sich Maske, Gesichtsschild, Kittel und Handschuhe anziehen und wurde erst dann zu der Verstorbenen gebracht. "Ich hätte sie so gerne noch ein letztes Mal umarmt und geküsst", sagt die Tochter. Statt dessen blieb ihr nur eine zaghafte Berührung mit den Gummihandschuhen. "Das war richtig hart. Ich werde diese Bilder nie mehr aus dem Kopf bekommen."

Kein Zugang erlaubt

So wie Andrea K. geht es vielen Angehörigen in diesen Tagen. Auch mehrere Altenseelsorger aus der Region schlagen deshalb Alarm. Die Lage spitzt sich aus Sicht der professionellen Begleiter derzeit dramatisch zu. Weil die Zahlen ansteigen, lassen einige Heime keine Angehörigen mehr ins Haus, nur Seelsorger dürfen dort die Sterbenden auf den Isolierstationen begleiten. "In einem meiner Heime sterben täglich zwei bis vier Menschen mit Corona", berichtet Pfarrerin Cornelia Auers. "Auf den Stationen ist es sehr still, alle sind in ihren Zimmern in Quarantäne."

Auch für das Personal sei die Belastung enorm, sagt Pfarrerin Julia Arnold, die ebenfalls in der Altenseelsorge tätig ist. Die Pflegekräfte hätten schlichtweg keine Zeit, sich ans Bett zu setzen. "Die menschlichen Kontakte sind so auf ein Minimum beschränkt und die Patienten liegen die meiste Zeit alleine in ihren Betten." Manchmal dürfen nicht einmal mehr die Seelsorger ins Haus. "Trotz Sterbeprozess und Wunsch der Angehörigen: kein Zugang erlaubt", so schildert der Fürther Pfarrer Rudolf Koch die Situation in einer schwer von Covid 19 betroffenen Station. "Für niemanden. Auch kein Palliativ-Team." In seinen Augen sei das "bei allem Verständnis nicht hinnehmbar".

Manche Einrichtungen gehen deshalb einen anderen Weg, lassen bis zuletzt auch die Angehörigen ins Haus, trotz Corona. "Es muss und soll keiner allein sterben", sagt Ina Schönwetter-Cramer, Leiterin des Käte-Reichert-Heimes und designiertes Mitglied im Kreisvorstand der Arbeiterwohlfahrt Nürnberg. Auch am Klinikum Nürnberg lässt man in Ausnahmefällen noch Besucher zu - unter anderem dann, wenn ein Mensch im Sterben liegt.

Der persönliche Kontakt fehlt

Was vielen jedoch fehlt, ist die Phase des Abschiednehmens in der Zeit davor. "Wenn man seinen kranken Angehörigen nicht sehen und vielleicht nicht einmal mit ihm telefonieren kann, dann hat man ja keinen Eindruck, wie es ihm geht", sagt Ulrike Otto, Seelsorgerin am Klinikum Nord. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen habe sie eine Art Brückenfunktion, "wir schildern den Angehörigen unsere Eindrücke". Manchmal stellen die Mitarbeiter auf den Stationen auch einen Kontakt via Tablet-Computer her. Doch komplett ersetzen könne das den physischen Kontakt nicht, betont die Pfarrerin. Auch nach dem Tod können sich die Angehörigen verabschieden, dafür gibt es einen speziellem Raum. "Wir versuchen, einiges zu ermöglichen", sagt Otto. "Es ist ein kontinuierlicher Lernprozess, wie es am besten gehen kann."

Was nicht geht, wenn ein Mensch an Covid-19-Infektion verstorben ist, ist eine Aufbahrung im offenen Sarg. So regelt es die Bayerische Bestattungsverordnung, der entsprechende Paragraf gilt auch bei anderen Infektionskrankheiten, weiß Olaf Stier, Inhaber von Trauerhilfe Stier. Die meisten Hinterbliebenen hätten Verständnis für die Vorgaben, sagt Stier, der trauernde Angehörige auch auf die derzeit geltenden Teilnahmebeschränkungen bei Beerdigungen hinweisen muss. Manchen mache es jedoch sehr zu schaffen, dass sie sich im kleinen Kreis verabschieden müssen. Die Anteilnahme anderer sei schließlich für viele ein Trost. "Doch dazu gehört der persönliche Kontakt."

"Die Umstände waren herzzerreißend"

Auch Markus B. (Name geändert) hat den Tod seiner Mutter noch nicht ganz verarbeiten können. "Dass jemand mit 92 Jahren stirbt, ist okay", sagt der 69-Jährige. "Aber die Umstände waren für mich herzzerreißend." Auch B.s Mutter ist in einem Pflegeheim gestorben, schon in den Wochen zuvor hatte ihr Sohn sie nicht mehr besuchen können. Zunächst habe er noch regelmäßig mit ihr telefonieren können, sagt B., "irgendwann ging das nicht mehr, weil sie zu schwach war." Nicht zu wissen, wie sie sich in ihren letzten Tagen gefühlt habe, ob sie adäquat versorgt wurde, "das ist schrecklich für mich". Als er im Schutzanzug von der Verstorbenen Abschied nahm, habe er sie eigentlich nicht einmal anfassen dürfen. "Ich habe ihr trotzdem noch einmal über die Haare gestrichen. Die Erinnerung daran kommt immer wieder hoch."

Andrea K. tröstet sich mittlerweile manchmal mit einem anderen Bild. Bei ihrer letzten Begegnung habe sie mit ihrer Mutter im Sonnenschein auf der Terrasse gesessen und sie dabei lebendig und fröhlich erleben dürfen. "Mich tröstet, dass sie nach allem was ich weiß, nicht leiden musste", sagt die Nürnbergerin. "Das war ihr größter Wunsch. Und natürlich auch meiner."

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