Übertritt: Verbände fordern Chancengleichheit für Viertklässler
12.3.2021, 05:55 Uhr
Bayern regelt den Wechsel auf eine weiterführende Schule besonders streng. Während in fast allen 16 Bundesländern die Eltern auf der Basis einer Schulempfehlung über das Wohin entscheiden, ist hierzulande allein der Notendurchschnitt und die Empfehlung der Grundschule ausschlaggebend. Der Schnitt liegt bei 2,33 für das Gymnasium bzw. bei 2,66 für die Realschule.
"Sie erreicht hiermit ein Hilfeschrei!" So begann der Leserbrief einer Mutter aus Hilpoltstein. "Die Kinder müssen Proben schreiben über ein Thema, das im Distanz- und/oder Wechselunterricht unter unterschiedlichsten familiären Voraussetzungen vermittelt wurde. Das hat mit Chancengleichheit nichts zu tun!"
Das sind Nürnbergs weiterführende Schulen
In einem anschließenden Telefonat erzählte sie, ihrem Kind sei am dritten Präsenztag der erste Probetermin verkündet worden, vier Proben stünden noch aus, nächste Woche müsse ein Referat für eine mündliche Note gehalten werden. "Da war die Wiedersehensfreude nur von kurzer Dauer", sagte sie. Die Kinder müssten gerade nur eines: "einfach liefern".
Zwar hat das Kultusministerium reagiert. Im Laufe des Schuljahres wurden die ursprünglich für das Übertrittszeugnis angesetzten 22 Proben erst auf 18 und nun 14 reduziert, was im Bedarfsfall sogar unterlaufen werden könnte. Das nimmt zwar den zeitlichen Druck – bis zum 7. Mai sind es nur noch wenige Wochen abzüglich zwei Wochen Osterferien. "Was Piazolo aber nicht bedacht hat: Wenn ich die Anzahl verringere, erhöhe ich das Gewicht jeder einzelnen Note", sagt Heike Gebhardt, die für Bayerns Elternverband (BEV) den Landkreis Fürth betreut.

Deshalb fordert die Mutter aus Hilpoltstein, aber auch Bayerns Eltern- sowie Lehrerinnen- und Lehrerverband BLLV: In diesem Ausnahmejahr müsse in Bayern der Elternwille freigegeben werden. Die Schule empfiehlt, doch am Ende entscheiden die Eltern, auf welche Schule das Kind geht.
Kommentar zu Schulübertritten: Gebt den Elternwillen frei
Über 900 Unterschriften kamen bislang bei einer Petition auf der Plattform Open-Petition zusammen. Sie trägt den Titel "Für Chancengleichheit – kein verbindliches Übertrittszeugnis im Coronajahr 2021!". Initiatorin der Petition ist Ruth Zeifert. Auch sie wandte sich mit einem mehrseitigen Schreiben an unsere Zeitung. "Mir ist nicht klar", schreibt Zeifert, "warum unsere Kinder jetzt nicht Zeit zum Aufholen bekommen und das so lange entbehrte soziale Miteinander im Mittelpunkt jeglicher Präsenzveranstaltung steht."
Die Kommentare unter der Petition sprechen für sich. Eine Frau schreibt: "Wir waren unter anderem zweimal in Quarantäne und haben sehr viel an Stoff verloren. Ich bin Alleinerziehend und habe nicht die Möglichkeit, meine Kinder neben meiner Home-Office-Tätigkeit ausreichend zu unterstützen."
Was der Bildungsgerechtigkeit sowie der Vergleichbarkeit, deren Basis die Noten bilden, ebenfalls widerspricht: Die Wissensstände der Grundschulen, ja noch nicht mal der Klassen sind vergleichbar. Und der regional und lokal unterschiedliche Inzidenzwert sorgt für unterschiedliche Beschulungsarten. In Fürth etwa musste der Wechselunterricht wieder ausgesetzt werden. Es darf nur eine Probe pro Woche geschrieben werden und im Distanzunterricht gar keine. Die Zeit rennt. Und was wird aus den Kindern, die in Quarantäne sind?
"Im vergangenen Schuljahr wurde das Übertrittsverfahren auch angepasst. Verpflichtende Proben wurden durch freiwillige ersetzt. Wer sich verbessern wollte, der konnte. Dieses Schuljahr ist noch viel schlimmer von der Krise betroffen, aber nichts wirklich Erleichterndes passiert", kritisiert Heike Gebhardt vom Elternverband. BLLV und Elternverband wollen zusätzlich das freiwillige Wiederholen des Schuljahres ermöglichen – ohne dass es auf die Höchstschul-, Höchstudien- oder Ausbildungsdauer angerechnet wird.
Der BLLV geht mit seiner Forderung noch weiter: Aufgrund der strukturellen und sozialen Chancenungleichheiten und der Unplanbarkeit der Pandemieentwicklung sollte in diesem Jahr auf die Benotung verzichtet werden. "Lehrkräfte sind sehr gut in der Lage, die Kompetenzen der Kinder auch ohne Notenskala einzuschätzen", sagt Markus Erlinger, Vorsitzender des Bezirks Mittelfranken. Und die meisten Eltern könnten realistisch einschätzen, was ihren Kindern zuzumuten sei. "Erst recht nach der langen Zeit des Homeschoolings." Schließlich haben sie die schulische Entwicklung des Kindes zu Hause beobachtet und begleitet.
Ab Montag wird an Schulen getestet
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Der Bayerische Realschullehrerverband etwa ist gegen die Freigabe des Elternwillens. "Der Übertritt an eine weiterführende Schule muss weiter auf Leistungskriterien aufbauen", wird Vorsitzender Jürgen Böhm in einer Pressemitteilung zitiert. "Wir wollen unsere Schülerinnen und Schüler nicht mit dem Corona-Stempel brandmarken."
Auch eine Nürnberger Grundschullehrerin ist skeptisch. "Ich bin zwar für die Freigabe des Elternwillens – aber nicht von heute auf morgen. Dann können sich die Gymnasien und Realschulen vor Anmeldungen nicht retten.
Was wäre denn die Lösung? Die Lehrerin überlegt. "Ich habe leider auch keine. Das ist die Quadratur des Kreises. Die Kinder tun mir wirklich leid."
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