Vermeintlicher Müll: Klinikum entsorgt Tasche eines Verstorbenen

28.5.2020, 10:36 Uhr
Ein Mann wird auf der Intensivstation behandelt. (Symbolbild)

© Peter Kneffel/dpa Ein Mann wird auf der Intensivstation behandelt. (Symbolbild)

Eigentlich ist die Sache klar: Wertgegenstände werden noch bei der Einlieferung oder beim nächsten Besuch den Angehörigen mitgegeben. Doch Corona ändert alles – auch die Abläufe im Krankenhaus. Manfred Söldner lag bereits im Sterben, als seine Angehörigen ihn endlich besuchen durften. Und die hatten zu diesem Zeitpunkt andere Sorgen, als sich um den Verbleib seiner Habseligkeiten zu kümmern. Als sie nach seinem Tod nach den Sachen fragten, waren diese verschwunden – und sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.


Corona in Nürnberg und der Region: Der aktuelle Stand 


Doch von vorn: Anfang April entwickelt Manfred Söldner einen eigenartigen Husten mit Auswurf. Der 81-jährige Hersbrucker ist topfit, fährt noch Motorrad. Seine Frau fährt mit ihm zum ärztlichen Bereitschaftsdienst, weil er am Wochenende Fieber bekommt. Dort heißt es: Das ist kein Corona. Ihm werden Medikamente verschrieben.

Zur Sicherheit geht Söldner aber noch zu seinem behandelnden Internisten, einem guten Freund der Familie. Auch dieser rechnet nicht mit einer Sars-CoV-2-Infektion, führt aber dennoch einen Test durch. Als der 81-Jährige kurz darauf stürzt und kaum wieder auf die Beine kommt, ruft die Familie den Notarzt. Manfred Söldner wird auf Rat seines Arztes ins Klinikum Süd eingeliefert. Dort liegen nämlich wegen einer früheren OP seine Daten bereits vor.

Auch Fotos sind verloren

Zunächst ist Manfred Söldner noch guter Dinge, telefoniert gutgelaunt mit seiner Frau. Doch dann geht alles ganz schnell: Wegen einer Lungenentzündung muss er intubiert und ins künstliche Koma versetzt werden. Zweieinhalb Wochen lang ist es ein stetes Auf und Ab, erinnert sich seine Witwe: "Mal hieß es, die Werte sehen gut aus, mal war sein Zustand schlecht." Seine Familie durfte ihn in dieser Zeit wegen der Infektionsgefahr nicht besuchen. "Ich war die ganze Zeit alleine im Haus", erinnert sich Ingrid Söldner an diese schwere Zeit.

Schließlich erwacht der 81-Jährige aus dem Koma. Doch er schafft es nicht. Als er stirbt, ist einer seiner vier Söhne bei ihm. Nur wenige Male hatte die Familie ihren Ehemann und Vater noch sehen dürfen, nachdem klar war, dass er vermutlich sterben würde. Nach seinem Tod sitzt die Familie noch eine Stunde am Bett des Verstorbenen.

Schließlich wollen die Söldners gehen und fragen nach der Reisetasche und der Umhängetasche, die Manfred Söldner bei sich hatte. Darin befanden sich unter anderem zwei teure Handys, eine Smartwatch sowie der Geldbeutel mit mehreren Hundert Euro Bargeld und allen Papieren. Traurig ist Ingrid Söldner aber vor allem, weil sich auf einem der Handys auch alle Fotos befanden, die ihr Mann in den letzten Monaten gemacht hat. "Und seine Umhängetasche hätte ich gern gehabt. Die hatte er überall dabei."

Alle im Klinikum seien sehr nett und hilfsbereit gewesen, erinnert sich Ingrid Söldner. Doch die Sachen ihres Mannes sind unauffindbar. Ihr Sohn Jens Söldner braucht fünf Tage, um jemanden in der Verwaltung zu erreichen, der sich der Sache annimmt. Wie kann es zu einer solch folgenschweren Panne kommen? Die NZ fragte beim Klinikum Nürnberg nach.

Dort bedaure man den Verlust, heißt es in der E-Mail der Pressestelle: "Wegen der aktuellen Corona-Situation müssen diverse Abläufe auf den Stationen aus hygienischen Gründen (Infektionsgefahr) anders gehandhabt werden als normalerweise. Dies betrifft auch den Umgang mit dem eingebrachten Patienteneigentum von Covid-Patienten oder Patienten, die als Verdachtsfall aufgenommen werden." Es müsse in desinfizierbaren Beuteln aufbewahrt werden, die mit einem Patientenaufkleber versehen und gesondert gelagert werden.

 

"Im vorliegenden Fall wurde ein großer grauer Beutel verwendet und vermutlich von einer Reinigungskraft irrtümlich entsorgt, obwohl der Sack einen Patientenaufkleber trug", heißt es in der Mail des Klinikums.

Genaue Verteilung ist unklar

Das Klinikum Nürnberg verwendet bei Corona-Fällen also offenbar dieselben – oder jedenfalls zum Verwechseln ähnliche – Säcke zur Aufbewahrung von Patienteneigentum und zur Müllentsorgung.

Wie viele Habseligkeiten im Klinikum abhanden kommen, dazu macht das Klinikum keine genauen Angaben. Die Zahl liege "im Promillebereich". Ein Promille würde beispielsweise bedeuten, dass bei einem von 1000 Patienten Eigentum verschwindet. Nicht immer sei allerdings das Klinikum für das Verschwinden verantwortlich. Wie die Verteilung genau aussieht, bleibt ebenfalls unklar.

Die Patienten würden bei ihrer Aufnahme auf eine mögliche Diebstahlgefahr hingewiesen und gebeten, Wertgegenstände wenn möglich den Angehörigen mit nach Hause zu geben. Für Patienten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, auf ihr Eigentum zu achten, bestehe die Möglichkeit der Verwahrung im Klinikum. "Diese Abläufe können allerdings im Falle einer Covid-19-Erkrankung abweichen", schreibt die Pressestelle.

Das Klinikum Nürnberg ist gegen solche Verluste versichert, Familie Söldner wird also das Geld für ihre Wertgegenstände erstattet bekommen. Ein schwacher Trost für Ingrid Söldner, denn die Fotos und Erinnerungsstücke ihres Mannes bleiben verloren.


Verpassen Sie keine Nachricht mehr! In unserem täglichen Corona-Newsletter erfahren Sie alles Wichtige über die aktuelle Lage in der Coronakrise. Hier kostenlos bestellen. Immer um 17 Uhr frisch in Ihrem Mailpostfach.

Mit unserem E-Paper-Aktionsangebot erhalten Sie die wichtigsten Corona-News im Zeitungs-Format direkt nach Hause: Ein Monat lesen für nur 99 Cent! Hier gelangen Sie direkt zum Angebot.

17 Kommentare