Ein besonderer Raum

Was sich hinter dem "Geheimnis" des Sebalder Pfarrhofs in Nürnberg verbirgt

Hartmut Voigt

Lokalredaktion Nürnberg

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31.5.2022, 15:59 Uhr
Was sich hinter dem

© Roland Fengler, VNP

In alten Bauakten wird der kleine Raum rechts am Eingang des Sebalder Pfarrhofs als "Das Geheimnis" bezeichnet. Was jedoch das Geheimnis sein soll, weiß niemand. Vielleicht die hinter einer schmalen Tür verborgene Spindeltreppe. die in den prächtigen Saal im zweiten Obergeschoss führt? Das ist nur eine Vermutung.

Aber bei der grundlegenden Sanierung des Sebalder Pfarrhofs trat tatsächlich ein kleines Geheimnis zutage, das jetzt jeder in einer neuen Dauerausstellung anschauen kann. Über der Eingangstür ist ein jüdischer Grabstein eingemauert, der unter dem Putz verborgen war und erst 2019 bei den Bauarbeiten wieder entdeckt wurde. Er erinnert an eine Frau Gutlin, die 1334 beerdigt wurde - oder im Jahr 5095 nach jüdischer Zeitrechnung. Und auf der Eingangstür fand sich direkt auf dem Holz unter verschiedenen Lackschichten ein Segensspruch in hebräischer Schrift: "Durch dieses Tor soll kein Kummer kommen."

Wie kommt es zu diesen jüdischen Spuren in einem evangelischen Pfarrhof? Das bleibt rätselhaft. Kein Geheimnis ist dagegen für den Sebalder Pfarrer Martin Brons, dass es sich bei Frau Gutlins Grabstein um eine Grabschändung handelt. Denn er gehörte schließlich auf den damaligen jüdischen Friedhof in Nürnberg und nicht in die Wand des Pfarrhauses. Daher bot der evangelische Geistliche die Rückgabe des Steins an die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg (IKGN) an.

Heftige, konträre Diskussion

"Es ist richtig: Das Judentum hat ein ganz besonderes Verhältnis zu den Toten. Ihre Grabstätten dürfen niemals aufgelassen werden, bis eines Tages der Messias kommt", erklärt IKGN-Vorsitzender Jo-Achim Hamburger. Es gab innerhalb der Gemeinde eine heftige, konträre Diskussion, ob man den Grabstein zurücknehmen oder ihn am jetzigen Ort belassen solle.

Dabei kam auch zur Sprache, wie die mittelalterliche christliche Kirche generell die Juden diffamiert hatte: als Hostienschänder, Ritualmörder und Brunnenvergifter. Auch in St. Sebald sind solche wüsten Diskriminierungen zu Stein geworden -etwa mit der sogenannten "Judensau" am Ostchor: Dort hat der Steinmetz in sieben Meter Höhe Juden dargestellt, die an den Zitzen eines Schweins saugen. Das Tier gilt im Judentum als unrein. Eine weitere Darstellung findet sich am Marienportal, an dem Juden nach dem Sarkophag Marias greifen, dabei verkrüppeln ihnen die Hände.

Wichtiges Signal

Dass man seitens der Sebalder Gemeinde nun sofort großes Verständnis für jüdische Belange äußerte und die Rückgabe des Grabsteins anbot, war für Hamburger ein wichtiges Signal: "Pfarrer Brons hat ein sehr einfühlsames, sensibles Vorgehen gezeigt, er ist ein Mann des redlichen, streitbaren Dialogs." Die Einbeziehung der IKGN von Anfang an sei vom Vorstand sehr positiv aufgenommen worden.

In gemeinsamen Überlegungen hat man anschließend die Idee eines "Einraum-Museums Stein und Tür" entwickelt - als einen Mosaikstein jüdischen Lebens in Nürnberg, den jeder Passant ab sofort kostenfrei kennenlernen kann. "Es ist ein großer Glücksfall, eine Metapher für religiöse Versöhnung", betont Hamburger, denn hier seien Juden und Christen eng miteinander verbunden.

Mörderische Katastrophe

Auch Pfarrer Brons freut sich über die intensive Kooperation, über das Sichtbarmachen des wechselhaften Schicksals der Nürnberger jüdischen Gemeinde: ihre wirtschaftlichen Erfolge, kulturelle Spitzenleistungen wie etwa die Schriften des Rabbiners Sefer Mordechai, der 1298 in Nürnberg umgebracht wurde - und immer wieder gnadenlose Pogrome bis hin zur mörderischen Katastrophe der Shoah im Nationalsozialismus. 1933 waren in Nürnberg mehr als 10.000 Juden gemeldet, im Jahr 1945 waren es nur mehr 38 Personen.

In dem etwa 15 Quadratmeter kleinen Raum im Sebalder Pfarrhof kann man das christlich-jüdische Verhältnis quer durch die Jahrhunderte natürlich nicht lückenlos darstellen, Schlaglichter müssen genügen. Die kleine Dauerausstellung spricht auch die Mitschuld der Sebalder Christen in der NS-Zeit an. Brons hat viel Material aus dem landeskirchlichen Archiv auswerten lassen: "Es war ernüchternd und erschreckend. Seitens des Kirchenvorstands gab es keinerlei Hilfe oder Unterstützung für die Nürnberger Juden. Dazu findet sich nichts."

Geheimnis gelüftet

Das "Einraum-Museum" ist erfreulicherweise nicht überfrachtet: Kurze Texte, Hörstationen, Fotografien, ein Video, in dem sich Mitglieder der evangelischen und der jüdischen Gemeinde äußern, dazu eigens aufbereiteter Kinder-Rundgang lockern den Besuch auf. Die Zusammenarbeit der beiden Gemeinden sowie die Unterstützung durch die städtischen Museen und den Verein Geschichte für alle hat sich gelohnt.

Ein weiteres "Geheimnis" des Raums ist nun auch noch gelüftet: Wie aus dem Grabstein für eine Tote eine lebendige Beziehung zwischen jüdischer und christlicher Gemeinde geworden ist.


Die Ausstellung "Stein und Tür" im Sebalder Pfarrhof, Albrecht-Dürer-Platz 1, ist kostenlos und täglich zwischen 9 Uhr und 18 Uhr geöffnet.

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