Kriegsende in Roth

Vor 75 Jahren: US-Bomber drehten im letzten Moment ab

4.4.2020, 12:17 Uhr
Nach der Sprengung der regulären Brücken wurde eine Notbrücke über die Roth gebaut, um die Stadtteile wieder zu verbinden.

© Foto: Stadtarchiv Roth Nach der Sprengung der regulären Brücken wurde eine Notbrücke über die Roth gebaut, um die Stadtteile wieder zu verbinden.

Am Donnerstag, 19. April 1945, flogen die Amerikaner einen Luftangriff auf das Zentrum, nachdem ihre Panzer bis an den Stadtrand herangerückt waren. Abwürfe von Brandbomben und Schüsse aus den Bordwaffen kosteten zwei Menschen das Leben. Eine 26-Jährige starb an der Stadtbleiche im Kugelregen. Eine ältere Frau stürzte eine Treppe herab und erlitt dabei einen tödlichen Schlaganfall. Gebäudeschäden entstanden an Anwesen in der Mühlgasse, der Kugelbühlstraße, im Holzgarten an der Hilpoltsteiner Straße, an den Gebäuden der Firma Riffelmacher und Weinberger sowie bei den Leonischen Drahtwerken. Auch der Turm der evangelischen Stadtkirche wurde in Mitleidenschaft gezogen.

Heftige Kämpfe

Der erste Schuss der Amerikaner beim Angriff auf eine Ortschaft galt meist dem höchsten Punkt des Ortes, da dort deutsche Luftraumbeobachter vermutet wurden. Das Gebälk des Kirchturmes hatte sich infolge vorausgegangenen Artilleriebeschusses entzündet. Nach tagelangem Schwelbrand stürzte die Zwiebelhaube der "Turmlaterne" am 22. April 1945 ab. Weithin sichtbar stand fortan der beschädigte Kirchturm für eine getroffene Stadt. An 174 Gebäuden waren Schäden entstanden.

In der zweiten Aprilhälfte erreichten die amerikanischen Bodentruppen den Raum Schwabach-Roth. Es kam zu heftigen Kämpfen, die Opfer unter Zivilbevölkerung und Militär forderten sowie zahlreiche Zerstörungen in Dörfern und Städten nach sich zogen. Am 17. April 1945 trafen nachmittags die ersten feindlichen Artilleriegeschosse Roth. Rednitzhembach und Schwand waren bereits am 17. April 1945, Schwabach und Kammerstein zwei Tage später von amerikanischen Truppen besetzt worden.


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Um den Vormarsch der Alliierten zu bremsen, wurden am 19. April 1945, gegen 21 Uhr, in Roth drei Brücken gesprengt. Wer dafür verantwortlich war, konnte nicht mehr ermittelt werden. Die Sprengladungen brachten nicht nur die Steinerne Brücke über den Roth-Fluss, die Rednitzbrücke in der Bahnhofstraße und die Unterführung am Bahnhof zum Einsturz, sondern verursachten auch große Schäden. Pflastersteine flogen mehrere hundert Meter weit und durchschlugen Hausdächer wie Papier. Dass die Bahnbrücke in Kauernhofen verschont blieb, verdankt die Stadt laut Heimatforscher Hansjörg Herold mutigen Rother Bürgern. Die einen hielten das Sprengkommando fest, die anderen entfernten die Sprengsätze.

Ziegel auf der Straße

Der Fuhrunternehmer Fritz Nüßlein wurde beauftragt, Mehl von der Hebresmühle bei Aurau abholen. Tochter Hedwig begleitete ihn. Auf dem Rückweg zum Wohnhaus in der Kugelbühlstraße stand zwar die Rednitzbrücke noch, die Gefahr aber kam aus der Luft. Der Transporter wurde von Tieffliegern verfolgt. Es fielen Schüsse. Gleichzeitig wurde eine Brandbombe abgeworfen. Der Fuhrunternehmer erlitt einen Oberschenkeldurchschuss.

Wie stark die US-Flieger Kühnleins Anwesen beschossen, weiß man von seiner Tochter Hedwig Moser: "Der Betonboden im Hof war durchlöchert wie ein Sieb", schrieb sie. Am 19. April traf eine Splitterbombe das Elternhaus von Erich Kalb in der Mühlgasse 3. Kalb: "Nach dem Angriff lagen die Ziegel auf der Straße. Auf der anderen Seite brannte das Haus der alten Frau Bachinger. Mein Großvater organisierte eine mit Wassereimern bestückte Stafette, um des Feuers Herr zu werden"".

Die Nacht zum 20. April verlief ruhig. Zwar flogen Granaten in Richtung Rednitztal, verursachten aber kaum Schäden. Ein Teil der Menschen hatte in den Sommerkellern oder in den Wäldern Schutz gesucht. Die meisten Rother blieben in den Schutzräumen. Beherzte Rother Frauen suchten die deutsche Befehlsstelle im Keller der Gaststätte Jägerheim auf und drängten Stadtkommandant Oberst Hermann Steindorf zur Übergabe an die Amerikaner. Er beruhigte sie: "Meine Damen, verlassen sie sich darauf, dass ich so handle, wie es für Roth und seine Einwohner richtig ist."

Als erster nahm Karl Himmelein mit US-Soldaten Kontakt auf, am Freitag, 20. April, gegen 9 Uhr, als die ersten US-Fahrzeuge vor den Resten der gesprengten Steinernen Brücke standen. Karl Himmelein, ein Bruder des Rother Metzgermeisters Himmelein, hatte sich ein weißes Tuch besorgt, den Rothfluss durchwatet und Verbindung aufgenommen. Als Nürnberger Taxifahrer sprach Himmelein gut Englisch.

An die Übergabe der Stadt an die Amerikaner in der Mittagszeit des 20. April durch Bürgermeister Robert Groß, von 1919 bis 1933 parteiloses Stadtoberhaupt und seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, kann sich Benno Basso gut erinnern.

Riesiger US-Panzer

Eine amerikanische Panzerbesatzung vor dem ehemaligen „Stadtbräustübl“ am Rother Marktplatz. Der Panzerturm ragt bis zum ersten Stock empor.

Eine amerikanische Panzerbesatzung vor dem ehemaligen „Stadtbräustübl“ am Rother Marktplatz. Der Panzerturm ragt bis zum ersten Stock empor. © Stadtarchiv Roth

Der damals Neunjährige sah sich mit seinem Großvater vor der Gärtnerei der Familie Basso in der Nürnberger Straße einem amerikanischen Panzer gegenüber, dessen Luke bis ins erste Stockwerk des Basso-Hauses reichte. Zur gleichen Zeit kam Bürgermeister Groß die Nürnberger Straße entlang. Er sah Bennos Großvater und rief ihm zu: "Basso komm rüber, damit ich bei der Übergabe nicht so allein bin."

75 Jahre später hat Benno Basso diese Worte immer noch im Ohr. Wie das Brummen eines amerikanischen Flugzeug-Geschwaders, das zum gleichen Zeitpunkt Roth ansteuerte. Zwischen Groß und Vize-Bürgermeister Karl Merkel, NSDAP-Ortsgruppenführer, soll es einen heftigen Streit gegeben haben: Merkel wollte die freiwillige Übergabe der Stadt verhindern.

Groß’ Gespräch mit einem Offizier wurde in der Nähe des Basso-Hauses geführt. Der US-Offizier habe gesagt, dass er die Übergabe melden werde, wenn eine Funkverbindung zustande käme. Es klappte: Als Zeichen der Übergabe sollten am damaligen Horst-Wessel-Platz weiße Tücher ausgebreitet werden, was auch geschah.

Benno Basso und sein Großvater hatten laut dem damals Neunjährigen mitbekommen, wie das amerikanische Bombengeschwader von Roth abdrehte und in Richtung Osten weiterflog. "Nicht ein einziger Schuss wurde abgegeben", erinnert sich Benno Basso. Für Basso ist es auch heute noch, 75 Jahre später, ein kleines Wunder, dass die amerikanischen Flugzeuge tatsächlich "im allerletzten Moment" in Richtung Oberpfalz abdrehten.

Genauso unvergesslich ist für Benno Basso, dem späteren Präsidenten des Bayerischen Gärtnerei-Verbandes und Mitglied des Bayerischen Senats, die Reaktion der Panzerführer auf die gesprengte Roth-Brücke. Der erste Panzer habe umgedreht, das stählerne Eingangstor der Supf'schen Fabrik niedergewalzt und die Stadtbleiche durchpflügt. Kurz darauf sei unweit des Talübergangs eine ausklappbare eiserne Behelfsbrücke zur Überquerung der Roth aufgebaut worden, auf der beinahe ohne Unterbrechung amerikanische Panzer und Fahrzeuge ins Zentrum rollten.

Relativ wenig Widerstand

Die gesprengte Roth-Brücke ersetzten die amerikanischen Besatzer am nächsten Tag ebenfalls durch eine eiserne Konstruktion. Dass es von deutscher Seite nur relativ wenig Widerstand gab, als die Amerikaner Roth einnahmen, darf als weiterer Glücksfall für die Stadt und ihre Bewohner in diesen Tagen gelten. Schließlich lautete der Befehl eines SS-Generalleutnants, Roth unter allen Umständen zu halten.

Die Aussage von Divisionskommandeur Georg Bachmann hat Oberst Steindorf schriftlich festgehalten: "Roth bildet den Schwerpunkt in unserer Verteidigungslinie Abenberg-Allersberg und muss unter allen Umständen gehalten werden. Aber das sage ich Ihnen, sollte sich der Fall Schwabach (die Stadt hatte sich am 19. April kampflos ergeben; die Redaktion) in Roth wiederholen, so lasse ich meine elf schweren Batterien auf Roth richten und schieße die Stadt zum Trümmerhaufen".


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Einheiten der Wehrmacht und eine SS-Einheit der 17. Panzerdivision hatten zur Verteidigung bereitgestanden. Der militärische Stadtkommandant hieß Hermann Steindorf, als Oberst der höchste Offizier des Fliegerhorstes. Zehn Jahre später hatte Steindorf seine Vorgehensweise, die Verteidigungslinie außerhalb von Roth zu verlegen, in einem Bericht in der Roth-Hilpoltsteiner Volkszeitung dargelegt. Er habe den Entschluss gefasst, aus Sicherheitsgründen für die Bevölkerung keinen Widerstand zu leisten, schrieb er. Und er sei sich bewusst gewesen, dass Ortschaften, die verbissen verteidigt wurden, eine erhebliche Zerstörung zu erwarten hatten.

Er dachte, dass er als Stadtkommandant vielleicht die Möglichkeit habe, Roth dieses Schicksal zu ersparen. "Ursprünglich", so schreibt Oberst Hermann Steindorf, "hatte ich die Absicht gehabt, den Rother Volkssturm aufzulösen, um jedes Opfer zu vermeiden". Aber nach der telefonischen Drohung des SS-Generalleutnants gab er diese Absicht wieder auf. Die Weitergabe des Befehls, den gesamten Volkssturm sowie alle arbeitsfähigen Frauen und Kinder auf den "Endkampf" vorzubereiten, ist aber unterblieben.

Am Morgen des 20. April 1945 hätte er den Rest der ihm unterstellten Streitkräfte an den Nordrand der Stadt verteilt. Gegen 11 Uhr sei die Verteidigung von Roth zu Ende gewesen, die aus Steindorfs Sicht für die Bevölkerung so schonend wie von ihm erwartet verlief. Mit der Anmerkung, dass er die Stadt verlassen hätte, nachdem sich alle Offiziere und Soldaten zurückgezogen haben, endete der Bericht von Oberst Steindorf, der teilweise auch in dem Buch von Ernst Rossmeissl, "Roth im Wandel der Zeit" abgedruckt ist.

Rossmeissl hatte dem Bericht angefügt, dass auch Steindorf für seinen verantwortungsvollen Einsatz eine Ehrung durch die Stadt verdient hätte. Hobbyhistoriker Hansjörg Herold resümierte im Rahmen eines Vortrags im Schloss Ratibor über das Kriegsende in Roth, dass das geschickte militärstrategische Vorgehen des Stadtkommandanten Oberst Steindorf Voraussetzung für eine kampflose Übergabe der Stadt gewesen sei. Herold: "Steindorf hatte die ihm unterstehenden militärischen Kräfte Stellungen außerhalb von Roth beziehen lassen. Somit war eine innerstädtische Verteidigung nicht mehr möglich gewesen."

Schock für viele Bürger

Nach der Übergabe der Stadt durchsuchten und beschlagnahmten die Amerikaner eine ganze Reihe von Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden. Auch das sogenannte Bürgermeisterhaus in der damaligen Göring-Allee (das heute das Bauamt beherbergt) nahmen sie in Besitz. Benno Basso hat noch vor Augen, wie Möbel und Einrichtungsgegenstände der Bürgermeisterwohnung kunterbunt verstreut auf der Straße lagen.

Dass sich Bürgermeister Robert Groß und seine Frau zwei Tage nach der Übergabe der Stadt das Leben nahmen, schockte viele Rother Bürger. Robert und Emilie Groß hatten sich im Amtszimmer des Rathauses die Pulsadern aufgeschnitten. Groß war schon tot, als man das Ehepaar am Sonntagvormittag fand. Seine Frau lebte noch, konnte aber nicht mehr gerettet werden. Eine Erklärung für den Suizid hatte das Ehepaar nicht hinterlassen.

Der amerikanische Ortskommandeur Captain Oedess stellte bei der Untersuchung des Falles fest, dass Groß trotz seiner Mitgliedschaft in der NSDAP nichts zu befürchten gehabt hätte. Im kulturgeschichtlichen Lexikon der Stadt Roth erfolgte eine ähnliche Bewertung der damaligen Ereignisse. "Soweit bis heute bekannt ist, war der Bürgermeister nicht direkt in NS-Verbrechen verstrickt", heißt es in diesem Buch. Der Rother Stadtrat, darunter einige NS-Verfolgte, hatte nach dem Krieg einstimmig für die Errichtung eines Ehrengrabes für das Bürgermeister-Ehepaar gestimmt.

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