Stau-Frust: Warum Autobahnbaustellen so lang dauern

3.10.2019, 05:22 Uhr
Abrissarbeiten, wie hier an einer Brücke über die A3 bei Erlangen, können gut nachts mit Vollsperrungen erledigt werden. Für viele Arbeiten ist aber hohe Qualität notwendig, die nur mit Tageslicht sichergestellt werden kann.

© Klaus-Dieter Schreiter Abrissarbeiten, wie hier an einer Brücke über die A3 bei Erlangen, können gut nachts mit Vollsperrungen erledigt werden. Für viele Arbeiten ist aber hohe Qualität notwendig, die nur mit Tageslicht sichergestellt werden kann.

Wann immer wir über Autobahnbaustellen in der Region berichten, melden sich unzählige staugeplagte Leser und kritisieren die aus ihrer Sicht viel zu langsamen Bauarbeiten. Wir haben die Bauindustrie und die Autobahndirektion mit den häufigsten Vorwürfen konfrontiert. 

Warum sieht man so selten Arbeiter auf den Autobahnbaustellen?

"Eigentlich passiert sehr viel. Für den Verkehrsteilnehmer sieht das allerdings oft anders aus. Die Baustellen sind meist sehr lang. Da kann nicht immer überall gleichzeitig gearbeitet werden. Manche Arbeitsschritte können nur hintereinander ausgeführt werden“, verdeutlicht Hubert Blaim, Vorstand des Bayerischen Bauindustrieverbandes und Technischer Direktionsleiter der Direktion Bayern Nord des Baukonzerns Strabag.

Ein Asphalt-Einbauzug lege zwar bis zu zweieinhalb Kilometer pro Tag zurück. Der vorbeifahrende Autofahrer sieht dann aber auf einer zehn Kilometer langen Baustelle die ganze Zeit über nichts, nur an einer einzigen Stelle die Asphalt-Einbauer. "Dahinter ist alles fertig, davor hat keiner mehr was verloren. Wenn der Einbau gut getaktet ist, stehen vor den Einbauern nur zwei Lkw und keine ewige Schlange. Da denkt sich der Autofahrer: Die machen doch nichts", verdeutlicht Blaim. 

"Um das Bauen zu beschleunigen, haben wir bei vielen Baustellen ein Bonus-Malus-System. Wenn die Firma schneller ist, als die von uns festgesetzte Bauzeit, bekommt sie einen Bonus. Wenn die Firma langsamer ist, muss sie uns was zurückzahlen", erklärt Reinhard Pirner, Präsident der Autobahndirektion Nordbayern. Das geht allerdings nur, wenn eine Firma alle Fachlose, also alle Gewerke, in der Hand hat. 
Meist werden die Fachlose aber einzeln ausgeschrieben und vergeben, für Lärmschutz, Straßenbau, Brücken und Verkehrssicherung sind also zum Beispiel unterschiedliche Unternehmen zuständig. Die Politik favorisiert solche Ausschreibungen im Vergaberecht, weil sie den Mittelstand fördern möchte. 

Außerdem sind die Bauarbeiten sehr wetterabhängig. Wenn bestimmte Beläge eingebaut werden, darf es nicht regnen, und auch die Unterlage muss im Inneren komplett trocken sein. "Deshalb kann es sein, dass man beim schönsten Wetter nicht bauen kann, weil es am Tag vorher geregnet hat. Wenn wir es doch tun würden, würde der Asphalt Blasen werfen", erläutert Blaim. 

Viele Arbeitsschritte brauchen Zeit, Materialien müssen trocknen und ablüften. Wenn etwa ein Brücken-Widerlager betoniert wurde, passiert einige Tage nichts, weil der Beton erst in der Schalung erhärten muss. "Da müsste man ein Schild aufstellen: Hier arbeitet der Beton für Sie", verdeutlicht Blaim.

Warum wird nicht öfter nachts gearbeitet?

„Wir arbeiten sehr viel in der Nacht. Das bekommen aber die meisten nicht mit, weil sie schon im Bett sind, während unsere Leute arbeiten“, meint Hubert Blaim. Nachts sind vor allem Abrissarbeiten und Kurzzeit-Baustellen angesagt. Ein bis zwei Kilometer weit können die Firmen in einer Nacht bei Deckensanierungen vorankommen.

Stau-Frust: Warum Autobahnbaustellen so lang dauern

© Strabag

"Wenn ich nur die oberen zehn bis zwölf Zentimeter anfasse, also Deck- und Binderschicht, geht das in einer Nacht. Wenn ich tiefer rein muss, ist das nicht mehr möglich", erklärt Blaim. Dann muss man den Verkehr dauerhaft weglegen. 

Bei einer Häufung großer, drei Jahre andauernder Maßnahmen zwischen dem Autobahndreieck Holledau und Neufahrn an der A9, ist die Strabag vor Jahren mit dem Asphalteinbau ganz bewusst in die Nacht gegangen, weil die Asphaltmengen tagsüber bei der enormen Verkehrsbelastung des Abschnitts gar nicht mehr auf die Baustelle gekommen wären. "Unsere Fahrzeuge wären mit dem heißen Asphalt im Stau gestanden", verdeutlicht Blaim. 

Das geht aber nicht immer. Zum einen sind die Lohnkosten in der Nacht 20 Prozent höher, dazu kommen die Ausgaben für die Beleuchtung. "Die Arbeitssicherheit ist in der Nacht trotz aller Beleuchtung ein großes Problem. Irgendeiner muss immer irgendwohin, wo nicht gut beleuchtet ist und kann dann stolpern", erläutert Blaim. 

Vor allem aber ist die Versorgung mit Material nachts schwierig. Viele Lieferanten wie Asphalt-, Kies- oder Schotterwerke haben keine Genehmigung für den Nachtbetrieb. "In der Holledau haben wir damals auf der Baustelle gemeinsam mit dem Bauherrn eine eigene Asphaltmischanlage aufgebaut", erklärt Blaim. Ein solcher Aufwand ist aber nicht bei jeder Baustelle möglich. 

Ein weiteres Problem: der Lärm. „In der Nacht nehmen die Anwohner den Lärm um ein Vielfaches stärker wahr. Selbst das Piepsen der Baumaschinen beim Rückwärtsfahren hört man dann über viele Kilometer weit“, erzählt Blaim. 

Auch Arbeiten mit besonders hohen Qualitätsanforderungen sind nachts nicht möglich. "Hätte der liebe Gott gewollt, dass wir bei der Nacht arbeiten, hätte er uns andere Augen gegeben", meint Blaim. 

Besonders kritisch ist es beim lärmmindernden, offenporigen Asphalt. "Es darf keine Nähte geben, das Wasser muss seitlich ablaufen können, da ist höchste Qualität gefordert. Das geht auf keinen Fall nachts", sagt Pirner. 

Warum kann in China so viel schneller gebaut werden als in Deutschland?

"In China wird das Projekt einfach ohne lange Ausschreibung dem Staatskonzern übergeben, und der macht das dann. In Frankreich, Spanien oder der Türkei gibt es noch große Baukonzerne, die alles in einer Hand haben. Wir könnten auch in Deutschland noch schneller bauen, wenn wir allein auf der Baustelle wären", betont Verbandsvorstand Hubert Blaim. 

Durch die von der Politik forcierte Aufteilung auf Fachlose und unterschiedliche Firmen gebe es allerdings große Zeitverluste. Die Autobahndirektion muss zwischen den einzelnen Gewerken Zeitpuffer einbauen und hat viele verschiedene Ansprechpartner. Wenn ein Gewerk früher fertig wird, kann das andere oft nur schwer umplanen und früher anrücken.

"Wir hätten es auch oft gern in einer Hand. Sonst muss man Puffer einplanen, viel koordinieren und hat Schwierigkeiten beim Bonus-Malus-System. Die Firmen sagen dann, sie konnten nicht arbeiten, weil eine andere nicht rechtzeitig fertig geworden ist", sagt Reinhard Pirner von der Autobahndirektion. 

Blaim befürwortet zwar auch stark steigende Investitionen ins Schienennetz der Bahn. "Bis das nennenswert Verkehr von der Straße wegziehen kann, wird es aber noch viele Jahre dauern. Wir brauchen viel Zeit und Geld für das Neue, müssen bis dahin aber auch die Straßen am Leben halten – sonst kollabiert alles", glaubt Blaim. 

Die Bauindustrie hätte zudem gerne ein flexibleres Arbeitszeitgesetz. Dieses lässt momentan bis zu zehn Stunden Arbeit am Tag und 48 Stunden in der Woche zu. "Wir würden uns deutlich mehr Ausnahmegenehmigungen wünschen", sagt Blaim.

"Unsere Arbeitszeit-Standards sind natürlich ein hohes Gut. Wir müssen aber die Wochenarbeitszeit flexibler verteilen dürfen. Man muss auch mal zwölf Stunden arbeiten dürfen, um zum Beispiel mit dem Asphaltieren oder dem Brückenabdichten fertig zu werden", fordert Blaim. 

Auch die Anforderung an die Arbeitssicherheit sind sehr viel höher als in China – mit entsprechenden Zeitverlusten. Eine kürzliche Verschärfung bedeutet nun etwa, dass an manchen Baustellen Schutzwände statt Baken aufgestellt werden müssen, ein Zusatzaufwand von zwei Tagen. Statt Leitern zu nutzen, müssen Gerüste und Treppentürme aufgebaut werden. „Das heißt nicht, dass das unsinnige Regelungen sind. Aber sie kosten halt Zeit“, verdeutlicht Pirner. 

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