Auffällig im Allgäu: Königstiger Reimer auf Heimatbesuch

17.11.2020, 12:46 Uhr
"Wenn ich nicht Schlittschuh laufe", hat Patrick Reimer feststellen müssen, "kann ich in der DEL2 nicht mithalten." Zum Glück läuft er weiterhin Schlittschuh.

© Benjamin Lahr, NN "Wenn ich nicht Schlittschuh laufe", hat Patrick Reimer feststellen müssen, "kann ich in der DEL2 nicht mithalten." Zum Glück läuft er weiterhin Schlittschuh.

Getauft wurde er auf den Namen Joachim. Wie den Trainer der Fußballnationalmannschaft kennt man ihn als Jogi. Gerufen aber wird er "Tschogi" - zumindest beim ESV Kaufbeuren. Mit dessen Nachwuchsmannschaften ist er Deutscher Meister geworden, vier Mal. Weil er einen sehr anständigen Job hat, ist er über Sonthofen aber nie hinausgekommen. Das deutsche Eishockey hat dadurch auf einen klugen Profi-Trainer verzichten müssen. Für diese Geschichte aber über die Rückkehr von Patrick Reimer, ist Joachim Koch der ideale Gesprächspartner.

Das Telefonat ist keine 30 Sekunden alt, da hat der Tschogi bereits das Kommando übernommen, eine Frage hat er dafür gar nicht erst gebraucht. "Der Patrick", sagt er, "kam, sah und siegte. Wie eigentlich immer." Zumindest im Herbst 2020. Im Herbst 1999 war das ganz anders. "Da war der Patrick körperlich so was von hoffnungslos unterlegen", dass sich der damalige Trainer der Juniorenmannschaft des ESVK dachte, "das ist für den Bua zu viel". Der Bua aber sah das anders. 21 Jahre später ist er der erfolgreichste Spieler, den der Verein jemals hervorgebracht hat.

Diesem Spieler ist es unangenehm darüber zu reden, wie viel er den Menschen im Allgäu bedeutet. Patrick Reimer war Kapitän des Nationalteams; in der Geschichte der Deutschen Eishockey Liga hat niemand mehr Tore erzielt als er; aus Pyeongchang kehrte er 2018 mit einer Silbermedaille um das Hals zurück. Und als Joachim Koch danach in Reimers Heimatstadt Mindelheim eine Laudatio auf ihn halten soll, tragen ihm seine Nachwuchsspieler auf, Autogramme mitzubringen. Spieler, die in diesen Tagen mit Reimer in der Kabine sitzen und ihn aus großen Augen anstarren. Reimer gibt darauf eine Reimer-Antwort. "Große Augen, das weiß ich jetzt nicht. Aber ich versuche schon, den Jungs das Gefühl zu geben, dass sie ein Teil der Mannschaft sind. So wie ich das schon immer mache."

Vielleicht ist diese Entwicklung zum Führungsspieler, zum nahbaren Idol noch erstaunlicher – zumindest für Menschen, die Patrick Reimer nicht ganz so gut kennen wie sein einstiger Juniorentrainer. "Er war introvertiert, schüchtern, hat kaum geredet. In der Kabine. Auf dem Eis hat er sich dafür darüber beschwert, dass er nicht Unterzahl spielen darf. Da war er 1,60 Meter groß, die anderen 1,80 – und ich habe nur geschaut, dass er da draußen überlebt."


Reimer trifft - auch wenn die Ice Tigers nicht spielen


Reimer wuchs, "wurde zum Quadrat" und zu groß für die Eishockey-Stadt Kaufbeuren. In Düsseldorf wurde er zum gefährlichen DEL-Stürmer, in Nürnberg zur DEL-Persönlickeit. Seit 2012 ist er Kapitän der Ice Tigers, es sieht sehr danach aus, dass er es auch ab dem 18. Dezember wieder sein wird. Bis zum 30. November aber ist er wieder Stürmer des ESV Kaufbeuren. Wie zehn weitere Spieler haben die Ice Tigers auch ihren Star in die DEL2 ausgeliehen.

"Uns fehlt die Konstanz"

Am ersten Wochenende hat er ein Tor erzielt und vier weitere vorbereitet. Am vergangenen Freitag war er in der geschichtsträchtigen Begegnung mit dem EV Landshut lange Zeit interessierter Zuschauer. Raufbeuren gegen Landswut, so hat man das genannt, als Reimer wirklich noch ein Bua war. Davon ist diese Neuauflage weit entfernt, aber es geht erstaunlich leidenschaftlich zu in der leeren Arena, die für Reimer neu ist. Vom alten Eisstadion am Berliner Platz ist nur noch eine Wand übriggeblieben. Man hört das Bedauern in Reimers Stimme, aber nachdem der EV Landshut aus einem 1:4 ein 5:4 gemacht hat, ist es egal, wo gespielt wird und wie viele Menschen dabei zusehen. Reimer schaltet einen Gang nach oben, bereitet das 5:5 vor, verwandelt seinen Penalty souverän. Kaufbeuren verliert trotzdem 5:6. "Uns fehlt die Konstanz", sagt Reimer. Später wiederholt Rob Palin, der Trainer des ESVK, diesen Satz. "Patrick kann das Spiel lesen, besser als ich das als Trainer konnte", sagt Jogi Koch.

Neben Reimer und den Kanadiern in seiner Sturmreihe fallen noch zwei Spieler auf: Markus Schweiger, 18, und Philipp Krauß, 19. "Da wollte ich noch mit unserem Sportdirektor André Dietzsch reden", sagt Reimer, man hört ihn lachen. Als er zurückkam, hatte sich Krauß noch alleine in der Kabine der Junioren umziehen müssen. Reimers erste Amtshandlung war, den langen, aber sehr leichten Stürmer in die Kabine der Profis zu holen. Die Geschichte scheint sich in Kaufbeuren zu wiederholen.

Die Geschichte vom ESVK und seinem Star endet in zwei Wochen, hoffentlich nicht in Quarantäne. Am Sonntag hätte die Mannschaft nach Heilbronn fahren sollen. Einer der Schnelltests aber kam positiv zurück. Corona hat es möglich gemacht, dass Reimer noch einmal für seinen Heimatverein aufläuft, Corona verhindert vorerst, dass er seinen Nachfolgern ein Vorbild zum Anfassen bleibt. "Patrick geht bestimmt wieder zurück", sagt der Tschogi zum Abschied. "Aber wenn die DEL wieder startet, werden die Ice Tigers in Kaufbeuren 20 000 mehr Fans haben."

Der Patrick kam, sah und siegte. Wie eigentlich immer

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