Der Club in der Krise: Kellers komplizierter Spagat

5.12.2019, 07:26 Uhr
Der Club in der Krise: Kellers komplizierter Spagat

© Foto: Daniel Marr/Zink

Im zweiten Spiel gab’s den ersten Dämpfer. "Die Mannschaft hat Angst gehabt, etwas zu gewinnen", das meinte Jens Keller am Samstag und das sagte Jens Keller vor knapp einem Jahr, damals noch als Trainer des FC Ingolstadt.

Auf dem letzten Platz der Zweiten Liga hatte er die sogenannten "Schanzer" übernommen und zwölf Begegnungen später auf dem letzten Platz wieder abgeben müssen. Seine Bilanz: Drei Siege, zwei Unentschieden, sieben Niederlagen. Und ein wenig Verbitterung darüber, dass der Videobeweis erst zur nächsten Saison eingeführt werden sollte.

Mit Videobeweis, dabei bleibt Keller auch ein knappes Jahr später, wäre Ingolstadt wohl dringeblieben, was natürlich hypothetisch ist. Erfahrungen mit dem oftmals verzweifelten Kampf gegen den Abwärtstrend konnte er im Herbst 2010 zuvor nur interimsweise beim VfB Stuttgart sammeln, nach 59 Tagen war auch in Bad Cannstatt Schluss. Nach zwei Siegen, drei Unentschieden und vier Niederlagen.

Luxussorgen auf Schalke

Immerhin hatte er die Schwaben vom letzten auf den vorletzten Platz geführt; die Frage, ob Keller auch Abstiegskampf kann, lässt sich mit seinen bisher nur spärlichen Erfahrungen jedenfalls kaum beantworten. Während seiner knapp zwei Jahre auf Schalke bedeutete Abstiegskampf vor allem, nicht aus den Europapokalrängen zu purzeln.

 

In Nürnberg hat Keller vor rund drei Wochen jetzt wieder einen Job fernab der Sonnenseite übernommen; seine ersten Diagnosen, warum es gerade in allen Mannschaftsteilen und besonders zwischen ihnen hakt und knarzt, klangen in Ingolstadt und Stuttgart sehr ähnlich, weil sich die Geschichte ja auch ständig irgendwo irgendwie wiederholt. Von der Ergebnis- zur handfesten Krise ist es oft nicht weit, erst recht, wenn regelmäßig extrem hohe Erwartungen enttäuscht werden.

"Da braucht man schon Fingerspitzengefühl"

Nur mit Handauflegen ist es da nicht getan; Keller muss ausgesprochen sensibel sein im Umgang mit seinem Personal, vorsichtig, aber bei Bedarf eben auch kompromisslos. "Ich muss klar Fehler aufzeigen und die Situation erklären, nichtsdestotrotz aber auch Selbstvertrauen aufbauen, die Mannschaft unterstützen, da braucht man schon Fingerspitzengefühl", sagt Keller, "aber das mache ich ja schon ein paar Jahre mit."


Der Club steckt in der Krise: Woran liegt's?


In der Vormittagseinheit am Mittwoch musste sich Keller deshalb ein paar Mal zusammenreißen. Als Robin Hack im Trainingsspiel mit Ball am Fuß mal wieder das Tempo verschleppte, platzte ihm aber der Kragen. Sein Rüffel für den U21-Nationalspieler war selbst auf der anderen Platzseite noch exzellent zu hören.

"Dann geht's einfach weiter"

Keller weiß natürlich, dass er Lob und Tadel gerade in einem ausgewogenen, möglichst produktiven Verhältnis verteilen muss. "Ich habe, glaube ich, ein ganz gutes Gespür, wie man mit dem einen oder anderen umgehen muss", sagt er, wen er verbal vielleicht etwas härter anpacken kann und wen lieber nicht. Asger Sörensen etwa sagt über die Pfiffe gegen ihn nach zwei Fehlpässen gegen Wehen: "Dann geht’s einfach weiter, es ist ja nichts passiert."

In besagten Szenen nicht, in anderen schon, sonst hätte der Club wahrscheinlich nicht verloren. Letztlich aufgrund von individuellen Aussetztern: Vor dem 0:1 hatte Sörensen die Idee, auf Abseits zu spielen ("Leider!"), vor dem 0:2 irrlichterte Torhüter Dornebusch durch die Gegend.

Beim 0:0 gegen Fürth sei es in der ersten Halbzeit ähnlich schlimm gewesen, findet Keller, auch ohne selbst verschuldete Gegentore. "Da kriegen wir nach sechs, sieben Minuten die Großchance, sind richtig gut im Spiel" – und plötzlich ist es wie abgerissen, "die Mannschaft bricht so ein bisschen in sich zusammen, hat Angst, Fehler zu machen". Und hält sich, wie auch sechs Tage später gegen Wehen, irgendwann nicht mehr an den gemeinsamen Plan. "Aber wenn wir unseren Plan und unser Selbstbewusstsein verlieren", sagt Keller, "wird’s nur schlechter."

Nicht alles schlecht

Bitte nicht von außen beeinflussen lassen, rät er deshalb seinen Profis, was leichter gesagt ist als getan nach sieben Partien ohne Sieg und dem Absturz auf Relegationsplatz 16. Während der 90 Minuten gegen Wehen konnte Keller oftmals nur den Kopf schütteln, nach der Videoanalyse allerdings fand er den Auftritt gar nicht mehr so übel. 24 Torschüsse, eine passable Laufleistung: "Es wird auch sehr, sehr viel schlecht gemacht."

Weil sich gerade aber sehr, sehr viel weniger wohlwollend oder gar gut beurteilen lässt, muss Keller jetzt den schwierigen Spagat hinbekommen zwischen Korrektor und Motivator. Am Montag geht’s nach Stuttgart, "ich erwarte schon, dass wir da punkten, warum fahren wir sonst dahin?, möchte Keller wissen, "es ist ja nicht so, dass die in einer anderen Liga spielen." Und lacht ob der Frage nach den Erfolgsaussichten ungläubig in sich hinein. Bloß keine Angst haben, sollte das wohl heißen.

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