Der Club steckt in der Krise: Woran liegt's?

3.12.2019, 05:40 Uhr
Ratlose Gesichter: Der Club rutscht immer tiefer in den Abstiegskampf in Liga zwei und findet keinen Ausweg aus der Krise.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr Ratlose Gesichter: Der Club rutscht immer tiefer in den Abstiegskampf in Liga zwei und findet keinen Ausweg aus der Krise.

Wer gemein ist, fängt mit seiner Rechnung Ende September 2018 an. Seitdem hat der 1. FC Nürnberg ganze vier Punktspiele gewonnen, vier von 43. Was beim Bundesliga-Abenteuer noch einigermaßen nachvollziehbar und verständlich mit der Überlegenheit der Gegner erklärt werden konnte, provoziert eine Klasse tiefer spätestens seit dem 0:2 gegen Wehen nur noch Kopfschütteln. Warum ist der Club einfach nicht mehr konkurrenzfähig? Und wie kann es wieder aufwärts gehen? Ein paar Erklärungs- und Deutungsversuche.

Ist der aktuelle Jahrgang wirklich schlechter als Wehen?

Ein Platz im oberen Tabellendrittel sollte es werden in dieser Saison, also ungefähr dem Etat entsprechend. Das klang keineswegs größenwahnsinnig, sondern durchaus realistisch. Der Umbruch fiel zwar gewaltig aus, aber nicht jeder Abgang tat auch richtig weh wie Tim Leibolds. Genauso wenig ist jeder Zugang ein Volltreffer, obwohl allein Iuri Medeiros und Nikola Dovedan zusammen fünf Millionen Euro gekostet haben. Für Wehen und zehn, zwölf andere sollte es trotzdem locker reichen.

Hat der Sportvorstand also falsch eingekauft?

So pauschal sollte man nicht urteilen. Von Robin Hacks, Michael Freys oder Johannes Geis’ individueller Qualität schwärmen selbst Manager von Erstligisten, nicht zuletzt beide Millionen-Transfers blieben bislang deutlich hinter den Erwartungen zurück. Ehemals Langzeitverletzte wie Fabian Schleusener oder Paul-Philipp Besong sind gerade erst dabei, den Anschluss zu schaffen.

Also doch ein Kopfproblem, wie Johannes Geis am Samstag mutmaßte?

Ja, unter anderem. Was auffällt: Ein Rückschlag genügt, und die vielen schönen Vorsätze im Kurzzeitgedächtnis sind wieder gelöscht. Siehe die frühen Gegentore gegen Bielefeld oder Wehen. Wer ständig auf die Mütze kriegt und dafür auch noch ausgepfiffen wird, beginnt irgendwann zu zweifeln. An sich, an der Gruppe. Durchaus menschlich, aber fatal. "Da fehlt’s in der Mannschaft an irgendetwas", glaubt Robert Palikuca.

An was genau?

An mentaler Stärke. An unangenehmen Typen, die vorangehen, andere mitreißen. Selbst Hanno Behrens oder Johannes Geis, denen man das aufgrund ihrer Erfahrung eigentlich zutrauen sollte, sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Anstatt sich kreativ einzubringen, steht auch bei ihnen die Fehlervermeidung über allem. Die Folge: zahllose Rück- und Querpässe, kaum Ideen. Angst.

Könnte vielleicht ein Mentaltrainer helfen?

Ja, vielleicht. Der Club hat ja einen, sogar einen ausgesprochen berühmten. Der sich allerdings nicht öffentlich äußern mag. "Mein Ziel ist es, mit erfolgreichen Sportlern zusammenzuarbeiten und ihnen zu helfen, besser zu werden", erklärte der ehemalige Skifahrer und -trainer Mathias Berthold in der Pressemitteilung zu seiner Verpflichtung. Helfen, besser zu werden: Auch der Persönlichkeitsentwickler ist jetzt gefordert, "jeder ist gefordert", sagt Palikuca.

Auch die sage und schreibe vier verletzten Torhüter?

Auch die. Wobei zeitnah wohl nur wieder mit Andreas Lukse zu rechnen sein dürfte. Bei Christian Mathenia dauert’s offenbar noch länger.

Liegt’s am Trainer?

Offensichtlich nicht. Die Leistungen in Damir Canadis finaler Nürnberger Schaffensphase entsprechen in etwa den Leistungen in Jens Kellers erster, ebenso die gewaltigen Abstände zwischen den Mannschaftsteilen beim angeblichen Pressing.

Ist der Druck zu groß?

Kann schon sein, dass in der Nacht vor dem nächsten Spiel zurzeit nicht jeder ruhig schläft. Wer versagt tags darauf schon gerne vor 20.000 oder 30.000 Zuschauern. Der Trainer sieht das etwas anders. "Dass die Mannschaft nicht mit Druck umgehen kann, lasse ich nicht gelten", betont Jens Keller: "Wenn ich dem nicht Stand halte, muss ich sofort meinen Vertrag kündigen."

Warum wirken die meisten Club-Profis in den Spielen so brav, ja fast übertrieben anständig?

Das ist tatsächlich das wohl größte Problem im Spätherbst 2019: "Dass wir es wirklich nicht schaffen, durchgängig Aggressivität auf den Platz zu bringen, was für mich irgendwie eine Grundvoraussetzung für Erfolg ist" (Palikuca). Hätte Asger Sörensen in Aue nicht Rot gesehen, wäre der Club aktuell die drittfairste Mannschaft in der Zweiten Liga. Der Großteil der übrigen Abstiegskandidaten ist in der Fair-Play-Tabelle viel weiter unten zu finden. Was kein Aufruf zu mehr Brutalität sein soll.

Was braucht der Club jetzt also?

Nun ja: Eier. Wie am Samstag kurz vor 15 Uhr, als der Trainer noch einen kleinen Betriebsausflug in die zornbebende Nordkurve befahl. "Wenn es nicht läuft, muss man auch die Eier haben, sich zu stellen." Den Fans und erst recht dem nächsten Zweikampf. Verpissen ist nicht. Stimmt’s, Herr Keller? Stimmt! "Wir sind da und verpissen uns nicht."