Der "tragische Fall von Pinola": Drama im Copa-Finale

25.11.2019, 13:19 Uhr
Große Enttäuschung, aber auch Stolz: Trotz der bitteren Niederlage weist Javier Pinola auch auf das hin, was die Mannschaft erreicht hat.

© Foto: Martin Mejia/dpa Große Enttäuschung, aber auch Stolz: Trotz der bitteren Niederlage weist Javier Pinola auch auf das hin, was die Mannschaft erreicht hat.

In einer so langen Karriere ist Platz für Drama, Javier Pinola hat seine Laufbahn einmal als Geschenk bezeichnet – weil er lernen durfte, was Glück bedeutet. Dafür muss man das Unglück kennen, Pinola erlebte beides bisweilen exzessiv mit dem 1.FC Nürnberg, den DFB-Pokalsieg 2007, den Abstieg 2008; noch einmal weinen sah man ihn, als er im Mai 2015 gehen musste, nach zehn Jahren voller Hingabe aussortiert als nicht mehr zweitligatauglich.

Unglück, Tragödie, Schicksalsschlag – all das las man in argentinischen Zeitungen, nachdem die Geschichte des Fußballprofis Javier Pinola die nächste Wendung genommen hatte. Zu Hause in Argentinien hatte er, nach zehn Jahren, die Rückkehr in die Nationalmannschaft geschafft und neben Lionel Messi gespielt, ehe im Mai 2016 im Viertelfinal-Hinspiel der Copa Libertadores mit Rosario Central gegen Nacional Medellin sein Schienbein zerbrach.

In diesem Alter, Pinola war 33, bedeutet so etwas das Ende der Karriere, eigentlich, fast ein Jahr lang konnte Pinola nicht spielen, er kam zur Reha heim nach Nürnberg – indes voller Energie, "es passieren ständig Dinge, mit denen man niemals rechnen würde", sagte er damals, ohne sich auch nur ahnen zu können, was noch alles passieren würde. Pinola kam zurück, in Erfüllung ging ein Kindertraum: Der Club Atletico River Plate, Argentiniens Rekordmeister aus Buenos Aires, machte ihm ein Angebot – und vor einem Jahr feierte Pinola den größten Erfolg seiner Karriere, als er mit River Plate die Copa Libertadores gewann, den Meisterwettbewerb Südamerikas.

Wie viel Glück und Unglück in so eine Karriere passt, erlebte Javier Pinola am Samstag noch einmal im Zeitraffer. Im Estadio Monumetal von Lima, der größten Arena Südamerikas, waren 80.000 Zuschauer fassungslos, sie zitterten und weinten, vor Freude und vor Schmerz, als das Spiel zur finalen Tragödie geriet.

Wieder war es das Endspiel um die Copa Libertadores, Pinola hatte River Plate gegen die favorisierte Mannschaft von Flamengo aus Rio de Janeiro als Kapitän aufs Feld geführt, durch ein nach 13 Minuten erzieltes Tor des Kolumbianers Rafael Borre führten die Titelverteidiger mit 1:0 – aber als es fast vorbei war, brach alles zusammen für Pinola und River.

Javier Pinola hatte bis dahin eine außerordentliche Leistung gezeigt, er verteidigte ruhig, sicher, intelligent, er ging voran. Flamengo mit den ehemaligen Bundesligaspielern Rafinha und Diego versuchte es mit dem Mut der Verzweiflung, fand aber keine Lücke. Bis zur 89. Minute, als Gabriel Barbosa, der mit Brasilien Olympiasieger 2016 war, durch die Mitte entwischte – 1:1, und während sich River noch zu sortieren versuchte, kam Barbosa, Kampfname: Gabigol, ein zweites Mal durch die Mitte. Pinola streckte sich, sein Kopfball missriet – und Barbosa hatte, in der zweiten Minute der Nachspielzeit, freie Bahn auf dem Weg zum 2:1.

Den "tragischen Fall von Pinola" beklagte La Pagina Millionaria. "Epischer Sieg", notierte El Pais Brasil, "Jesus ist mit Flamengo", bedankte sich der Observador in Anspielung auf Flamengo-Trainer Jorge Jesus. Für River war es eine epische Niederlage, die in Tumulten endete; Rivers Exequiel Palacios und gegenüber Gabigol sahen Rot, aber beide Teams waren viel zu überwältigt, um letzte Kräfte so zu verbrauchen. Die Rivalen suchten Halt aneinander, ein Millionen-Fernsehpublikum sah Fußballer, die aussahen, als müssten sie sich gegenseitig versichern, dass das alles wahr sei, diese drei Minuten, die an Bayern Münchens Sekundentod im europäischen Meisterfinale vor zwanzig Jahren gegen Manchester United in Barcelona erinnerten.

Keiner ging nach Hause. Zehntausende River-Fans applaudierten ihrem Team und dem Sieger ebenso wie Kapitän Pinolas traurige Mannschaft. "Der Schmerz ist groß", sagte Pinola, "aber wir dürfen auch stolz sein auf das, was wir erreicht haben, und uns freuen." Wer ihn mit den untröstlichen jüngeren Spielkameraden sah, konnte an 2016 denken und einen Satz jenes Pinola, der mit gebrochenem Schienbein heim nach Nürnberg gekommen war. "Du musst nichts aufrechnen im Leben, und ich habe gar keinen Grund, nicht sehr dankbar dafür zu sein, wie alles gekommen ist", sagte er damals.

"Ich habe noch keine Worte, ich werde es mir ansehen und ruhig analysieren", sagte Pinola nach den "drei Minuten des Wahnsinns" (Eurosport) von Lima. Er will jetzt ein paar Adventstage in Nürnberg verbringen, man wird Pinola auch am Valznerweiher sehen, beim 1.FC Nürnberg. "Ich lese alles über den Club", sagt er, "ich hoffe, mit dem neuen Trainer wird alles besser." Nach der Karriere soll Nürnberg wieder die Heimat sein für die fünf Pinolas, nur, das musste der Familienvater aufgeregten Journalisten auch in Lima erklären: Noch ist es nicht so weit, er liebt dieses Spiel viel zu sehr. Fußball, all das Glück und all das Unglück.

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