Geisterspiele: Die neue Normalität - auch für den FCN

15.5.2020, 05:46 Uhr

In der Zweitliga-Saison 2003/2004 brauchte es im nationalen Profifußball noch keine Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb, um ein Geisterspiel zu organisieren. Weil Wolfgang Wolf, damals Trainer des 1. FC Nürnberg, beim ersten Versuch am Aachener Tivoli angeblich ein Gegenstand auf den Kopf fiel, musste nach dem zwangsläufigen Abbruch eine Wiederholung her.

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Dem Skandalspiel vom November folgte im Januar das Geisterspiel, zur Strafe und sogar mit richtigem Geist auf der Tribüne. In einer 95-minütigen Echtzeit-Reportage schilderte der damalige Hörfunkreporter und heutige Club-Aufsichtsrat Günther Koch seine Eindrücke wie folgt: "Ein beklemmendes Gefühl" sei es, so allein unter wenigen, darunter "wir Journalisten, eine Wurstverkäuferin, die übrigens sehr nett ist, zwei Klofrauen, Ordner, Offizielle der Vereine. Und die Spieler."

Auch ein paar Sanitäter durften rein, deren Anfeuerungsrufe selbst in stattlicher Entfernung noch gut zu vernehmen waren, ebenso etliche Dutzend Alemannia-Anhänger auf angrenzenden Plätzen. So ganz genau nahm man es mit dem Öffentlichkeitsverbot damals nicht; über 16 Jahre und eine Pandemie später sieht das etwas anders aus.

 

Jetzt braucht es: eine Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb, deren 51-seitiges Konzept maßgeblich ist zur Vorbereitung und Durchführung von Fußballspielen in Coronazeiten. Wurstverkäuferinnen, selbst die sehr netten, kommen darin genauso wenig vor wie viele andere Berufsgruppen, die sonst an Spieltagen arbeiten müssen. Oder Fans, die einfach nur zuschauen wollen.

Geschlossene Toiletten und drei Fotografen  

Auch im Millerntorstadion des FC St. Pauli, wo sich am Sonntagnachmittag eine rund 40-köpfige Delegation des 1. FC Nürnberg aufhält, werden bloß ein paar Kabinen, Toiletten und Tribünen offen sein, alles andere bleibt zu. Penibel aufgedröselt ist zudem, wer überhaupt rein darf.

Die "Vorgaben für organisatorische Vorkehrungen im Stadion" umfassen vier Teilaspekte, darunter die Einteilung in Sektoren. Den Innenraum oder Zone 1 dürfen "ausschließlich für den Spielbetrieb notwendige Personengruppen", etwa die Fußballer, Trainer und Betreuer beider Mannschaften, die vier Schiedsrichter oder drei Hygienebeauftragten betreten, zudem drei Fotografen, Kameraleute und noch jemand, der sich mit dem VAR auskennt.

Maximal 269 Personen und ein Fragebogen  

Auf den Tribünen (Zone 2) verteilen sich unter anderem zehn Journalisten, Funktionäre beider Vereine, bis zu vier Polizisten und zwei Feuerwehrleute; Zone 3, auch als Stadionaußengelände bezeichnet, müssen bis zu 50 Ordner sichern, bis zum Zaun, jenseits davon ist die Polizei zuständig.

In der Zweiten Bundesliga und somit auch am Sonntagnachmittag im Fürther Ronhof sind zonenübergreifend und zeitgleich maximal 269 Personen zulässig. Wer nicht zu den Gruppen der Klubs zählt, die direkt aus einer einwöchigen Quarantäne anreisen, bei dem wird am Eingang eine Gesundheitskontrolle samt Fieber-Check durchgeführt. Wer auch nur leicht erhöhte Temperatur haben sollte, kann gleich wieder nach Hause fahren. Außerdem muss jeder Gast am Vormittag einen Fragebogen ausfüllen und unterschrieben vorlegen. Mit dem bestätigt wird, dass man nicht mit dem Coronavirus infiziert ist und in den vergangenen 14 Tagen auch keinen Kontakt zu einer infizierten Person hatte, jedenfalls nicht wissentlich.

Und die Greenkeeper? 

Regelrecht hin- und hergeschoben werden in der dynamischen Personalplanung die acht armen Greenkeeper; von acht Uhr bis zum Anpfiff dürfen sie sich in Zone 1 aufhalten, was ja auch Sinn macht, während des Spiels nur in Zone 3, hinterher wieder in Zone 1. Wieso, weshalb und warum, weiß nur die Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb. Deren einziges Ziel es per definitionem ist, "ein angesichts der Bedeutung des Fußballs (...) sowie der Pandemieentwicklung medizinisch vertretbares Risiko zu gewährleisten."

"Hören Sie diese Stille" 

Deshalb schauen ab morgen selbst die sehr netten Wurstverkäuferinnen in die Röhre, wer Hunger hat oder Durst, muss sich selbst verpflegen. Bei der "Mutter aller Geisterspiele" (Aachener Zeitung) am 26. Januar 2004 auf dem Tivoli zog wenigstens noch der verführerische Duft eines Holzkohlegrills durch die Arena, lange anstehen musste man ebenfalls nicht. Viel mehr positive Aspekte lieferte der Fußball (fast) ohne Fans aber schon damals nicht.

"Hören Sie diese Stille", sprach Günther Koch seinerzeit in sein Mikrofon. Selbst der Geist verweigerte ihm ein Interview.


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