Kommentar zum Keller-Aus: Notlösung mit Charme

29.6.2020, 18:22 Uhr

Canadi sollte noch einen Aufsteiger formen, hernach ging es auch im Anspruch stetig abwärts, Keller sollte nur noch den Abstieg verhindern – über diesen schleichenden Niedergang wirkte der ganze Verein zuletzt wie gelähmt. Dass nicht passieren kann, was nicht passieren darf, war so etwas wie die einzige Idee, die Krise zu meistern, also passierte: nichts, ein lethargisch anmutender 1.FC Nürnberg fiel auf den Relegationsplatz zurück und steht vor dem Abstieg in die Drittklassigkeit.

 

 

Damit war der Verein in eine Situation geraten, in der einfach irgendetwas passieren musste. Die Trennung von Jens Keller war die allseits erwartete Reaktion, sie ist nachvollziehbar, kommt möglicherweise eher zu spät und steht für das ganze Dilemma des Betriebs. Vor zwei Relegationsspielen, die für die weitere Vereinsgeschichte entscheidende Bedeutung haben, den Trainer auszutauschen, wirkt wie ein Roulettespiel. Nur: Es nicht zu tun, hätte genauso gewirkt. Mit Michael Wiesinger und Marek Mintal erneut zwei Nothelfer aus dem eigenen Haus zu berufen, sieht nicht nur wie eine Verlegenheitslösung aus, es ist eine – allerdings eine mit Charme, weil daraus eine Perspektive wachsen könnte, nämlich Mintals dauerhafte Beförderung zum Cheftrainer. Nürnbergs größter Publikumsliebling der Neuzeit steht für alles, was der Anhang gerade vermisst, für Leidenschaft, Identifikation, ja: für Liebe zum Club, trotz allem.

Ein Strukturproblem

Die Probleme liegen allerdings tiefer. Irgendwo zwischen Transferfenster und Teamkabine dürften sich die Ursachen für eine Talfahrt finden, die in letzter Konsequenz der Sportvorstand Robert Palikuca genauso zu verantworten hat wie der Aufsichtsrat, der Palikuca diesen Club anvertraute. Auch dieses Scheitern ist ein gemeinsames. Aber jenseits von Schuldzuweisungen kommt man immer beim Strukturproblem an: Als Kontrollgremium ist der Aufsichtsrat für das sportliche Tagesgeschäft gar nicht zuständig, die Geschicke leitet alleine der jeweilige Sportvorstand, der bei Meinungsverschiedenheiten über den grundsätzlichen Kurs gekündigt werden muss – wie Palikucas Vorgänger Andreas Bornemann, als es um den Trainer Michael Köllner ging, der Nürnberg noch 2018 in die Bundesliga geführt hatte. Dass seither nichts besser wurde, wäre als Vorwurf zu billig, lässt aber auf die Tiefe der Krise schließen.

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