Sportmediziner Krutsch: "Fußball wichtig nach der Krise"
28.3.2020, 12:38 UhrNZ: Herr Dr. Krutsch, was bereitet Ihnen als Fußballer und Arzt derzeit mehr Sorge: ein drohender Kollaps des Gesundheitssystems oder die vielleicht existenziellen Folgen für den Fußball?
Werner Krutsch: Aus der Sicht als Sportdoc in Nürnberg natürlich Ersteres, aber durch meine Arbeit bei den Fußballverbänden nimmt gerade die Thematik um Corona hier einen größeren Zeitaufwand in Anspruch.
NZ: Sie spielen selbst noch in der deutschen Ärztemannschaft, deren WM im September in Argentinien ebenfalls abgesagt wurde, und in der Club-Traditionself. Wie sehr vermissen Sie persönlich das Kicken?
Krutsch: Sehr sogar. Einerseits das Kicken selbst, wo wir uns ja gerade mit der Ü 40 vom Club auf die Bayerische Meisterschaft im Mai vorbereitet haben, und da wird das Laufen im Fischbacher Forst irgendwann langweilig. Aber noch viel mehr fehlen die große Kameradschaft im Team und die regelmäßigen Treffen mit den Jungs. Das läuft jetzt alles nur noch digital und telefonisch ab.
NZ: Neben dem Club mussten auch schon einige andere Teams in Quarantäne, weitere dürften bei ansteigender Fallzahl folgen. Was bedeutet das für die Spieler? Ein häusliches Fitnessprogramm kann ein reguläres Training ja kaum ersetzen.
Krutsch: Häuslich fithalten macht meist erfinderisch, bestimmte Dinge wie Kraft, Koordination oder selbst Grundlagenausdauer sind in gewissen Maßen möglich. Für den Profifußballer ist das allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine komplette Quarantäne während der Saison ist bezüglich der Fitness erst mal kein Stillstand, sondern ein großer Rückschritt, weil du fußballtypische Bewegungen und Belastung nicht praktizieren kannst.
NZ: Wie lange würde es schätzungsweise dauern, bis die Spieler wieder ihr gewohntes Fitnesslevel erreicht haben?
Krutsch: Nach kompletter Quarantäne zu Hause sicherlich drei bis vier Wochen, wobei man auch schauen muss, wie suffizient das Training dann bei weiteren Ausgangsbeschränkungen funktioniert.
Häufige Knieverletzungen nach längeren Pausen
NZ: Wie groß wäre die Gefahr von Folgeverletzungen?
Krutsch: Aus präventivmedizinischer Sicht ist erst mal eine ausreichend lange Vorlaufzeit nach der kompletten Pause notwendig, bevor es dann wieder losgeht. Zusätzlich wird die Trainingssteuerung weniger vergleichbar mit einer Rückrunde als mit einer typischen Vorbereitungsphase sein. Klassischerweise zeigt eines meiner Forschungsprojekte, das "Kreuzbandregister im Fußball", dass sich nach großen Pausen vermehrt Kreuzband- und schwere Knieverletzungen häufen, was unter anderem auf mangelnde Koordinationsfähigkeit zurückzuführen ist.
NZ: Wäre bei einer Fortsetzung der Saison für Teams in Quarantäne überhaupt noch Chancengleichheit gegeben?
Krutsch: Prinzipiell schon, es kommt auf den Vorlauf an. Wir brauchen ausreichend Planungszeit. Daher ist es sehr gut, dass alle Verbände schon in intensiven Planungen sind und Optionen prüfen. Wir haben ja auch noch ein bisschen Zeit. Zusätzlich muss man aber sagen, dass Teams mit großen Verletzungsproblemen auch Regenerations- und Heilungszeit gewinnen können, auch wenn eine optimale Reha jetzt natürlich sehr schwierig ist.
NZ: Würden Sie für einen Saisonabbruch plädieren oder aus wirtschaftlichen Gründen dann doch lieber für Geisterspiele?
Krutsch: Zumindest sollte man versuchen, weiterzuspielen. Dafür gibt es viele Gründe. Ich halte es zeitlich und praktisch für möglich, neun Spieltage noch durchzuführen. Dass wirtschaftliche Gründe vorangeschoben werden, mag zwar nicht falsch sein, ist aber meines Erachtens unvollständig ausgedrückt. Es sind vor allem soziale Hintergründe und Solidarität zu allen Mitarbeitern in Fanshops, auf den Sportplätzen und in Nachwuchsleistungszentren, deren Jobs bei einigen Vereinen auch in Gefahr sind. Geisterspiele – ein komisches Wort – sind nicht optimal, aber eine der prinzipiellen Lösungen, wo es darum geht, stufenweise mit adäquaten Hygienemaßnahmen und einer verträglichen Isolierung für die Spieler die Saison zu beenden.
Amateure? "Familie und Job im Fokus"
NZ: Als BFV-Verbandsarzt liegen Ihnen besonders die Amateure am Herzen. Was können Spieler jetzt tun, die nicht wie die Profis von ihren Vereinen zu Hause mit Trainingsplänen und Fitnessgeräten versorgt werden?
Krutsch: Es ist klar, dass eine Weiterführung der Saison bei den Amateuren und Junioren sicher anders aussehen wird als bei den Profis, da es andere Hintergründe und Möglichkeiten gibt. Die verschiedensten Szenarien werden gerade durchdacht. Um die Zeit zuhause zu überbrücken, sollten Amateurfußballer die Chance nutzen, Schmerzen oder Verletzungen gerade jetzt erst mal auszukurieren. Zusätzliche Programme helfen nur wenig, wenn man vor oder nach der Krise keine Eigenprogramme gemacht hat. Hier sehe ich eher Familie und den eigentlichen Job im Fokus.
NZ: Sie sind einer von fünf Ärzten, die die höchste medizinische Kommission des DFB bilden. Wurden Sie in die jüngsten Entscheidungen des Verbands bzw. der DFL eingebunden?
Krutsch: In Bezug auf Corona sind die Entscheidungen da noch nicht endgültig getroffen. Wir sind gerade intensiv damit beschäftigt, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, welche ein Fußballspielen aus medizinischer Sicht möglich machen, sobald es politisch dann auch erlaubt wird. Einen Plan für Verhaltensweisen von Spielern und Vereinen hat die Medizinische Kommission des DFB erst letzte Woche an die Profivereine geschickt. Für den bayerischen Amateurfußball werden wir in der nächsten Ausgabe der neuen Verbandszeitschrift des BFV, der "Spielmacher", ebenfalls Empfehlungen geben.
NZ: Hatten Sie Verständnis für das lange Zögern der DFL, den Spielbetrieb zu stoppen?
Krutsch: Die eigentliche Frage in solch einer Situation ist, ob man sich da ein Urteil erlauben kann, ob es zu spät oder zu früh ist, denn eine solche Situation hat noch niemand mitgemacht. Es gibt auch keine Erfahrungswerte, und was man den einen als Zögern vorwirft, wirft man anderen als Vorpreschen vor. Wichtig ist, dass die Spiele erst mal abgesagt wurden und in Ruhe mit Vereinen und anderen Institutionen nun Absprachen erfolgen. Der Fußball hatte vor der Krise eine besondere und auch wichtige Position in der Gesellschaft, die schreibe ich ihm auch nach den Ausgangsbeschränkungen und in der Normalisierung nach der Krisenphase wieder zu.
NZ: Wie wirkt sich Corona konkret auf Ihren beruflichen Alltag als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie aus?
Krutsch: In meiner Situation als Kniechirurg wird in jedem Fall jetzt einzeln geprüft, ob wir in dieser Situation die Operation zeitnah durchführen sollen oder eher verschieben können. Letztlich kommen in den letzten Tagen auch vermehrt Patienten mit anderen Unfällen außer den Sportverletzungen in unsere Praxis, da der Weg in Kliniken aktuell wohl ungern gegangen wird.
NZ: Sie haben an einem 800 Seiten starken Fachbuch über "Injury and Health Risk Management in Sports" mitgewirkt, das im Juni in Mailand offiziell präsentiert werden sollte. Ein Termin, der kaum zu halten sein dürfte...
Krutsch: Richtig, als Hauptherausgeber habe ich aber entschieden, dass wir eine Online-Veröffentlichung im Mai trotzdem beibehalten werden. Bei diesem Fachbuch haben viele internationale Kollegen ihre Expertise aus verschiedenen Sportarten niedergeschrieben und warten somit auf die Veröffentlichung. Da in der digitalen Welt heutzutage die Bücher ohnehin mehr downgeloaded und weniger als hard copy gekauft werden, ist dies kein Problem.
NZ: Würden Sie als Nicht-Virologe eine Prognose wagen, wann wir wieder Fußball im Stadion erleben dürfen?
Krutsch: Ich finde Prognosen generell dann gut, wenn man Erfahrungswerte hat und sich in gleichen oder ähnlichen Situationen darauf berufen kann. So ist es ja bei der Wettervorhersage. Diese Epidemie und deren Auswirkungen auf Gesellschaft, Fußball und auch unsere Spieler hatten wir so noch nie, daher sind Prognosen auch für Virologen schwierig und sollten nicht inflationär gegeben werden. Wir wissen es einfach nicht, ob diese Saison noch beendet werden kann. Es hängt von vielen Faktoren ab, aber ich wünsche es mir.
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