Herbe Stimmenverluste

Volkspartei in der Krise: Jetzt spricht CSU-Prominenz über den Niedergang ihrer Partei

27.9.2021, 19:08 Uhr
Volkspartei in der Krise: Jetzt spricht CSU-Prominenz über den Niedergang ihrer Partei

© Sebastian Gollnow/dpa

Die Verluste sind zwar nicht so hoch wie die der Union auf Bundesebene, dennoch ist es eine gewaltige Ohrfeige für die CSU. 31,7 Prozent der Zweitstimmen in Bayern holte die bayerische Regierungspartei bei der Bundestagswahl, das sind 7,1 Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren. Dieser Niedergang ist nach Ansicht von namhaften Parteimitgliedern zwar auch der mangelnden Begeisterung für Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) geschuldet, aber eben nicht nur.

"Zunächst einmal haben wir überhaupt nicht den Umstand ernstgenommen, dass da ja eine Ära endet", spielt zum Beispiel Günther Beckstein auf die 16-jährige Kanzlerschaft von Angela Merkel an. Viele in der Union hätten geglaubt, dass es einen nahtlosen Übergang geben würde, wer auch immer künftig die Führung habe – nach Auffassung des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten ist das nur eine von mehreren Fehleinschätzungen gewesen.

"Die Union ist als wenig geschlossene Einheit aufgetreten, und wenn die eigenen Leute schlecht über einen reden, dann hat das doppeltes Gewicht. Das ist eine ganz alte Erfahrung", sagt Beckstein, der auch strukturelle Veränderungen wie das Thema Klima für den Niedergang der CSU verantwortlich macht. Darüber hinaus seien aufgrund der Corona-Pandemie auch viele bewährte Elemente des CSU-Wahlkampfs wie Bierfeste oder der persönliche Austausch am Stammtisch nicht möglich gewesen.


Erste CDU-Politiker drängen Laschet zu Rücktritten


Unabhängig davon habe sich auch die Gesellschaft ein deutliches Stück von der Volkspartei CDU/CSU entfernt, was in anderen europäischen Ländern übrigens schon lange vorher passiert sei. "Wir müssen sorgfältig aufpassen, dass sich das nicht zu einer strukturellen Krise entwickelt", warnt der Nürnberger CSU-Politiker.

An Söders grünerem Kurs hat es intern zwar einige Kritik gegeben, aber in der Sache hält Beckstein die Strategie des Ministerpräsidenten durchaus für richtig. "Aber es ist der Partei zu sehr aufgepropft und nicht in der Partei entwickelt worden." Auch hier habe die Pandemie eine wichtige Rolle gespielt, denn aufgrund der Kontaktbeschränkungen hatte man zwei Jahre lang erheblich weniger Gelegenheiten für Diskussionen innerhalb der Partei. Dadurch seien Söders Kurskorrekturen noch mehr als eine "Vogel-friss-oder-stirb"-Strategie empfunden worden.

Was Beckstein besonders zu denken gibt, sind die massiven Verluste seiner Partei bei den Menschen über 60 Jahren. "Das kann ich mir, offen gestanden, nur schwer erklären, weil die CSU zum Beispiel mit der Mütterrente einen Schwerpunkt für diese Wählergruppen gesetzt hat. Was seiner Partei ebenfalls große Sorgen machen müsse, sei der Umstand, "dass wir bei den Erstwählern nur auf Platz drei oder vier liegen".

Der mittelfränkische CSU-Landtagsabgeordnete Volker Bauer wiederum macht einen großen Teil der Stimmenverluste für die CSU an Armin Laschet fest, "der in Bayern einfach nicht gezogen hat". "Mit Markus Söder wäre das nicht passiert", ist Bauer überzeugt und verteidigt auch den Modernisierungskurs seines Parteivorsitzenden. "Er muss die CSU weiterentwickeln und für jüngere Wähler attraktiv machen, wenn wir nicht hinten runterfallen wollen."

Kurs halten, sei die Devise für die CSU, auch im Hinblick auf die kommende Landtagswahl, während die CDU ihre Hausaufgaben gründlich machen müsse. "Das sage ich auch mit einer gewissen Verärgerung: Wer den Wetterbericht nicht lesen kann, der darf sich nicht beschweren, wenn es ihn dann vollregnet", sagt Bauer. Es sei im Vorfeld eindeutig gewesen, welchen Unions-Kandidaten die Bevölkerung eigentlich haben wollte.


Was passiert, wenn keine Regierung zustande kommt


Cornelia Griesbeck, stellvertretende Bezirksvorsitzende der CSU Mittelfranken, macht für die Stimmenverluste der CSU auch die Tatsache verantwortlich, dass es im Wahlkampf lange Zeit nahezu ausschließlich um Kanzlerkandidaturen und -kandidaten und kaum um politische Inhalte gegangen sei. "Wenigstens haben wir in der Endphase noch eine ganz gute Aufholjagd hingelegt und bis auf einen einzigen Wahlkreis alle Direktmandate in Bayern geholt", sagt die CSU-Politikerin aus dem Landkreis Roth.

Schließlich habe auch der Auftritt der Freien Wähler auf der bundespolitischen Bühne die CSU einige Stimmen gekostet. Ansonsten aber will Griesbeck den gerade begonnenen parteiinternen Fehleranalysen nicht vorgreifen. "Das muss jetzt in aller Ruhe durchgearbeitet werden."

Walter Nussel, CSU-Landtagsabgeordneter aus dem Stimmkreis Erlangen-Höchstadt, fordert von seiner Partei, dass sie wieder volksnäher werden müsse und den Menschen zum Beispiel genau erkläre, was der Kampf gegen den Klimawandel ganz konkret bedeute für den Einzelnen. Dass Söder die Parteibasis bei seinen Kurskorrekturen in den vergangenen Jahren nicht genügend mitgenommen habe, will der mittelfränkische Parlamentarier jedoch nicht bestätigen. "Dass ich zum Beispiel bei ihm kein Gehör finde, kann ich nicht sagen. Aber da bin ich vielleicht auch zu nahe dran", sagt Nussel, der für die Bayerische Staatsregierung als Beauftragter für Bürokratieabbau fungiert.

Marlene Mortler, die mittlerweile für die CSU im Europäischen Parlament sitzt, sieht ebenfalls das lange Fremdeln vieler ihrer Parteifreunde mit Armin Laschet als einen Grund für das schwache Abschneiden ihrer Partei. Zudem habe sich die CSU noch nie komplett vom Bundestrend abkoppeln können

Wieder persönlich ins Gespräch kommen

Auf der anderen Seite sei es keine Selbstverständlichkeit, dass man 45 von 46 Direktmandaten in Bayern gewonnen habe. "Das hat vor einigen Tagen ja noch nicht so ausgesehen", betont Mortler, die in diesem Zusammenhang die Parteibasis für viele "kreative und innovative Wahlkampfformate" lobt, mit denen man trotz Corona viele Menschen erreichen konnte. Regionalkonferenzen sollen künftig aber dafür sorgen, dass man wieder persönlich ins Gespräch kommt und Dinge nicht zwischen Tür und Angel besprochen werden.

Nach Ansicht des ehemaligen CSU-Landtagsabgeordneten Hermann Imhof hätte es durchaus noch schlimmer kommen können für die Union, denn nach 16 Jahren in der Regierungsverantwortung bleiben seiner Ansicht nach gewisse Abnutzungserscheinungen einfach nicht aus. "Ich sehe nun die Chance, dass man sich in der Opposition programmatisch und personell regeneriert und erneuert."

Unter anderem hätten CDU und CSU das Thema Klimawandel immer noch nicht als höchst relevant eingestuft und kämen deshalb gerade bei jungen Leuten nicht gut an. Zudem hätten die Menschen Söder niemals abgenommen, dass er tatsächlich voll hinter Laschet gestanden sei. "Da klafften Anspruch und Wirklichkeit auseinander, und das blieb den Wählern natürlich nicht verborgen."

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