Niederlage vor Gericht

Berufsunfähig: Wegen dieses Fehlers kriegt eine Frau kein Geld von der Versicherung

28.9.2021, 10:33 Uhr
Berufsunfähig: Wegen dieses Fehlers kriegt eine Frau kein Geld von der Versicherung

© imago images/Shotshop, NNZ

80 Prozent aller Anträge auf Berufsunfähigkeitsrente (BU-Rente) werden bewilligt - der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) teilt dies offiziell mit und es klingt, als sei es nur ein dummes Vorurteil, dass es zum Geschäftsmodell der Branche gehören könnte, im Zweifelsfall eher nicht zu zahlen. Jedoch ergibt sich aus dieser Zahl auch, dass etwa 20 Prozent Betroffene um die BU-Rente bangen oder streiten müssen.

Bei der Beantragung: Vorerkrankungen nennen

Doch welche Gründe führen die Unternehmen an, wenn sie eine Zahlung verweigern? Wer eine BU-Rente beantragt, erhält von der Versicherungsgesellschaft einen Bogen, viele Fragen sind zu beantworten. Es geht um Krankheitsbilder und ärztliche Behandlungen - und auch Vorerkrankungen werden sehr genau abgefragt.

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© Marijan Murat, dpa

Wer weiß, dass eine Versicherung, bevor sie zahlt, alle Bestandteile des Vertrages kleinlich prüft und in der Krankengeschichte des Versicherten nachforscht, kann zumindest eigene Fehler vermeiden - wie ein aktuelles Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth (11 O 4279/20) zeigt: Eine 27-jährige Frau aus Niederbayern forderte von der Nürnberger Lebensversicherung eine BU-Rente. Der Versicherer verweigerte die Leistung, und dies zu Recht. Die 11. Zivilkammer wies die Klage der Frau ab. Sie hatte mehrere Vorerkrankungen bei Abschluss des BU-Vertrages nicht angeben.

Bei Ungereimtheiten fließt kein Cent

Ein häufiger Patzer, wie die GDV-Statistik belegt: 14 Prozent der beantragten EU-Renten werden nicht ausbezahlt, weil die Versicherungsnehmer "vorvertragliche Anzeigepflichten verletzten", so die juristische Formulierung. Im Klartext: Bei Ungereimtheiten fließt kein Cent.

Der Streitfall: Die Klägerin, damals war sie noch Auszubildende, schloss im September 2012 über eine Finanzberaterin eine BU-Versicherung ab. Weil sie erst 17 Jahre war, unterschrieb auch ihre Mutter den Vertrag. Monatlich waren 32,09 Euro fällig, im Oktober 2017 wurde der Beitrag auf 49,69 Euro erhöht, für die Altersvorsorge sollte bis Herbst 2061 gespart werden. Zusätzlich sollte im Fall der Berufsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit eine BU-Rente fällig werden.

Anfang Januar 2019 wurde die Frau in einen schweren Unfall mit einem Kleintransporter verwickelt. Die Versicherung prüfte und stellte fest, dass die Frau angegeben hatte, dass sie in den letzten fünf Jahren vor Vertragsabschluss unter keinen gesundheitlichen Problemen litt. Tatsächlich bekam sie als Zwölfjährige vom Augenarzt eine Brille verschrieben. Ein Orthopäde verordnete aufgrund von Schmerzen in den Knien Schuheinlagen. Und auch ein Kreislaufzusammenbruch in der Berufsschule war aktenkundig und eine Harnblasenentzündung. Zwei Wochen vor Unterzeichnung des Versicherungsvertrages wurde Migräne diagnostiziert, dazu musste die Schülerin in die Notfallaufnahme, weil ihr ein Auto über den linken Fuß gefahren war.

Nicht vorschnell unterschreiben: Ein Vertrag braucht Zeit

Aus ihrer Sicht harmlose Kleinigkeiten. Kann man nicht annehmen, dass Schmerzen im Knie dem Wachstum in der Pubertät geschuldet waren? Und was haben Einlagen für Schuhe und eine Brille mit einem Verkehrsunfall zu tun? Außerdem habe die Finanzagentin in der Beratung damals jene Fragen auf dem Antragsformular nach der Gesundheit als unwesentlich dargestellt. Die Finanzagentin behauptet heute das Gegenteil. Sie will ausdrücklich betont haben, wie wichtig die Fragen seien.

Und die Versicherung wertete am Ende all die falsch beantworteten Fragen der Versicherungsnehmerin als arglistige Täuschung.

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Man kann heute leicht spekulieren: Vielleicht wollte die Finanzberaterin den Vertrag schnell abschließen um ihre Provision zu kassieren, vielleicht wollte sie sogar Nachfragen des Versicherers verhindern. Fest steht jedoch nur die eindeutige Formulierung im Versicherungsantrag: "Die Antragsprüfung der Nürnberger Versicherung bewertet Risiko- und Gesundheitsangaben. Bitte beantworten Sie die Angaben zum Gesundheitszustand vollständig und richtig. Nur so stellen Sie sicher, dass Ihr Versicherungsschutz auch tatsächlich wirksam ist."

Es geht um viel Geld - daher gibt es auch keine Kulanz

"Die vorvertragliche Anzeigepflicht ist rechtlich eine gesetzliche Obliegenheit", sagt Justizsprecher Friedrich Weitner. Künftige Versicherungsnehmer, die nicht genau hinschauen, tappen schnell in einen unliebsamen Vertrag und gehen - wie die junge Frau aus Niederbayern - leer aus. Für die Versicherungen ist die Überprüfung einfach: Sie erfahren über den Hausarzt und die behandelnden Fachärzte, ob in den Jahren vor Vertragsabschluss Krankheiten aufgetreten sind. Werden Arztbesuche entdeckt, die nicht angegeben wurden, erklärt das Unternehmen den Rücktritt vom Vertrag.

Das Versicherungsvertragsgesetz schützt die Versicherung und das Kollektiv der Versicherten. Und da es um richtig viel Geld geht, gibt es hier keine Kulanz. Wer vorübergehend Rückenschmerzen hatte, muss damit rechnen, dass die Versicherung dies später als erste Anzeichen einer späteren Muskulatur- oder Knochenerkrankung wertet.

Jurist Weitner empfiehlt daher, sich von Vermittlern nicht drängen zu lassen, sondern sich Zeit zu nehmen. Die Versicherung muss ihre Fragen schriftlich stellen, und auch die Antworten müssen schriftlich sein. Und angeben muss der künftige Versicherungsnehmer nur, wonach er auch konkret gefragt wird. Schon deshalb kann es sich lohnen, sich bereits beim Ausfüllen des Fragebogens beraten zu lassen, beispielsweise vom Hausarzt. Auch eine Rückversicherung durch einen Anwalt für Versicherungsrecht empfiehlt sich.

Nicht mehr beantworten, als gefragt wird

Zulässig sind auch weit gefasste Fragen, etwa nach Beschwerden, Störungen oder Krankheiten in den letzten zehn Jahren. Wird dabei zum Beispiel das Herz angesprochen, muss der Versicherungsnehmer jedoch nicht ungefragt ergänzen, dass ihn manchmal auch die Verdauung plagt. Auch muss nicht jeder grippale Infekt erwähnt werden, andererseits können Bagatellerkrankungen, häufen sie sich, auf ein beeinträchtigtes Immunsystem deuten.

Das Versicherungsvertragsgesetz, so Justizsprecher Friedrich Weitner, zieht eine Grenze, wenn die Fragen so weit gehen, dass ein Versicherungsnehmer riskieren muss, eine Fehleinschätzung zu treffen. "Sind Sie zur Zeit vollkommen gesund?" oder "Bestanden jemals Krankheiten" wären viel zu pauschale Formulierungen.

Fragen, die nicht gestellt werden, können auch nicht falsch beantwortet werden, stellte der Bundesgerichtshof (Az.: IV ZR 218/95) fest: In diesem konkreten Streitfall verweigerte eine Versicherung (zu Unrecht) die Leistung, da der Versicherungsnehmer keine Fragen nach der Gesundheit beantwortet hatte. Doch in der Beweisaufnahme stellte sich heraus: Der Versicherungsvertreter hatte den Kunden auch nur nach dessen Größe und Gewicht gefragt. Dies belegt: Kein Versicherungsnehmer muss - werden die Fragen nicht gestellt - freiwillig gesundheitliche Probleme preis geben. Und hält der Vertreter Angaben zu Allergien, Kuraufenthalten oder Arztbesuchen für überflüssig, kann dies nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers gehen.

So räumte ein Versicherungsagent vor dem Oberlandesgericht München (Az.: 25 U 5827/07) ein, zwei Jahre zurückliegende Rückenschmerzen des Versicherten nicht notiert zu haben, schließlich klangen die Schmerzen bereits ab. Später wurde der Versicherungsnehmer wegen Wirbelsäulenbeschwerden berufsunfähig.

In einem Versicherungsvertrag, der das Oberlandesgericht Karlsruhe (Az.: 12 U 156/16) beschäftigt hat, wurden gar keine Gesundheitsfragen gestellt. Auf dem Antrag für die Berufsunfähigkeitsversicherung war lediglich eine "Erklärung" zu lesen, die der Versicherungsnehmer durch ein Kreuzchen bestätigen sollte: "Ich erkläre, dass bei mir bis zum heutigen Tage weder ein Tumorleiden (Krebs), eine HIV-Infektion (positiver AIDS-Test), noch eine psychische Erkrankung oder ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) diagnostiziert oder behandelt wurden."

Nicht gefragt oder arglistige Täuschung?

Der Versicherungsnehmer, er litt zu diesem Zeitpunkt bereits an multipler Sklerose, gab diese Krankheit nicht an. Da der Versicherer danach auch nicht gefragt hatte, war er dazu auch nicht verpflichtet. Arglistige Täuschung sahen die Richter dennoch. Die Klage des Versicherungsnehmers scheiterte - doch aus anderen Gründen. Der Mann - dies belegten Gutachten - konnte seinen Beruf schon länger nicht mehr uneingeschränkt auszuüben. Doch im Vertrag machte er sein Kreuzchen an der falschen Stelle und behauptete: "Ich bin fähig, in vollem Umfange meiner Berufstätigkeit nachzugehen."

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