Corona-Krise: Der Einzelhandel verliert - und Amazon gewinnt

8.12.2020, 05:54 Uhr
Online-Händler wie Amazon machen dem Einzelhandel Konkurrenz und profitieren von der Corona-Krise.

© Reuters Online-Händler wie Amazon machen dem Einzelhandel Konkurrenz und profitieren von der Corona-Krise.

Namenhafte Unternehmen wie Zalando und Amazon werfen schon länger einen bedrohlichen Schatten auf die nun stark von der Corona-Krise getroffenen Boutiquen und Modehäuser in den Städten. Thomas Leipold, Chef des Modehauses Leipold in Ziegelstein, hält dennoch herzlich wenig von einem Boykott-Aufruf: "Amazon hat sich eben bewährt. Da hängen ja mittlerweile auch viele Existenzen und Familien dran", erklärt der Unternehmer sachlich. Auch der Bezirksgeschäftsführer Mittelfranken des Handelsverbandes Bayern (HBE), Uwe Werner, sieht solche Aktionen wie in Frankreich kritisch: Boykottaufrufe dieser Art seien seines Wissens in Deutschland verboten, aber natürlich wolle der Verband die Kunden darauf aufmerksam machen, für das Weihnachtsgeschäft lieber in den lokalen Geschäften vor Ort einzukaufen.

Werner ist auch Beirat im Verein "Erlebnis Nürnberg", der sich für die Interessen der Einzelhändler in der Stadt einsetzt. "Die Stimmung ist allgemein etwas gespalten", erklärt er. Während es Einrichtungsläden und Fahrradhändlern relativ gut gehe, herrsche bei vielen Geschäftstreibenden in der Innenstadt großes Bangen. Durch die Pandemie stark eingebrochene Umsätze und die Angst vor der Konkurrenz aus dem Internethandel spielen da natürlich eine Rolle, so Werner.

Laufender Prozess

Die wachsende Konkurrenz durch den Online-Handel bemerken viele Einzelhändler freilich nicht erst seit Corona. Jahr für Jahr steigern die Shopping-Plattformen ihren Absatz. Das Virus und damit einhergehende Lockdown-Maßnahmen beschleunigen diese Entwicklung lediglich.


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Der erste ernst zu nehmende Konkurrent für den stationären Einzelhandel trat auch schon vor Jahrzehnten in Erscheinung. Die Versandhäuser mit ihren Hochglanz-Katalogen erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Der Quelle-Katalog etwa gehörte in jeden Haushalt. Vor allem die ländliche Bevölkerung profitierte vom Bestell-System über Telefon oder Postsendung. Quelle ist bekanntlich passé. Wie aber wird es mit den Innenstädten und den lokalen Einzelhändlern vor Ort weitergehen?

Die ausgestorbene Nürnberger Innenstadt während des Lockdowns im März.

Die ausgestorbene Nürnberger Innenstadt während des Lockdowns im März. © Michael Matejka

Zunächst einmal drohen immer mehr Leerstand und karge Schaufenster. "Für Läden, die Corona nicht überstehen, finden sich auch nicht so einfach Nachfolger in den Städten", prognostiziert Werner. Die Verbraucher haben es selbst in der Hand, wie sich das Stadtbild verändert - und inwieweit sie sich mit den Händlern vor Ort solidarisieren.


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Dieser Auffassung ist auch Tatjana Halm, Referatsleiterin Markt und Recht bei der Verbraucherzentrale Bayern. Grundsätzlich stehe es den Verbrauchern offen, ob sie online oder im Handel vor Ort einkaufen, stellt sie klar, gibt aber auch zu bedenken: "Ginge der stationäre Handel verloren, würde auch die persönliche Beratung verloren gehen, die der Kunde online nicht in der Form bekommt."

Online gegen Offline-Shopping

Die persönliche Beratung ist nur einer der Vorteile des Einzelhandels vor Ort. Brigitte Seibold (59) (Name durch die Red. geändert) aus dem Landkreis Neustadt/Aisch genießt es vor allem auch, in der Stadt unterwegs zu sein, mit anderen Kunden und den Verkäuferinnen ins Gespräch zu kommen. Es sind solche Kunden, die Thomas Leipold positiv stimmen: "Das Online-Geschäft kann keine Herzenswärme verkaufen. Wir kennen teilweise die Familiengeschichten unserer Kunden und wissen, was sie erfreut." So etwas könne der Online-Handel nicht bieten, ist Leipold überzeugt.


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Die Vorzüge des Online-Handels liegen auf der Hand: bequemes Shoppen in Kuschelsocken vom Sofa aus und das ohne Öffnungszeiten, zudem ein größeres Sortiment mit vielen Vergleichsmöglichkeiten. Vorteile, die Helena Stiegler (Name durch die Red. geändert) zu schätzen weiß. Die Schwabacherin bestellt etwa 60 Prozent ihrer Einkäufe im Internet. Hauptgrund dafür sei jedoch das Geld. "Im Handel kostet ein neues Buch teilweise 20 Euro. Online bekommt man das gebraucht für viel weniger", berichtet die 25-Jährige. Auch Kleidung steht oben auf ihrer Online-Shopping-Liste: "Das liegt weniger an der Bequemlichkeit. Oft finde ich in der Stadt einfach nicht was ich brauche."

In solchen Fällen greift auch Brigitte Seibold auf den Online-Handel zurück: "Wenn ich etwas nicht finden kann, dann bitte ich einfach meine Tochter, es mir zu bestellen." Ein Grund, den auch Uwe Werner gelten lässt. "Wenn Sie etwas in der Stadt nicht bekommen, ist der Online-Handel sicherlich eine Ergänzung. Aber wenn man 20 Päckchen pro Woche bestellt und davon 15 wieder zurückschickt, ist das in mehrfacher Hinsicht bedenklich", so der HBE-Bezirksvorsitzende. Generell sei es wichtig, ein Mittelmaß, eine Art hybrides Einkaufsverhalten zu entwickeln, meint auch Verbraucherschützerin Tatjana Halm.

Lokale Händler im Zugzwang

Nur auf die Stamm- und Laufkundschaft zu setzen, könnte den lokalen Geschäften in Zukunft nicht mehr reichen. Sie müssen sich neue Konzepte und Vertriebsmöglichkeiten einfallen lassen. Auch wenn Amazon und Co. oft als Gegner dargestellt werden: Solche Plattformen bieten den stationären Einzelhändlern die Möglichkeit, darüber ihre Waren zu verkaufen. "Wir rufen unsere Händler natürlich auf, zumindest eine Internetseite oder sogar eigene Online-Shops zu betreiben. Wenn sie dazu nicht die Möglichkeit haben, können sie sich auch den Online-Plattformen anschließen", erklärt Werner. Es bestehe jedoch immer die Gefahr, dass gut verkaufte Produkte dann auch irgendwann von den Online-Händlern selbst angeboten werden.

Dass sich ein Online-Auftritt auch für kleinere Geschäfte lohnt, kann Anne-Katherin Staudigel bestätigen. In ihrem kleinen Deko-Geschäft "Sein und Haben" in der Nürnberger Altstadt seien die Verkaufszahlen über den Online-Auftritt 2020 und vor allem im letzten Quartal extrem gestiegen: "Die Online-Bestellungen kommen aus ganz Deutschland. Früher waren es maximal 15 pro Woche, jetzt sind wir bei sieben am Tag." Der stationäre Handel sei aber noch immer ihr Umsatztreiber. "Gute Atmosphäre kann eben nur der Einzelhandel bieten", bekräftigt die Ladeninhaberin.

Auch Thomas Leipold versucht, mithilfe einer ordentlichen Internetpräsenz den Kontakt zu den Online-Käufern zu halten. Neben einer Website, auf der Kunden individuelle Shopping-Termine samt Beratung vereinbaren können, hat das Modehaus sogar eine eigene App. Diese informiert über anstehende Rabattaktionen, zudem können die Käufer ihr Kundenkonto darüber verwalten. Einen eigenen Online-Versand werde es beim Modehaus Leipold jedoch nicht geben: Abgesehen vom logistischen Aufwand, wolle man einfach nah am Kunden sein, begründet Leipold.

Den Verbrauchern ist die Lage der Läden durchaus bewusst. Obwohl Brigitte Seibold großen Respekt vor Corona hat, wird sie zum Weihnachtsgeschenkekauf in die Stadt gehen. "Mir tut es vor allem um die Kleinstädte leid. Die sind teilweise schon wie ausgestorben, und das schon vor Corona", erklärt sie ihre Beweggründe. Auch Helena Stiegler will aus Solidarität dieses Jahr ihre Geschenke im lokalen Handel besorgen. Einen Verzicht auf Amazon im Weihnachtsgeschäft wie in Frankreich, finden beide übrigens gut: "Man muss den unermesslichen Reichtum von Amazon-Gründer Jeff Bezos nicht noch erhöhen."

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