Airbag: einfache Idee, schwierige Umsetzung

Vor 50 Jahren wurde ein Lebensretter zum Patent angemeldet

23.10.2021, 10:15 Uhr
Rettung in letzter Sekunde: Wenn der Schutz des Gurts nicht ausreicht, wird der Airbag gezündet. 

© Mercedes-Benz AG - Mercedes-Benz Classic Communications, NN Rettung in letzter Sekunde: Wenn der Schutz des Gurts nicht ausreicht, wird der Airbag gezündet. 

Wer hat eigentlich den Airbag erfunden? „Es kommt ganz darauf an, wen man fragt: Deutsche oder Amerikaner“, sagt Mirko Gutemann, Sprecher des Autozulieferers ZF Friedrichshafen. „Beide sagen, sie waren die ersten.“ Ideen zu einem aufblasbaren Schutz gab es bereits um 1920 – im Bereich der Luftfahrt. Sie wurden aber nie wirklich realisiert. Das Thema lag dann wieder in der Luft, als man Anfang der 50er Jahre über mehr Schutz für Autofahrer nachdachte. So traten mehrere Tüftler zur gleichen Zeit auf den Plan.

„Die ersten Patente für Airbags im Pkw gab es relativ parallel in Deutschland und den USA“, sagt Gutemann. „Der deutsche Ingenieur Walter Linderer kann für sich sagen, am 6. Oktober 1951 als erster ein Patent eingereicht zu haben.“ Es waren dann aber die Amerikaner, die zuerst Autos mit Airbags auf die Straße brachten. Die neue Einzel-Ausstattung stieß jedoch auf hohe Skepsis und konnte sich nicht durchsetzen, das Angebot wurde bald wieder eingestellt.

Zehn Jahre vom Patent zur Premiere

In Serie wurden Autos mit Airbag zuerst von Daimler-Benz produziert. Vor genau 50 Jahren, am 23. Oktober 1971, meldete das Unternehmen das Patent an für eine „Aufprallschutzvorrichtung für den Insassen eines Kraftfahrzeugs“. Es dauerte dann aber noch zehn weitere Jahre, in denen das neue Schutzsystem verbessert wurde, bis es schließlich 1981 Premiere feierte: auf dem Automobilsalon in Genf.

Ein Schauplatz von größerer Bedeutung für die Entwicklung des Airbags ist jedoch das unterfränkische Aschaffenburg. Hier hatte die Petri AG ihren Sitz, die zusammen mit der Bayern-Chemie in Aschau den Airbag zur Serienreife weiterentwickelte. Petri fertigte die ersten Luftkissen fürs Lenkrad, die Gasgeneratoren zum Aufblasen kamen von der Bayern-Chemie, deren Nachfolgefirma heute zu ZF gehört.

„Die Grundidee war, Insassen durch Luftsäcke zu sichern“, erzählt ZF-Sprecher Gutemann mit Blick auf die ersten Tüftler wie Walter Linderer oder den Amerikaner John W. Hetrick. „Sie hatten aber noch nicht die technischen Möglichkeiten parat, das umzusetzen. Denn das Luftkissen kann nur schützen, wenn es schnell genug aufgeht, innerhalb von Sekundenbruchteilen.“ Die Lösung: Im Fahrzeug verbaute Crashsensoren melden einen Aufprall an ein Steuergerät, das mithilfe von Pyrotechnik blitzschnell Gas in den Airbag füllen lässt. Das Luftkissen aus einem speziellen Nylongewebe entfaltet sich innerhalb von nur 30 bis 40 Millisekunden – und fällt auch schnell wieder zusammen, dafür sorgen vor allem Entlüftungsschlitze.

„Der Airbag hilft aber nur richtig, wenn der Sicherheitsgurt korrekt verwendet wird“, betont Gutemann. Der Gurt ist Lebensretter Nummer eins, er bietet den meisten Schutz. Bei einem schweren Aufprall kann der Gurt zunächst rund zwei Drittel der Energie aufnehmen und den Fahrer zurückhalten. Wenn das nicht genügt und der Insasse weiter nach vorne geschleudert wird, kommt der Airbag hinzu, damit er nicht gegen das Lenkrad oder andere feste Teile des Armaturenbretts prallt.

Zahl der Toten und Verletzten stark gesunken

Wie wirksam das Zusammenspiel von Airbag und Gurt ist, zeigt die Unfallstatistik. Wolfgang Lieberth vom ADAC Nordbayern blickt auf das Jahr 1971, als Daimler-Benz sein Patent anmeldete, aber noch einen weiten Weg bis zur Serienfertigung hatte: „Damals war in den Fahrzeugen gar nichts drin, weder Airbag noch Gurt.“ Allein in der alten Bundesrepublik kam es 1971 zu rund 406.000 Unfällen mit Personenschaden.

„Dabei gab es rund 564.000 Verletze und knapp 21.000 Tote. Das sind sehr hohe Zahlen, gerade bei den Getöteten“, sagt Lieberth. Sie sind inzwischen deutlich gesunken: In ganz Deutschland ereigneten sich 2019 rund 300.000 Unfälle mit Personenschaden, es gab 384.000 Verletzte und 3.046 Tote.


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„Da muss man noch berücksichtigen, dass die Verkehrsdichte nun wesentlich höher ist, weil die Zahl der Fahrzeuge in den letzten 50 Jahren stark gestiegen ist“, betont der Verkehrsexperte. Der Fahrzeugbestand hat sich verdreifacht, zudem werden die jährlich zurückgelegten Strecken immer länger. „Im Verlauf der 80er Jahre wurden immer mehr Airbags eingebaut, seit 1984 ist für Gurtmuffel ein Bußgeld fällig – diese Maßnahmen haben die Sicherheit wesentlich erhöht.“

Sparmaßnahme mit tödlichen Folgen

Wie bei vielen technischen Innovation kam es aber auch beim Airbag zu Pannen und Rückschlägen. Der folgenschwerste Fehler unterlief dem japanischen Hersteller Takata, der im Jahr 2000 die Aschaffenburger Airbag-Pioniere der Petri AG übernommen hatte. Für die pyrotechnische Auslösung des Airbags stieg die Firma vom gängigen Sprengstoff Tetrazol auf billigeres Ammoniumnitrat um. Diese Sparmaßnahme führte letztlich zum Rückruf von knapp 34 Millionen Autos in den USA und zur Insolvenz von Takata.

Denn Ammoniumnitrat ist empfindlich gegenüber Temperaturänderungen und Feuchtigkeit, und so kam es in den feuchten Südstaaten der USA zu Auslösungen des Airbags mit zu großer Wucht, zudem gab es Fehlzündungen. Die durch diesen Defekt verursachten Verletzungen endeten in elf Fällen tödlich.

Es sind nicht die einzigen Todesfälle in der Geschichte des Airbags. Doch um ein Vielfaches höher ist die Zahl der Menschen, denen das Luftkissen buchstäblich in letzter Sekunde das Leben gerettet hat. Zum beeindruckenden Rückgang in der Unfallstatistik der letzten 50 Jahre haben jedoch auch andere technische Entwicklungen beigetragen, die Crashs verhindern oder abmildern - zum Beispiel das Antiblockiersystem ABS oder der elektronische Schleuderschutz ESP.

Wenn es aber zum Aufprall kommt, müssen Gurt und Airbag perfekt funktionieren. „Die Entwickler wollen den Schutz weiter verbessern, indem sie mit Sensoren messen, wer genau da im Sitz ist“, sagt Lieberth. „Große und schwere Insassen brauchen eine andere Reaktion als kleine oder leichte Personen. Da sind gerade alle Hersteller dran.“

Während die Technik von Gurten und Airbags immer weiter optimiert wird, hat sich bei den Insassen in den vergangenen Jahrzehnten nicht so viel getan: Sie sind weiterhin sehr menschlich, handeln also nicht immer korrekt. Auch wenn der Airbag bei Unfällen meist Schlimmeres verhindert, kann also weiterhin vieles schief gehen, sobald der Faktor Mensch ins Spiel kommt. Zum Beispiel mit einer allzu sorglosen Körperhaltung.

Vor allem bei jungen Männern ist die Pose beliebt, nur eine Hand oben auf die Mitte des Lenkrads zu legen. Wird durch einen Aufprall der Airbag ausgelöst, ist es schlagartig vorbei mit der Lässigkeit: Der Fahrer haut sich mit der eigenen Hand ins Gesicht. „Man sieht es auch immer wieder, dass Beifahrer ihre Füße hochlegen aufs Armaturenbrett. Wenn in dieser Haltung ein Airbag ausgelöst wird, werden einem die Füße ins Gesicht geschlagen, da kann man sich alles brechen“, warnt Lieberth.

Winterjacken als Sicherheitsrisiko

Diese Hängematten-Position ist vor allem auf sommerlichen Urlaubsfahrten zu beobachten, im Winter sind die Autofahrer dann oft zu flauschig eingepackt. „Eine dicke Winterjacke ist schlecht, da kann der Gurt nicht optimal schützen. Die Jacke gibt nach und man wird zunächst einige Zentimeter ungebremst nach vorne geschleudert, bevor der Gurt einrastet“, sagt ADAC-Experte Lieberth. „Der Gurt sollte immer möglichst dicht am Körper anliegen.“

Von der idealen aufrechten Sitzposition dürften sich viele Insassen in Zukunft noch weiter entfernen: Wenn das automatisierte Fahren es auch dem Fahrzeuglenker erlaubt, das Steuer loszulassen. „Da werden neue Systeme von Gurten und Airbags nötig“, sagt Lieberth. Die Anzahl der Airbags im Auto wächst ohnehin permanent: Einst hatte nur der Fahrer einen Luftsack im Lenkrad, inzwischen gibt es für jeden Platz im Fahrzeug mindestens einen Aufprallschutz.

Neuer Schutz für Fußgänger

BMW entwickelt bereits zusammen mit dem Zulieferer ZF eine Sensorik für große Luftsäcke an der Außenseite von Autos, die sich schon unmittelbar vor einem unausweichlichen Crash öffnen können und so die Wucht des Zusammenpralls zweier Fahrzeuge abschwächen. Zudem werden spezielle Luftkissen für die Außenseite getestet, die für den Schutz von Fußgängern sorgen sollen.

Die Idee des blitzschnell aufblasbaren Schutzkissens ist schon länger nicht mehr auf Auto-Insassen beschränkt. Es gibt Airbag-Jacken für Motorradfahrer sowie entsprechend ausgestattete Westen und Rucksäcke für Ski-, Wasser- und sonstige Sportler. Der Airbag öffnet sich für alle.

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