Adel Tawil: "Ich fühlte mich völlig wertlos"

31.3.2014, 15:55 Uhr
Adel Tawil:

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In dem Begleittext zu Ihrem Soloalbum „Lieder“ ist von einer „dunklen Hölle“ die Rede. Wie tief sind Sie in jungen Jahren gefallen?

Tawil:
Es war schon ein tiefer Fall. Wir hatten damals mit der Band The Boyz die falschen Leute kennen gelernt, wir waren vollkommen unerfahren. Solche Abstürze von Teeniestars sind ja nicht neu. Deswegen war es so besonders, dass mir später „Ich + Ich“ passierte. Ab dem Zeitpunkt konnte ich mich über Erfolge wieder freuen. Auf der anderen Seite wurde mir bewusst, dass mir der ganze Hype mit den roten Teppichen nichts bringt, weil es nichts mit mir persönlich zu tun hat. Mit 17 wusste ich das noch nicht. Deshalb fiel ich sehr tief, hatte Existenzängste und keine Kohle.

Ließen Sie sich das anmerken?

Tawil:
Nein. Innerlich war ich deprimiert, aber äußerlich spielte ich eine Show nach dem Motto: Ich bin doch kein One-Hit-Wonder! In Wirklichkeit fühlte ich mich drei, vier Jahre lang völlig wertlos. Trotz allem habe ich mich weiter um mein Studio gekümmert und im Auftrag Remixe gemacht. Es war ein ständiger Wechsel zwischen „on“ und „off“. Deswegen fiel das erste „Ich + Ich“-Album auch so düster und melancholisch aus.

Auf „Lieder“ singen Sie nun sehr gefühlvolle Songs. War es für Sie immer selbstverständlich, offen über Gefühle zu sprechen?

Tawil:
Mein Vater, der Philosophie studiert hat, ist zwar ein sehr nachdenklicher Mensch, aber keiner, der seine Gefühle nach außen trägt. Genau so wurde ich erzogen. Meine erste Band war eher ein Showprojekt: fünf Jungs singen und tanzen. Erst bei „Ich + Ich“ habe ich mich wirklich öffnen können. Angefangen hat es mit „Du erinnerst mich an Liebe“.

Plötzlich sollten Sie Liebeslieder singen, die eine Frau geschrieben hatte. Fiel Ihnen das leicht?

Tawil:
Ich erinnere mich, wie ich zu Annette sagte: „Annette, ich finde den Song super. Aber das Wort ‚Liebe‘ singe ich nicht. Das geht gar nicht!“ Sie meinte, ich sollte es trotzdem mal probieren. Was ich dann auch tat. In dem Moment betrat ihre süße Nichte den Raum - und fand meinen Gesang sofort toll. Und wenn ich mir jetzt mein Album anhöre, dann ist es tatsächlich voller Liebe! Das hohe Niveau bei „Ich + Ich“ hat mich geprägt. Das alles hatte nichts mehr mit der Welt zu tun, aus der ich kam.

Was war das für eine Welt?

Tawil:
Es war eine Schein-Welt. Über Annette habe ich dann ganz andere Leute kennen gelernt. Auf einmal stand Udo Lindenberg vor mir. Oder Peter Maffay. Alte Hasen, die mit dem Musikgeschäft relativ entspannt umgehen und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.

Sie leben zwischen zwei Kulturen. Ein Spagat?

Tawil:
Die jüngsten Besuche in Kairo haben mir einen völlig neuen Blick auf meine Wurzeln eröffnet. Früher hat mich das überhaupt nicht interessiert. Ich fand es nervig, in den Ferien jedes Mal zu meinen Großeltern zu fahren. Für ein Kind ist Kairo nur irgendeine eine Millionenstadt mit viel Smog und ohne Spielplätze. Meine Klassenkameraden fuhren nach Schweden, Italien und Spanien, aber ich musste nach Kairo! Heute interessiere ich mich wieder für die Entwicklungen in Ägypten und Tunesien.

Vor allem wegen der arabischen Revolution?

Tawil:
Ja, unter anderem. Heute habe ich eine ganz andere Perspektive auf Nordafrika. Kairo ist eine unfassbar kreative, riesige Stadt. Es war ein tolles Gefühl, in Kairo im Zuge der Revolution mit Studenten, Künstlern und anderen Intellektuellen zu sprechen. Durch den Song mit Mohamed Mounir habe ich einen ganz neuen Zugang zu der ägyptischen Kultur bekommen.

Der Musiker Mohamed Mounir gilt als Stimme der ägyptischen Revolution. Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?

Tawil:
Um ihn habe ich mir richtig Sorgen gemacht. Er lebt im Botschaftsviertel unweit des Tahrir-Platzes. Als ich das letzte Mal in Kairo war, brannte es in seinem Viertel Garden City. Mounir war einer der wenigen Künstler, die es gewagt hatten, gegen Mubarak ihre Stimme zu erheben. Wäre Mubarak im Amt geblieben, wäre Mounir heute sicher kein freier Mann mehr. Die Ägypter lieben ihn für seinen Mut.

Fühlt Ägypten sich wie Heimat an?

Tawil:
Nein. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und fühle mich hier manchmal noch ein bisschen fremd. Aber in Ägypten fühle ich mich noch viel fremder. Die Mentalität dort ist eine andere. Zudem spreche ich ein Mischmasch aus Ägyptisch und Tunesisch. Ägypter halten mich deshalb manchmal für einen Algerier.

Wie denken eigentlich Ihre Eltern über die arabische Revolution?

Tawil:
Tunesien ist ein kleines Land mit einem lebenslustigen, unfassbar herzlichen Volk. Auf der anderen Seite die Ägypter: stolze Pharaonen. Bei uns zuhause war es ein großes Thema, dass dieses kleine Tunesien es geschafft hatte, seinen Diktator zu stürzen. Schlägt Tunesien Ägypten im Fußball, tanzt meine Mutter in der Wohnung und mein Vater wird ernsthaft sauer.

Und dann startet Tunesien auch noch die arabische Revolution! Das konnten die Ägypter natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Deswegen war es nur eine Frage der Zeit, bis sie nachzogen. Jetzt hoffe ich inständig, dass sich die Lage in Ägypten irgendwann bessert. Was in Kairo gerade passiert, vermittelt aber ein ganz falsches Bild: Die Ägypter sind eigentlich ein herzliches, gastfreundliches Volk. Sie müssen jetzt schauen, von wem sie regiert werden und welchen Lebensstil sie haben wollen.

Adel Tawil gastiert am 5. April in der Nürnberger Arena.

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