Herzlich willkommen in Absurdistan, liebes Publikum!

28.9.2018, 15:52 Uhr
Herzlich willkommen in Absurdistan, liebes Publikum!

© Foto: Konrad Fersterer

Dass die Welt einem absurden Theater gleicht, hat man schon vorher geahnt. Jan Philipp Gloger hätte es sich zum Spielzeit-Auftakt auch leichter machen können, statt einen in die Jahre gekommenen Klassiker des modernen Theaters wiederzubeleben. "Ein Stein fing Feuer" verbindet und ergänzt zwei Stücke von Eugène Ionesco (1909-1994) mit weiteren Texten des etwas in Vergessenheit geratenen Autors. Es geht um Kunst und Kommunikation, um Dichtung und Wahrheit, Schein und Sein, um Gott und die Welt – also um all das, was im Theater verhandelt wird. Insofern ein durchaus programmatischer, viel versprechender Auftakt.

Gloger stellt Ionescos erstes Stück "Die kahle Sängerin" neben "Die Unterrichtsstunde", eine Kombination die seit 1957 bis heute auf dem Spielplan des kleinen Pariser Théâtre de la Huchette steht. Solange wird es die Nürnberger Inszenierung vermutlich nicht schaffen. Das macht aber gar nichts. Gloger erweist sich damit als einfallsreicher, sehr genauer Regisseur, der den Autor behutsam modernisiert, zugleich aber beim Wort und damit ernst nimmt. Außerdem nützt er die Gelegenheit, sein Ausstatter-Team und Teile seines Ensembles eindrucksvoll zu präsentieren.

Die großen Fragen

Was wie ein ganz normales Ehedrama in einem ganz normalen Appartement beginnt, endet überraschend bei den großen Fragen der Menschheit. Die Antworten muss sich der Zuschauer an diesem unterhaltsamen Abend freilich selbst zusammenreimen.

Das Ehepaar Schmidt (Julia Bartolome und Sascha Tuxhorn) beherrscht die Kunst des Aneinandervorbeiredens aus dem Eff-Eff. Die Situation eskaliert, als unerwartet Herr und Frau Martin (Lisa Mies und Maximilian Pulst) zu Besuch kommen, die vergessen haben, dass sie schon lange miteinander verheiratet sind.

Glück im Unglück, dass plötzlich ein schüchterner Feuerwehrhauptmann (Frank Damerius) auftaucht, der sich als perfekter Beziehungsberater entpuppt. Aber hier sind nicht nur die Beziehungen aus den Fugen, auch die Sprache funktioniert nicht mehr und Welt löst sich buchstäblich in ihre Einzelteile auf.

Nahtlos gehen die beiden Ionesco-Stücke ineinander über, nach der vollständigen Wohnungsauflösung rückt eine überdimensionale Wohnwand bedrohlich in den Vordergrund. Das verblüffende Bühnenbild von Marie Roth dient als Spielfläche und Kletterparcour für eine wahnwitzige "Unterrichtsstunde". Auch hier ist die Welt nur scheinbar in Ordnung wie im Ikea-Katalog.

Gloger setzt die Figur der Haushälterin (Annette Büschelberger) als verbindendes Element ein und legt ihr überdies alle möglichen Zitate von Eugène Ionesco in den Mund. Der Autor kann auf diese Weise sein eigenes Werk kommentieren.

In der Unterrichtsszene laufen Sascha Tuxhorn als Professor und Süheyla Ünlü als seine Schülerin zu komödiantischer Höchstform auf. Vor allem Tuxhorn begeistert mit vollem Körpereinsatz als sportlich durchtrainierter Kopffüßler, der sich übers Sofa schlängelt, an Kleiderbügeln hangelt und auf der Waschmaschine herumturnt. Nicht zu vergessen seine Einlagen als tränentreibender Schnellsprecher und Sprachakrobat.

Bis hierhin hat der Wahn- und Wortwitz durchaus Methode, doch dann setzt der Regisseur noch eins drauf – und das Publikum verliert endgültig den Boden unter den Füßen. Auf einmal ist Schluss mit lustig, und es geht um’s Große und Ganze, um Schicksal, Selbsterkenntnis und Sterblichkeit.

Gloger greift auf persönliche und theoretische Ionesco-Texte zurück, um dem absurden Treiben einen philosophischen Überbau zu geben. Da suchen die Schauspieler ihren Autor und machen sich am Lagerfeuer Gedanken über die Sinnlosigkeit des Lebens. Ein Neanderthaler mit Knüppel schlürft über die Bühne und will auch mal übers I-Pad wischen.

Damit nicht genug: Die Schauspieler bitten die Zuschauer zur möglichen Erleuchtung (inklusive ein Glas Sekt) auf die Bühne, ein Teil des Publikums bleibt sitzen. Dazu gesellen sich ein paar naseweise Nashörner aus dem gleichnamigen Stück. Ach ja, sogar die kahle Sängerin tritt am Ende auf: Frank Damerius schwebt als Drag Queen im roten Tüllkleid vom Bühnenhimmel und singt Nonsens-Lieder zur Gitarre. Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?

Fazit: Starke Einzelszenen, großartige Schauspieler, tolle Ausstattung, aber ein bisschen zu viel des Guten.

"Ein Stein fing Feuer" steht erst wieder am 14., 24. und 26. Oktober auf dem Programm. Karten-Tel. 01 80/1 34 42 76 oder 09 11/ 2 16 27 77.

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