Kerstin Thieme: Eine unbeugsame Komponistin

22.6.2009, 00:00 Uhr
Kerstin Thieme: Eine unbeugsame  Komponistin

© Contino

Geboren wurde Thieme als Kind eines kaufmännischen Direktors und einer aus einer Hugenottenfamilie stammenden Südfranzösin am 23. Juni 1909 in dem Erzgebirg-Städtchen Nieder-Schlema. Nach dem Abitur schrieb sich Thieme in die Kompositionsklasse an der Leipziger Musikhochschule von Hermann Grabner ein, zu der zur gleichen Zeit auch Hugo Distler (1908-1942) und der spätere Filmkomponist Miklós Rózsa (1907-1995) zählten. Gleichzeitig studierte Thieme auch an der Leipziger Universität, etwa Ganzheitspsychologie bei Felix Krueger.

Starker Druck in der DDR

Erste Kompositionserfolge rühren aus den frühen 30er Jahren, etwa die Uraufführung der «Variationen über ein Thema von Hindemith« im Leipziger Gewandhaus. Nach dem Krieg nahmen die Repressionen auf die aufrechte Demokratin dermaßen zu, dass sie 1948 mit ihrer Familie in den Westen floh. In Nürnberg unterrichtete sie zunächst am musischen Labenwolf-Gymnasium und ging 1956 an das Konservatorium, wo Thieme zwanzig Jahre Musiktheorie lehrte. Von den Anfängen 1951 an engagierte sie sich für die Internationale Orgelwoche Nürnberg.

Insofern ist es folgerichtig, dass im heutigen ION-Mittagskonzert mit der Choralfantasie «Verleih uns Frieden gnädiglich« an Thieme gedacht wird. Ihre Frontkriegserfahrung samt anschließender Kriegsgefangenschaft haben Thieme zu einer vehementen Pazifistin reifen lassen. Dass Thieme Soldatendienste leisten musste, hängt damit zusammen, dass sie als Karl zur Welt kam und erst nach ihrer Pensionierung 1974 den Mut fand, eine Geschlechtsumwandlung durchführen zu lassen. «Kein Ding sieht so aus, wie es ist«, pflegte sie mit Wilhelm Busch diesen inneren und äußeren Wandlungsprozess zu kommentieren.

Viele Nürnberger Musiker, darunter der Hans-Sachs-Chor oder Lorenzkantor Walter Körner, haben sich für Thiemes weitreichendes Schaffen eingesetzt, in dem die Vokalmusik dominierte. Ihren oft kühnen Harmonien fehlt es aber nie an Sanglichkeit und Textdeutlichkeit, wie etwa in ihren Nelly-Sachs-Motetten oder im «Requiem«.