Nimmermehr IV: In Islands Wüste werden Ängste wahr

20.9.2016, 15:38 Uhr
Im vierten Teil unserer Horrorliteratur-Kolumne "Nimmermehr" geht es um "Hochland" des isländischen Autors Steinar Bragi.

© Benedikt Beck (Illustration) Im vierten Teil unserer Horrorliteratur-Kolumne "Nimmermehr" geht es um "Hochland" des isländischen Autors Steinar Bragi.

Über "Hochland" zu schreiben, heißt: Verraten. Weil der isländische Autor Steinar Bragi mit seinem Buch eines der verstörendsten Werke der letzten Jahre geschaffen hat, dessen ganze Kraft sich erst auf den letzten Seiten entfaltet. Ein Halbsatz zu viel kann schon den ganzen dunklen Zauber auflösen, der diesen Roman ausmacht. Das Ende ist der Schlüssel zum Verstehen. Oder besser: Nichtverstehen. Denn Realität und Phantastik verschieben sich hier mehr und mehr, um in die Zwischenwelt zu führen.

Was davor passiert? Vier Freunde verunglücken im isländischen Hochland mit ihrem Auto. Ihr gemeinsamer Ausflug endet in einer Hausmauer. Abseits der Zivilisation kommen sie im Nebel von der Straße ab. Und der Wahnsinn beginnt.

Denn jedes Selbstbild der Charaktere lässt der 41-jährige Bragi zerbrechen. Zuerst tauchen nur feine Risse auf der Oberfläche auf, bis ein Schlag kommt, alles in Trümmern liegt. Hrafn und Egill müssen ihre Vergangenheit verarbeiten, Vigdìs das Leben ohne ihre Mutter, Anna das Leben mit ihrer Mutter. Alle tragen sie ihre Wunden mit sich herum und wollen sie verbergen. Die vier Freunde halten sich schon längst nicht mehr aus. Der Ausflug, ein Fehler. Zumindest darauf könnten sie sich mehr oder weniger einigen, würden sie miteinander sprechen.

Doch nach dem Unfall sitzen sie in dem Haus fest, in das sie mit ihrem Auto gefahren sind. Ein altes Paar lebt hier, der Mann dement, die Frau merkwürdig reserviert. Das Haus verbarrikadieren die Alten in der Nacht, als hätten sie Angst, dass etwas eindringen könnte, als wenn in dieser Wüste Islands etwas Böses lauern würde. Trotzdem versuchen die vier Freunde dort durchzukommen, weiterzuziehen.

Nimmermehr IV: In Islands Wüste werden Ängste wahr

© DVA/PR

Aber sie laufen im Kreis, in ihrer eigenen Hölle. Oder wie Anna es beobachtet: "Ihre Freunde wanderten durch die Sandwüste und kehrten verändert zurück – kam das nicht in den Volksmärchen vor?" Kam es. Und Steinar Bragi versteht es, diese Sagen und Gestalten für sich zu nutzen. Jeder Charakter steigt in seine eigene Biographie ab, in diese Version des Lebens, die er oder sie sich hier selbst zurechtgelegt hat, um in ihr unterzugehen. Dabei helfen Füchse und Teufel, tote Rentiere und geheime Zimmer. Daneben spielen verkorkste Biographien und auch die Finanzkrise eine Rolle, die Realität als eigener Moloch des Irrsinns. Schauerroman trifft Sage, Gegenwartsroman den Horror. Jegliche Rettung außer Reichweite.

Jedes Detail wäre zu viel, würde die Geschichte schon andeuten, ihr Ende, ihre verschiedenen Wege. Ein passender Vergleich: Shirley Jacksons Klassiker "Spuk in Hill House", auch wenn die US-Autorin noch subtiler zu Werke ging als Bragi. Der Irrsinn schlägt sich beim Isländer nie in der Sprache wieder, stattdessen stehen klare Sätze der Phantastik gegenüber, die sich mehr und mehr ausbreiten. Erzählen gegen die Einöde, erzählen gegen den Tod.

Bragi lenkt so geschickt ab, leitet die Aufmerksamkeit stark auf das Haus, auf seine Bewohner. Die Dunkelheit und ihre Gestalten dienen ihm ebenfalls nur als Statisten für das eigentliche Grauen, das seinen Roman durchzieht, das zum einzigen konsequenten Ende dieser Geschichte führt.

Dieser Roman ist ein Geheimnis, eine eigene Sage, die sich nicht entschlüsseln, die Monster und Trauma auftauchen und wieder verschwinden lässt. Es ist nicht die Geschichte, sondern die Charaktere, die Atmosphäre, das Unbehagen, die dieses Buch so besonders machen. Ohne zu viel zu verraten: "Hochland" gehört zu den besten Romanen der Horrorliteratur der letzten Jahre.

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