Durststreik der Flüchtlinge: Zwei Frauen in ärztlicher Behandlung

9.7.2014, 13:26 Uhr
Durststreik der Flüchtlinge: Zwei Frauen in ärztlicher Behandlung

© Eduard Weigert

Fuad Yesuf Yemal liegt viel, im Zelt hat er seinen Schlafsack ausgebreitet, von unten wärmt nur eine Holzpalette, die mit Pappe abgedeckt wurde. Manchmal läuft er ein paar Schritte, er soll sich bewegen, hat der Arzt gesagt. Doch schnell wird es anstrengend, der Kopf pocht, die Beine fühlen sich wie Wackelpudding an. „Ich bin schwach.“ Fuad Yesuf Yemal hat seit Samstagfrüh nichts mehr gegessen, seit gestern 9 Uhr auch nichts mehr getrunken. Soeben hat der Arzt Blutdruck gemessen, sich die Schleimhäute angeschaut. „Alles noch in Ordnung“, sagt Dr. Jörg Seiler. „Doch bei diesem warmen Wetter kann sich das schnell ändern.“

Knapp 20 Flüchtlinge — Männer und Frauen — sind am Nürnberger Hallplatz in den Hungerstreik getreten. Es ist, sagen sie, ihre letzte Chance, auf sich und ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Die Flüchtlinge wollen eine Abschaffung der Residenzpflicht, die sie an einen bestimmten Regierungsbezirk bindet. Sie wollen keine Essenspakete mehr — etwas, das im Freistaat eigentlich schon beschlossen wurde, oft aber wegen langfristiger Verträge mit Catering-Firmen nicht umgesetzt werden kann. Und sie möchten vor allem eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommen. „Dafür kämpfen wir“, sagt Fuad Yesuf Yemal.

Rettungsdienst musste anrücken

Erste medizinische Folgen sind bereits zu vermelden: Der Hunger- und Durststreik führte am Mittwochmittag dazu, dass der Rettungsdienst anrücken musste, weil zwei Frauen über gesundheitliche Probleme klagten. Die Sanitäter diagnostizierten einen stark gesunkenen Blutzuckerspiegel.

Aus dem Nürnberger Rathaus heißt es unterdessen, dass sämtliche Verantwortlichen der Stadt zusammentreten wollen, um an einer Lösung des Problems zu arbeiten.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fühlt sich durch den Hungerstreik erpresst. „Bei diesen Demonstranten sehen wir einen gewissen Grad der Radikalisierung, und dieser Form der Radikalisierung kann ich nichts entgegnen“, sagt Manfred Schmidt, Präsident des Bamf. Es wird nicht der letzte Protest dieser Art gewesen sein, glaubt er. „Wir müssen uns auf ähnliche Aktionen auch in Zukunft einstellen.“ Doch auch dann, sagt er, werde sich seine Behörde nicht unter Druck setzen lassen. „Wir haben rechtlich geregelte Verfahren in Deutschland, und an die müssen wir uns halten.“, betont Manfred Schmidt, Präsident des Bamf. Seine Behörde könne nicht eine Gruppe von Flüchtlinge bevorzugt behandeln, denn das sei auch unfair den Tausendenen gegenüber, die auf ihre Verfahren warteten.

Und doch gesteht Schmidt ein, dass im deutschen Asylsystem nicht alles rundläuft. Augenscheinlichstes Symptom ist die massive Überfüllung der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen in Zirndorf und München. Nachdem Flüchtlingsverbände schon vor Monaten auf die schwierige Lage hingewiesen hatten, drängt nun auch das bayerische Kabinett darauf, dass weitere Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffen werden — möglichst noch vor der Sommerpause sollen die Standorte feststehen. Zudem sollen die Verfahrensabläufe etwa durch zügigere Gesundheitsuntersuchungen optimiert werden. Ende des Jahres soll zumindest ein Lager in Deggendorf eröffnet werden, wenige Monate später eines in Regensburg folgen.

Zahlen werden stark steigen

Schon jetzt wissen Experten, dass sich die Lage bis dahin weiter zuspitzen wird: Traditionell steigen die Asylbewerberzahlen in der zweiten Jahreshälfte. 2014 wurden bis Mai 62.000 Anträge gestellt, bis Ende des Jahres werden es nach Schätzungen des Bamf 200.000 werden. „Die Unterbringungssituation wird sich bundesweit weiter verschärfen“, sagt Schmidt.

Eine erste Lösung sieht Schmidt in der bereits vom Bundestag beschlossenen Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“: Zehntausende sogenannter Armutsflüchtlinge, die jedes Jahr aus diesen Ländern kommen, sollen demnach schneller abgeschoben werden können. Dadurch würden Kapazitäten für die Bearbeitung anderer Fälle frei, kalkuliert Schmidt.

Doch noch muss am Freitag der Bundesrat zustimmen; die Grünen haben schon signalisiert, das Gesetz abzulehnen, auch in den Reihen der SPD gibt es viele Kritiker. „Wenn sich der Bundesrat gegen das Gesetz entscheiden sollte, müssen wir ernsthaft anfangen, uns Gedanken zu machen“, sagt Schmidt. Denn obwohl aktuell 300 neue Sachbearbeiter eingestellt werden, könnten sich die Verfahren wegen der zunehmenden Antragsflut weiter verzögern. Schon jetzt müssen Flüchtlinge aus Afghanistan und Iran im Schnitt zwölf Monate ausharren, bis sie ihren Bescheid bekommen.

Die meisten Flüchtlinge am Hallplatz haben das Verfahren durchlaufen, wurden abgelehnt, klagten vor Gericht und scheiterten. „Wir haben nichts zu verlieren“, sagt Fuad Yesuf Yemal. Glaubt er daran, mit dem Hungerstreik etwas zu erreichen? Der 24-Jährige zuckt mit den Schultern. „Wir müssen es versuchen.“

Dieser Artikel wurde um 13.26 Uhr aktualisiert.