Wie Wolfgang P. den Umgang mit Reichsbürgern veränderte

19.10.2018, 06:00 Uhr
Ein besonders bizarres Beispiel für die krude Ideologie der "Reichsbürger" war das kleine Reich von Peter Fitzek, der sich selbst zum "König von Deutschland" gekrönt hatte. Später wurde er zu langen Haftstrafen verurteilt.

© Foto: Jan Woitas/dpa Ein besonders bizarres Beispiel für die krude Ideologie der "Reichsbürger" war das kleine Reich von Peter Fitzek, der sich selbst zum "König von Deutschland" gekrönt hatte. Später wurde er zu langen Haftstrafen verurteilt.

"Regierungsbezirk Wolfgang. Mein Wort ist hier Gesetz!" steht auf einem Schild am Briefkasten, die Grenze zu seinem "Hoheitsgebiet" hat der Hauseigentümer mit gelber Farbe markiert, neben seinem Haus in einem beschaulichen Wohngebiet in Georgensgmünd (Landkreis Roth) flattert eine Fahne mit seinem Familienwappen im Wind.

Seine Nachbarn haben Wolfgang P., der mittlerweile wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, als einen "eigentlich umgänglichen Menschen" erlebt, der nur ungemütlich wird, wenn Mitarbeiter des Landratsamtes die ordnungsgemäße Verwahrung seiner über 30 Schusswaffen kontrollieren wollen. Nach mehreren erfolglosen Ortsterminen bei dem als Vermögensberater und Kampfsportlehrer tätigen "Reichsbürger" fordern die Beamten Amtshilfe bei der Polizei an, um einen Durchsuchungsbeschluss zu vollziehen.

Am Morgen des 19. Oktober 2016 dringen mehrere SEK-Beamte in das Haus des damals 49-Jährigen ein, der sofort das Feuer eröffnet. Wolfgang P. schießt durch eine geschlossene Tür, ein 32-jähriger Polizist wird mehrmals getroffen und erliegt in der Nacht seinen Verletzungen.

Warnung vor Verharmlosung

Wenige Stunden nach dem Schusswechsel warnt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei einer Pressekonferenz vor einer Verharmlosung der "Reichsbürger". Auch wenn nicht alle Anhänger dieser sehr heterogenen Bewegung extremistisch oder gewaltbereit seien, handle es sich nicht nur um eine Vereinigung von "ein paar Spinnern".

Diese Erkenntnis kam ziemlich spät, findet Katharina Schulze. Anfang 2016 hatte die innenpolitische Sprecherin der Grünen eine Anfrage an das Innenministerium wegen der stetig wachsenden und immer selbstbewusster auftretenden "Reichsbürger"-Bewegung gestellt. "Ich war geschockt, wie massiv die CSU-Staatsregierung das Problem zu diesem Zeitpunkt unterschätzt hat", sagt die mögliche neue Oppositionsführerin im Landtag.

Vor dem Polizistenmord in Georgensgmünd standen keine genauen Daten und Statistiken über die Zahl der "Reichsbürger" im Freistaat und deren Aktivitäten zur Verfügung. Auch die aktenkundigen Gesetzesverstöße der Szene wurden nicht zentral erfasst. Begründung: Die "Reichsbürger" sind keine geschlossene Bewegung, sondern eher ein Milieu mit einer Patchwork-Ideologie aus Verschwörungstheorien, Esoterik, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus.

200 SEK-Beamte im Einsatz

Und dieses Milieu wirkt oft so verschroben, dass es sich bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend unter dem Radar der staatlichen Ordnungsbehörden bewegt. So kann zum Beispiel der Geschäftsmann Peter Fitzek, der Deutschland in den Grenzen von 1937 wiederherstellen will, lange Zeit unbehelligt in einer bizarren Parallelwelt am Rande des sachsen-anhaltinischen Wittenberg leben und wirken. 2012 lässt sich der gelernte Koch vor Hunderten von zahlenden Gästen zum neuen "König von Deutschland" krönen. Staat und Polizei haben die Szene im Blick.

Ebenfalls in Sachsen-Anhalt gründet der "Reichsbürger" Adrian Ursache auf dem Grundstück seiner Schwiegereltern den Scheinstaat "Ur", doch dann wird dieses Areal zwangsversteigert und im August 2016 zwangsgeräumt. Rund 200 SEK-Beamten sind dabei im Einsatz, während der Räumung kommt es zu einem Schusswechsel. Ursache feuert mit einem Revolver auf einen Polizisten und verletzt ihn am Hals. Der "Reichsbürger" wird ebenfalls angeschossen und schwebt zeitweise in Lebensgefahr.

Spektakulärer Vorfall 

Der spektakuläre Vorfall rückt diese staatsfeindliche Bewegung erstmals ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit, und wenige Wochen später sorgt dann die Bluttat von Georgensgmünd für einen bundesweiten Weckruf. Verbindungen zwischen "Reichsbürgern" und der rechtsextremistischen Szene werden aufgedeckt, sowohl auf Bundes- als auch auf bayerischer Ebene wird die Szene fortan intensiv vom Verfassungsschutz beobachtet, eine bundesweite Koordinierungsgruppe wird gegründet.

In den folgenden Monaten kommen immer mehr beunruhigende Details ans Licht. Zum Beispiel, dass Wolfgang P. zu den Unterstützern von Adrian Ursache zählte und persönlichen Kontakt zu Polizisten in der Region hatte. Die Szene ist offensichtlich besser vernetzt als bisher angenommen.

18.000 Personen in der Szene

Besonders verstörend: Bei internen Untersuchungen kommt heraus, dass es auch in den Reihen der bayerischen Polizei Personen gibt, die der "Reichsbürger"-Bewegung nahestehen. Ein Beamter im gehobenen Polizeivollzugsdienst der Kollegen ausbildet, spricht zum Beispiel auf einem Internet-Portal vom Fortbestehen des Reiches und tritt bei einer Veranstaltung der besagten "Heimatgemeinde Chiemgau" als Redner auf. Ein anderer Polizist gibt bei einer Verwaltungsbehörde ein Schreiben ab, in dem er ganz offen seine Anhängerschaft zu dieser Gruppierung bekundet und sich vom deutschen Rechtsstaat distanziert.

Bundesweit werden derzeit etwa 18.000 Personen zur Szene gezählt. Mindestens 900, so schätzt das Bundesamt für Verfassungsschutz, verkehren auch in Neonazi-Kreisen. Rund 75 Prozent der als "Reichsbürger" identifizierten Menschen sind männlich, mehr als die Hälfte sind 50 Jahre oder älter. Besonders gefährlich ist, dass viele Vertreter dieser Bewegung eine Leidenschaft für Waffen haben. Von einem kleinen Teil droht nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes (BKA) "äußerste Gewalt bis hin zu terroristischen Aktionen".