Beschneidung im Klassenzimmer

10.12.2012, 10:00 Uhr
Beschneidung im Klassenzimmer

© Matejka

Im Grundgesetz treffen in der Sache zwei Grundrechte aufeinander: Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Religionsfreiheit. Welches Recht wiegt mehr? Ein Gesetz soll dies nun regeln. Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, dass Eltern eine Beschneidung aus religiösen Gründen veranlassen dürfen, wenn diese von einem ausgebildeten Arzt und mit einer Schmerzbehandlung durchgeführt wird. Ein Gegenentwurf fordert, die Beschneidung erst zu erlauben, wenn das Kind 14 Jahre alt ist und sich selbst dazu entschließt.

Was sagen Schüler dazu? Die Extra-Redaktion hat in der Nürnberger Mittelschule am Hummelsteiner Weg eine Diskussion veranstaltet. Beteiligt waren Schüler und Schülerinnen der 7b mit Klassleiterin Gerda Reuß, Dr. Karl Bodenschatz, der Chefarzt der Kinderchirurgie am Nürnberger Südklinikum, Fikret Bilir von der Eyüp-Sultan-Moschee in Nürnberg und Barbara Ameling, die Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes Nürnberg.

Was ist überhaupt eine Beschneidung, und warum wird sie durchgeführt? Um die Schüler zu diesem Thema zu informieren, hat Dr. Karl Bodenschatz, Chef der Kinderchirurgie am Nürnberger Südklinikum, eine Präsentation mit Bildern mitgebracht. „Es gibt zwei Gründe für Beschneidungen“, sagt der Arzt: medizinische und rituelle.

Der Kinderchirurg möchte die Schüler aufklären, wann er ein Messer an die Vorhaut eines Jungen anlegt. Er deutet auf Bilder, die die Vorhaut des Penis mit Talg-Ansammlungen zeigt. „Das ist ganz normal und geht beim Waschen weg. Viele Leute sind trotzdem besorgt und denken, dass die Vorhaut abgeschnitten werden muss.“

Weiterhin sei es auch normal, dass die „Vorhaut und die Eichel verklebt sind. Das dient zum Schutz der Eichel, ist nicht krankhaft. Bis zur Pubertät löst sich diese Verklebung“, erklärt der Arzt und zeigt auf ein Foto, auf dem die Vorhaut eindeutig zu eng ist und der Urin nicht richtig ablaufen kann. Auf weiteren Bildern schnürt die Vorhaut die Eichel ab, es sieht schmerzhaft aus. Die Schüler verziehen ihre Gesichter. „Was ist zu tun?“, fragt Dr. Bodenschatz. Hier erweitern Ärzte die Vorhaut mit einem Schnitt oder entfernen sie.

„Bei Neugeborenen verwenden wir eine Art Glocke aus Kunststoff, die vorne auf den Penis draufgesetzt wird, woraufhin die Vorhaut abstirbt“, sagt der Kinderchirurg. Bei älteren Kindern würden Klemmen, ein scharfes Messer und eine Schere benutzt. An einer Vollnarkose oder lokalen Betäubung führe allerdings kein Weg vorbei. Es wird zwar bei Beschneidungen außerhalb der Klinik manchmal ein Gel verwendet, das angeblich den Penis betäubt. Das tut es aber nicht, weiß Dr. Bodenschatz und erklärt, dass man davon ausgehen muss, dass Säuglinge die gleichen Schmerzen empfinden wie Erwachsene, sich nur anders ausdrücken.

Probleme beim Pinkeln

Mit der Beschneidung sei allerdings das Leiden noch nicht ausgestanden. Durchschnittlich gibt es bei vier Prozent der Beschnittenen Probleme: „Es kann zu Engstellen im Bereich der Harnröhre kommen, so dass die Jungen Probleme beim Pinkeln haben, oder zu Narben, Verwachsungen und Entzündungen.“

Ein Thema, das Schülerin Ala mehr interessiert. Neugierig auf eine Antwort erzählt sie die Geschichte ihres zweijährigen Bruders, der vor fünf Wochen beschnitten wurde: „Der Penis ist seitdem ganz dick geworden und rot. Er hat fürchterliche Schmerzen und kann gar nicht laufen.“

Das sei mit ein Grund, warum die Muslimin ihre Kinder nicht beschneiden lassen will. Sie sieht das ganz klar als Körperverletzung und hat darüber mit ihrem Vater auch schon heftig gestritten. Dr. Bodenschatz ist erstaunt, weil Beschneidungen üblicherweise sehr gut verheilen würden. Bis zu zehn Tage Schmerzen seien normal – aber nicht fünf Wochen. Das bestätigt auch Schüler Malik, der als Sechsjähriger beschnitten wurde.

Eine Komplikation war auch der Auslöser für den Prozess, in dem das Urteil des Kölner Gerichts gefallen war. „Jetzt sind alle unsicher, ob Beschneidungen legal oder illegal sind. Wir brauchen ein Gesetz, das die Beschneidung regelt“, sagt Barbara Ameling vom Kinderschutzbund.

Sie stehe auf der Seite der Kinder – und dachte immer: „Wir verbieten die Beschneidung, weil es Körperverletzung ist, fertig!“ Aber so einfach ist es nicht. Die Religionen sollten auch respektiert werden. „Am liebsten wäre mir, dass Kinder mit 14 Jahren entscheiden, ob sie beschnitten werden wollen“, erklärt Barbara Ameling.

Doch im Judentum ist es Brauch, Säuglinge am achten Tag zu beschneiden. Das wäre dann eine Straftat. „Beschneidung ist und bleibt Körperverletzung. Dennoch sollten die Eltern, die aus religiösen Gründen ihr Kind fachgerecht und unter guter Schmerzbehandlung beschneiden lassen, nicht eingesperrt werden. Ein Beratungsgespräch sollte verpflichtend sein.“ Diese Haltung vertritt der Deutsche Kinderschutzbund.

„Wenn Beschneidung verboten werden würde, wäre das kein Grund für Muslime oder Juden, ihren Brauch nicht mehr zu leben“, sagt Fikret Bilir vom Vorstand der Nürnberger Ditib-Gemeinde, der als Zehnjähriger zu Hause von einem türkischen „Arzt“ beschnitten wurde, der zu diesem Zweck durch Deutschland reiste.

„Wir möchten eine Beschneidung lieber von Ärzten im Krankenhaus machen lassen, als von einem Beschneider im Hinterzimmer. In der Klinik kann die Hygiene besser eingehalten werden, und man vermeidet, dass Keime in die Wunde kommen“, macht der Muslim seinen Standpunkt deutlich.

„Braucht man die Vorhaut überhaupt?“, möchte er von Dr. Bodenschatz wissen. Der Kinderchirurg bestätigt: „Sie hat ihren Sinn, sonst wäre sie in der Evolutionsgeschichte längst verschwunden.“ Ohne Vorhaut würden die Berührungsempfindlichkeit der Eichel und das Sexualempfinden abnehmen. Auch die Hautveränderung mache womöglich Probleme.

Nicht im Koran

Die Schüler wollen vom Vorstandsmitglied der Ditib-Moschee natürlich genau wissen, wo die Beschneidung im Koran steht. Einige Siebtklässler sind der Meinung, dass man sich ja nicht an alles darin halten müsse. Die Antwort von Fikret Bilir überrascht jedoch: „Das steht im heiligen Buch nicht so drin. Es handelt sich um eine Handlungsweise, die Muslime ihrem Religionsstifter Mohammed nachmachen, der ohne Vorhaut auf die Welt kam. Das ist auch ein Unterschied zum Judentum, wo die Beschneidung ein Gebot Gottes ist.“

Auch unbeschnittene Muslime dürften demnach ihren Glauben leben und die Moschee besuchen. Es gibt heute in allen Religionen Menschen, die „moderner“ mit ihrem Glauben umgehen – und den Brauch der Beschneidung nicht mehr vollziehen, weil sie ihren Kindern Schmerzen und Komplikationen ersparen wollen und ihnen die Entscheidung überlassen.

Die oft genannten hygienischen Gründe sind heute auch kaum nachvollziehbar. Es gibt Wasser und jeder kann sich täglich waschen. „Der Ideenwechsel sollte aber aus der Religion selbst kommen. Das ist nicht unsere Aufgabe“, sagt Dr. Bodenschatz. Es sei nur wichtig, dass Beschneidungen sach- und fachgerecht und möglichst mit geringem Leiden durchgeführt werden.

Schülerin Kassandra ist am Ende der Diskussion sichtlich verwirrt und bittet um eine Pause. Der Bundestag hat es da nicht so einfach. Die Politiker müssen am Mittwoch eine Entscheidung fällen: Haben Kinderrechte oder die Religionsfreiheit mehr Wert?

 

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