Die moderne Physik sät große Zweifel am Urknall

27.7.2015, 17:42 Uhr
Die moderne Physik sät große Zweifel am Urknall

© Numazawa

Herr Prof. Thiemann, was war ein zentraler Punkt, den Sie auf der Konferenz besprochen haben?

Thiemann: Eine der Hauptstoßrichtungen, in die die Forschung geht, ist die Quantenkosmologie. Das ist der Versuch, die Quantentheorie mit der Physik des gesamten Universums zu verbinden. Ein Aspekt dabei ist der Urknall und die Theorie, dass es ihn gar nicht gegeben hat. Diese Aussage wird ständig weiter untermauert. Das Universum hat es nach dieser Theorie schon vor dem Urknall gegeben. Es hat sich zusammengezogen auf ein endliches Volumen und sich dann wieder ausgebreitet. Allerdings sind noch viele Fragen offen, so dass noch nicht endgülig gesagt werden kann, ob es den Urknall gegeben hat oder nicht.

 

Sie forschen auf dem Gebiet der Quantengravitation, die versucht, die Quantentheorie mit der Relativitätstheorie zu verbinden. Warum ist das so wichtig?

Thiemann: Die Wissenschaft hat immer dann große Sprünge gemacht, wenn sie versucht hat, Inkonsistenzen – also Widersprüche – in der Natur aufzuklären. Sowohl die Quantentheorie als auch die Relativitätstheorie stoßen an ihre Grenzen, wenn man mit ihnen alles erklären will. Wenn wir die Theorie erweitern, ergeben sich mehr Effekte und Naturphänomene, die uns zwar nicht sofort nutzen, aber weitreichende Konsequenzen haben. Ein Beispiel ist die Frage des Urknalls. Wenn sich die Theorie bewahrheitet, dass es den gar nicht gegeben hat, dann müssen die Lehrbücher umgeschrieben werden.

 

2015 wird die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein 100 Jahre alt. Was macht sie so bedeutsam für das Verständnis unserer Welt?

Thiemann: Die Allgemeine Relativitätstheorie ist eine sehr erfolgreiche Theorie der Gravitation – also der Schwerkraft – und sie hilft uns, auf immensen Skalenunterschieden, vom kleinen Planetensystem bis hin zum ganzen Universum, unsere Welt zu beschreiben und zu verstehen. Bis zu Einsteins Entdeckung galt das Newtonsche Gravitationsgesetz als allgemein anerkannt. Seine Theorie funktioniert in vielerlei Hinsicht auch gut, aber es gab Sachverhalte, bei denen Newtons Gesetz versagte. Zum Beispiel müssten sich nach Newtons Theorie alle Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen. Merkur aber weicht davon ab: Er bewegt sich auf einer Ellipse, die sich wiederum um sich selbst dreht. Dies konnte Newton nicht erklären.

 

Was war das Revolutionäre an Einstein?

Thiemann: Er stellte sich die Schwerkraft nicht mehr als Kraft vor, bei der – übertragen auf unser Planetensystem – die Sonne quasi wie mit Fäden an den Planeten zieht. Sondern er erklärte die Gravitation als geometrisches Objekt. Denken Sie sich ein Segeltuch, das gespannt wird und in dessen Mitte eine Stahlkugel liegt. Die Stahlkugel drückt eine Kuhle in das Segeltuch – und zwar umso tiefer, je höher die Masse der Kugel ist. Würde man nun kleine Bälle auf das Segeltuch legen, würden sie sich auf die Mitte zubewegen – und zwar umso schneller und unaufhaltsamer, je tiefer die Kuhle ist. Die Raumzeit verhält sich – nach Einstein – genauso: Die Geometrie wird überall dort, wo Materie ist, gekrümmt – und die Stärke der Krümmung entwickelt sich proportional zur Massendichte, also Masse pro Volumen.

 

Dennoch scheint Einstein Erkenntnislücken offenzulassen. Welche?

Thiemann: Die Allgemeine Relativitätstheorie sagt quasi ihr eigenes Versagen voraus, und zwar indem sie sogenannte „Singularitäten“ beschreibt: Punkte in der Raumzeit, an denen die Krümmung unendlich würde, weil die Massendichte unendlich ist. Im Volksmund nennt man solche Singularitäten Schwarze Löcher – schwarz, weil dort eine unendlich große Gravitation herrscht, die nicht einmal Licht entweichen lässt. Und damit stößt die Einsteinsche Theorie an ihre Grenzen: Immer dann, wenn in physikalischen Gleichungen plötzlich Werte auftauchen, die unendlich sind, haben wir – so die bisherigen Beobachtungen in der Physik – den Gültigkeitsbereich einer Theorie überspannt. Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass es tatsächlich unendliche Dinge gäbe.

Wo können wir die Relativitätstheorie und die Quantentheorie im Alltag beobachten?

Thiemann: Ohne die Relativitätstheorie würden GPS-Geräte nicht so genaue Daten liefern. Das Globale-Positionierungs-System (GPS) basiert auf der Ermittlung von Laufzeiten von Signalen zwischen Satelliten und Empfängern, zum Beispiel Autofahrern. Damit das funktioniert, muss die Uhr des Empfängers möglichst synchron laufen mit der des Satelliten, der ständig seine eigene Uhrzeit und Position aussendet. Aber Uhren gehen auf der Erdoberfläche nach der Art langsamer als im Satellitenorbit, wo die Gravitation schwächer ist, ein sogenannter Dilatationseffekt. Würde man den nicht berücksichtigen, würden sich täglich Positionierungsfehler von mehr als einem Kilometer anhäufen, was für den Autofahrer dann nicht mehr hilfreich ist.

 

Noch ein Beispiel?

Thiemann: Computer basieren auf den elektronischen Eigenschaften von sogenannten Halbleitern, die maßgeblich durch die Quantentheorie bestimmt werden. Es hat schon vor der Halbleiterelektronik Computer gegeben, sie waren aber riesig und haben mehrere Stockwerke umfasst. Ein Smartphone würde es also ohne die Quantentheorie nicht geben.

 

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