"Mein Herz tut weh": Pinola wollte bleiben, durfte aber nicht

11.6.2015, 19:22 Uhr

© Sportfoto Zink

Dass er den Kampf gegen die Tränen nicht gewinnen würde, ahnte Javier Pinola schon vorher, er musste heftig schlucken beim Blick in die Nordkurve – dass es Abschiedstränen sein würden, konnte da aber noch keiner ahnen.

Jetzt weiß es Javier Horacio Pinola. Er ist 32 Jahre alt, der Gang in die Kurve vor zwei Wochen, nach dem finalen Saisonspiel gegen Aalen, war sein letzter als aktiver Nürnberger Profi im Frankenstadion, in dem er für eine Dekade die linke Außenbahn des Fußballplatzes auf eine Weise beackert hatte, dass ihm vom ersten Tag an die Herzen zuflogen.

Nein, sagt Javier Pinola jetzt, "nein, mein Freund, ich bereue nichts, keinen Moment – was die Menschen hier für mich getan haben, war so unheimlich schön, das werde ich nie vergessen". Gerade hat er Juan Ignacio, den jüngeren Sohn, aus dem Kindergarten abgeholt, beide Buben haben Freunde gefunden in Nürnberg, die kleine Tochter kam 2014 zur Welt.

Auch sie sollte hier aufwachsen. Es werde jetzt in der Familie ein paar Tränen geben, sagt Pinola, "jetzt leiden wir alle" – jetzt, da die zehn Jahre vorüber sind. "Mein Herz tut weh", sagt Javier Pinola ein paar Stunden, nachdem er erfahren hat, dass Nürnberg die Zukunft ohne den Verteidiger aus Buenos Aires plant, "ich kann das alles noch gar nicht richtig verstehen".

Das Ende dieser besonderen Beziehung ist erstaunlich trivial, es ist ein Ende, wie es Jahr für Jahr unendlich viele gibt. Der Club hatte Pinola vor zwei Wochen einen neuen Vertrag angeboten, zu deutlich reduzierten Bezügen, Pinola erbat sich Bedenkzeit und machte seinerseits einen Vorschlag – einen forschen, wie er selbst einräumt, wie das eben so geht im Geschäft Profifußball. "Wir können verhandeln, das ist normal", sagte er, so etwa sei das gemeint gewesen.

Aber der Club wollte nicht verhandeln; bis zum vergangenen Freitagabend, sagt Pinola, habe er sich erklären sollen – was er dann tat und das Angebot doch noch akzeptieren wollte, vielleicht sogar etwas reumütig, den Eindruck jedenfalls hatten sie im Club, und abwegig scheint das nicht. "Mir ging es doch nicht um Geld", sagt Pinola, "ich habe schon vor einem Jahr auf Geld verzichtet, jetzt wollte ich nur bleiben" – aber jetzt war es zu spät, "sie dachten wohl, dass wir uns nicht einigen könnten", überlegt Pinola, und vielleicht dachte er, dass eine solche Herzensbeziehung selbst im Geschäft Profifußball nach anderen Spielregeln funktioniert.

"Zwei Wochen Bedenkzeit sind doch nicht viel"

"Zwei Wochen Bedenkzeit sind doch nicht so viel nach zehn Jahren", sagt Pinola, aber es klingt noch nicht einmal wie ein Vorwurf, eher wie eine Frage. Für die Antwort hatten sich Sportvorstand Martin Bader und Wolfgang Wolf, der Fußball-Abteilungsleiter, fast vier Stunden Zeit genommen – und dem Publikumsliebling erklärt, dass die seine abgelaufen sei und man mit dem 28 Jahre alten Laszlo Sepsi die Zukunft plane.

Noch immer klingt das alles eher wie ein Missverständnis, aber es gibt keinen Weg zurück mehr. Trainer René Weiler habe "eine Alternative gefordert, nachdem Pinola das erste Angebot des Vereins nicht angenommen hatte", erklärt Wolfgang Wolf; im Fußball drängt die Zeit immer, "das Gesamtpaket bei Sepsi hat uns sehr überzeugt, wir mussten planen, das wusste Pino", aber, das sagt Wolf auch: "Mir hat es aufrichtig leid getan – für Pino und für den Club, natürlich tut das weh, auch mir, es ist für beide Seiten hart."

Wolf, damals der Trainer, war es, der Pinola im Sommer 2005 nach Nürnberg holte, es sollte, nach einem kurzen Engagement bei Atletico Madrid, der zweite Anlauf in Europa werden, diesmal wollte Pinola alles richtig machen – die Kultur verstehen, wie er sagte, die Menschen, die Sprache, "eine Heimat finden".

Das Video zum Pinola-Aus in Kooperation mit frankenfernsehen.tv

Er fand sie, und es begann "die schönste Zeit in unserem Leben", wie Pinola jetzt sagt. In Nürnberg wurde er Familienvater, DFB-Pokalsieger und argentinischer Nationalspieler. Es wurden aufregende Jahre, ein Abstieg, ein Aufstieg, noch ein Abstieg – trotz lukrativer Angebote von Spitzenklubs wie Schalke oder Leverkusen blieb Pinola Nürnberg treu, man sah ihn hinreißend spielen oder verzweifelt, wenn er sich schuldig fühlte, das war immer wieder der Fall. Er wolle den Leuten doch etwas zurückgeben für ihre Zuneigung, das hat er oft gesagt. "Etwas gutzumachen", sagte Pinola nach dem Abstieg 2014, habe man, er unterschrieb als erster einen neuen Vertrag – ehe sich das Team doch in alle Winde zerstreute.

"Vieles hat nicht gestimmt nach dem Abstieg", sagt Pinola, "auch bei mir nicht, ich weiß das", aber die jüngsten Monate, findet er, hätten doch wieder Hoffnung gemacht – wieder einmal auch dank Pinola, der sich seine Form zurückerkämpfte wie so oft und der "jetzt dem Club noch einmal helfen wollte", wie er sagt: "Ich kann mir noch überhaupt nicht vorstellen, wie es ist, hier wegzugehen".

Seine Zukunft? "Ich weiß es noch nicht", sagt Pinola, aber "in ein, zwei, drei Jahren", überlegt er, könne man sich vielleicht wiedersehen; er sei wie ein Freund verabschiedet worden, "ich hoffe, die Tür steht offen" – wie einst für Marek Mintal, der nach seinem kurzen Karriereherbst bei Hansa Rostock zum Club zurückkehrte. Niemals geht man so ganz.

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