Terror von rechts: Das große Versagen der Behörden

20.4.2018, 06:00 Uhr
Die Taten des NSU hielten Deutschland jahrelang in Atem: Am 9. Juni 2005 ist der Imbissbesitzer Ismail Yaþar ermordet worden.

© Roland Fengler Die Taten des NSU hielten Deutschland jahrelang in Atem: Am 9. Juni 2005 ist der Imbissbesitzer Ismail Yaþar ermordet worden.

Sie platzierten Bomben und Sprengsätze, raubten Banken aus, richteten mit der Ceska neun ausländische Mitbürger und eine Polizistin hin. Doch sie hinterließen kaum Spuren, keine Bekennerschreiben. Die Rechtsterroristen in Deutschland blieben über mehr als ein Jahrzehnt hinweg ein Phantom. Erst als Beate Zschäpe Medien, darunter den Nürnberger Nachrichten, im Jahr 2011 die zynische Paulchen-Panther-CD zukommen ließ, erfuhr die Öffentlichkeit, wer den Staat, seine pluralistische Gesellschaft und seine demokratischen Prinzipien attackiert hatte.

Wahnwitzige Idee

"Der nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz - Taten statt Worte", hieß es in diesem Bekenner-Video. Nicht lange fackeln, sondern zuschlagen: Mit brutaler Entschlossenheit und Ausdauer hatte der NSU ungestört sein Ziel verfolgen können, an einem "ausländerfreien" Deutschland zu arbeiten und seine wahnwitzige Idee eines Gesellschaftssystems nach NS-Vorbild zu propagieren.

Man muss heute von einem Staatsversagen sprechen, weil seine Organe nicht in der Lage waren, diese Welle der Gewalt zu verhindern. Denn längst mussten die Behörden wissen, dass sich die rechte Szene in schlagkräftige, vernetzte Zellen aufgesplittet hatte und den "führerlosen Widerstand" erproben wollte. Mehr als 30 V-Männer hatten die 16 Verfassungsschutzämter und nachrichtendienstlichen Abteilungen in den Ländern in all den Jahren nahe an das im Untergrund lebende Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schleusen können.

In Nürnberg hielt sich bereits in den 1990er Jahren mit Kai Dalek ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes auf, der engen Kontakt zu den braunen Gesellen in den Szenetreffs hielt. Wie Recherchen von Nürnberger Nachrichten und Bayerischem Rundfunk ergeben haben, wurde in Nürnberg, der von Neonazis immer noch gefeierten "Stadt der Reichsparteitage", erstmals über konkrete Anschlagsziele gesprochen. Schon drei Jahre vor dem Abtauchen des Trios.

Dalek war zweifellos mehr als ein einfacher "Vertrauensmann" der Behörde gewesen, er genießt heute noch ihren Schutz. Dalek galt ob seiner Durchsetzungskraft und seiner radikalen Denkweise, auch wegen seiner computertechnischen Fertigkeiten, als "Gauleiter von Franken", der die auseinanderdriftenden Rechten zusammenhalten sollte.

Es herrschte "Bombenstimmung"

Es ist davon auszugehen, dass er Kenntnisse vom Geschehen hatte, von der "Bombenstimmung", die sich ab 1997 im rechtsradikalen Milieu zusammenbraute und in Schreiben an Polizei und Zeitungen auch so benannt wurde. Quasi als Warnung. Wie zum Beweis explodierte 1999 in einer Kneipe in der Nürnberger Scheurlstraße eine Rohrbombe. Doch wieder konnten sich die Ermittler nicht erklären, wer die Täter waren.

Wo sind die Informationen versackt, die Dalek und all die anderen - auch Tino Brandt arbeitete bekanntlich als V-Mann für den Geheimdienst - für reichlich Geld des Steuerzahlers geliefert haben? Oder haben sie etwa nicht das Erhoffte herangeschafft, wurden aber satt bezahlt? Warum geht die Bundesanwaltschaft immer noch vom NSU als Trio aus, wo es doch klar ist, dass hier eine ganze Bewegung am Werk war?

Erklärungen auf all diese Fragen könnten wiederum die Ämter liefern, deren Aufgabe es ist, die Verfassung zu schützen. Stattdessen schweigen sie weiter und schützen sich in erster Linie selbst. Sogar der frühere Kripo-Chef Wolfgang Geier, der in Nürnberg die Ermittlungen in der Mordserie führte, klagte, "von oben", also von den Geheimdiensten, sei nichts gekommen. Und dem Münchner DNA-Experten Konrad Pitz untersagte ein Beamter des Nürnberger Präsidiums explizit, nach Spuren aus der "rechten Schiene" zu suchen.

Dass Unzuverlässigkeiten, Unzulänglichkeiten und Blockadehaltung besonders in den Verfassungsschutzbehörden nicht ausgemerzt sind, zeigt der Fall Anis Amri, der im Dezember 2016 auf dem Berliner Weihnachtsmarkt mit einem Lkw zwölf Menschen ermordete. Auch in seinem Fall wussten Geheimdienste von seiner Radikalisierung - gaben die Infos aber nicht komplett weiter.

Es ist also höchste Zeit, über eine Neustrukturierung der Verfassungsschutzbehörden nachzudenken, auch über die Auflösung ineffektiver Einheiten. Der bayerische Geheimdienst hat bis heute nichts Nennenswertes zur Enttarnung des UnterstützerNetzwerkes beigetragen, das die Morde in Nürnberg erst ermöglicht hat.

Viel zu viele Fragen sind ungeklärt. Deshalb braucht es dringend einen zweiten Untersuchungsausschuss im Münchner Landtag. Auch der Bundestag muss seine Untersuchungsarbeit fortführen und die Vorgänge aufarbeiten. Ansätze gibt es genug, vor allem in der hiesigen Szene. Das Versagen staatlicher Einrichtungen muss auf den Prüfstand: Gerade braut sich wieder etwas zusammen. Vor drei Tagen haben Ermittler Razzien bei Rechtsextremisten in drei Bundesländern durchgeführt. Die Beschuldigten sollen sich unter dem Namen "Nordadler" zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben.

 

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