Ciao, mein Lago Maggiore

21.7.2018, 08:00 Uhr
Ciao, mein Lago Maggiore

© Gudrun Bayer

Eigentlich sollte ich gerade aufrecht stehen, die Balance halten und mich mit kräftigen Schüben übers Wasser befördern. Daniel Klöckner, der Trainer, hat gerade noch erklärt, wie das funktioniert, dieses Stand Up Paddling, das es seit einiger Zeit an nahezu jedem Strand gibt, also auch am Lago Maggiore. "Achtet nicht aufs Gleichgewicht", sagte der 49-Jährige. "Achtet darauf, wie ihr das Paddel haltet, dann kommt das andere von alleine."

Dank des aufblasbaren Anfängerbretts klappte das erst mal überraschend gut. Bis die Oberschenkelmuskeln zittrig wurden und ein in der Ferne vorbeifahrendes Motorboot für Wellen sorgte. Na ja, Wellchen eher. Trotzdem: Um nicht ins kühle Wasser zu fallen, begab ich mich vorsichtig auf die Knie. Und dann der Bequemlichkeit halber auf den Rücken.

Wir kennen uns gut, der Lago Maggiore und ich. Seit 26 Jahren schon. Immer wieder hat es mich hierhergezogen, an diese 200 Quadratkilometer große Wasserfläche, die zu 80 Prozent in Oberitalien und zu 20 Prozent im Schweizer Kanton Tessin liegt. An deren Ufer Palmen wachsen und Villen neben Fischerhäusern stehen. Die in Deutschland seltsamerweise das Image als Rentnerurlaubsziel weg hat und dabei doch so viele Möglichkeiten bietet, Sport zu treiben. Wandern, Rennrad- oder Mountainbikefahren, Surfen, Segeln, Kajakfahren – die Gebirgsflüsse ringsherum gelten unter Wildwasserpaddlern als schönstes Gebiet Europas –, Wasserskifahren, Paragliden, Motorradfahren...

Eine Woche Dauer-Lego

Eine Motorradtour war es auch, die mich beim ersten Mal hierhergeführt hatte. Geheiratet habe ich hier dann; meinen Schwangerschaftsbauch im Seewasser gekühlt; den Kinderwagen an der Uferpromenade so lange entlang geschoben, bis das schreiende Baby drin endlich eingeschlafen war; später in einer Ferienwohnung eine Woche Dauer-Lego gespielt, weil sich schwere Wolken zwischen den Bergen eingenistet hatten und den Urlaub komplett verregneten.

Die Ruhe habe ich hier vor allem gesucht. Kein Sport, keine Besichtigungstouren, einfach nur Nichtstun. Oft auch zum Jahreswechsel, dann stets bei klarstem Himmel und Sonnenschein; in einer Zeit, in der die Einheimischen jeden der raren Gäste grüßen, als wäre er einer der ihren.

Und dann starb mein Mann. Ich dachte, ich wäre fertig mit meinem Lago (an dessen deutschen Namen Langensee ich mich nie gewöhnen kann). Müsste ihn abhaken als Teil der Vergangenheit.

Ciao, mein Lago Maggiore

© Gudrun Bayer

Und jetzt bin ich doch wieder hier, konnte es nicht lassen, wage einen Neuanfang. Mit einer Reise, bei der ich alles anders mache als früher. Zum ersten Mal Stand Up Paddling probiere. Zum ersten Mal im schicken Solebad von Locarno entspanne. Zum ersten Mal auf dem Ticino im Kanu fahre. Zum ersten Mal einen Ausflug an den Luganersee unternehme. Zum ersten Mal in einer Grotto esse; einer dieser Schankwirtschaften, die sich früher vor Höhlen entwickelt haben, in denen Lebensmittel und Wein gelagert wurden.

Vor allem eine Reise, in der ich zum ersten Mal das Quartier im Tessin aufschlage und sie ganz in der Schweiz verbringe, der teureren Lago-Seite.

Die hohen Preise – ein Thema, das die Tourismusverantwortlichen in der Schweiz seit dem "Frankenschock" im Januar 2015, also der Aufwertung der Währung um satte 20 Prozent gegenüber dem Euro, nicht mehr hören können. Und dennoch darf es nicht fehlen in einem Artikel über Urlaub in der Schweiz. Seit Mitte 2017 übrigens schwächelt der Franken wieder etwas – gut für die Touristen.

Die Schweizer ackern außerdem mächtig, um das Währungsproblem für ihre Gäste ein wenig auszugleichen. Ein Beispiel: das Ticino Ticket, mit dem Urlauber, die in einem Hotel, einer Jugendherberge oder auf einem Campingplatz übernachten, mit allen Bussen und Bahnen im Tessin kostenlos fahren dürfen. Zusätzlich enthält es satte Ermäßigungen auf Schifffahrten und die Eintrittspreise in Museen.

Dolce Vita und schweizer Qualität

Trotzdem: Billigurlaub geht anders. Doch wer sich trotzdem fürs Tessin entscheidet, wird belohnt mit einer Mischung aus italienischem Dolce Vita und Schweizer Qualität. Belohnt von Menschen wie Gabriella Monfredini Rigiani.

Die 56-Jährige setzt sich in ihrem Heimatort Melide am Luganersee dafür ein, die Tradition der Cantinas wiederzubeleben. Sie funktionierten einst so: Vor den Keller im Erdgeschoss eines Wohnhauses wurden ein Tisch und Stühle oder Bänke aufgestellt und dort die im Keller gelagerten Lebensmittel direkt gegessen und getrunken. "In Melide gab es viele solcher Cantinas", sagt Gabriella und zeigt Beispiele beim Stadtrundgang, "leider werden die meisten heute als Garagen genutzt".

Sie dagegen hat ihren Keller in eine Art Gastraum umgebaut und kocht dort nach Voranmeldung mit Freundinnen für Fremde. Das Menü richtet sich danach, was die Fischer von Melide gerade so aus den Gewässern der Umgebung herausgezogen haben. Den Wein serviert sie in traditionellen Bogias; in Mini-Krügen, aus denen direkt getrunken wird.

Gabriella Monfredini Rigiani gehört zu den Gastgeberinnen von Swiss Tavolata: Landfrauen und Bäuerinnen haben sich dort zusammengeschlossen, um Gästen Küche aus heimischen Produkten näher zu bringen. Zu Gabriellas Standard-Menü gehören Pastetchen mit Fischfilets aus dem Lago Ceresio an Zitronen-Ricotta-Sauce oder Tessiner Maifisch mit Polenta. Gerichte, die nach einem perfekten Urlaub schmecken

Es regnet doch noch nach meiner Paddel-Premiere am Strand von Locarno. Mein Lago zickt also ein bisschen beim Neustart unserer Beziehung. Mein alter Bekannter, der mir so vertraut ist und den ich jetzt doch nochmal ganz anders kennengelernt habe. Auf unsere gemeinsame Zukunft!

Mehr Informationen:
Tessin Tourismus, www.ticino.ch, der diese Reise unterstützt hat.

Verwandte Themen


Keine Kommentare