Club-Präsident und Baumeister: Gerd Schmelzer wird 70

3.6.2021, 05:45 Uhr
Kurz vor dem runden Geburtstag: Gerd Schmelzer im Zukunftsmuseum des neuen Augustinerhofs.

© e-arc-tmp-20210520_135640-6.jpg, NN Kurz vor dem runden Geburtstag: Gerd Schmelzer im Zukunftsmuseum des neuen Augustinerhofs.

Die Geschichte mit der Tilly-Kaserne zum Beispiel. Gerd Schmelzer war dort Sport-Offizier, obwohl er eigentlich gar nicht zur Bundeswehr wollte. Lieber wäre er nach Äthiopien gegangen, als Entwicklungshelfer, aber das erlaubte seine Mutter nicht, damals war ein junger Mann erst mit 21 Jahren volljährig. Als Zeitsoldat lernte er dann Dieter Nüssing kennen, Kurt Geinzer, "wunderbare Spieler", wie Gerd Schmelzer schwärmt, junge wehrpflichtige Fußballer, die beim 1. FC Nürnberg berühmt werden sollten.

Schmelzer und Gerland oder auch: ein sehr junger Präsident und der Tiger.

Schmelzer und Gerland oder auch: ein sehr junger Präsident und der Tiger. © imago

Später wurde Gerd Schmelzer Präsident dieses Vereins, der jüngste Präsident, den es je in der Bundesliga gab. Noch später kaufte er das Gelände der Tilly-Kaserne an der Nürnberger Gustav-Adolf-Straße und machte es zu einem modernen Stadtquartier, da war er als Immobilienentwickler schon berühmter als die meisten der vielen Fußballer, mit denen er immer noch befreundet ist.

Autos putzen für fünf Mark

Oder die Geschichte mit den Autos. Gerd Schmelzer war Student, "Bafög-Student", wie er sagt, als er bei Otto Ley in der Rothenburger Straße nachfragte, ob er sich in dessen kleiner Werkstatt etwas dazuverdienen könne. Immer freitags und samstags putzte er dann die Autos, für fünf Mark pro Stunde. Gemeinsam mit einem Freund kaufte Gerd Schmelzer die Werkstatt, als Ley sie anbot, und wurde zum größten Citroen-Händler der Region. Otto Ley war als junger Mann ein berühmter Motorradrennfahrer, er fuhr eine Triumph, Jahrzehnte später übernahm Gerd Schmelzer das Gelände der alten Triumph-Adler-Fabrik und baute es zum Mittelstands-Zentrum um.

"Es ist verrückt, es sind so viele Geschichten, jede steht für sich selbst, und am Ende gehören sie doch zusammen", sagt Gerd Schmelzer in seinem Büro am Wöhrder See. Dort hat er den alten Milchhof-Verwaltungsbau renoviert, er liebt das Haus, die Bauhaus-Elemente, das Unmaskierte, Offene, schnörkellos Schöne – es passt, wird man später denken, gut zu Gerd Schmelzer.

"Ich habe Freude am Leben"

"Haben Sie Zeit?", fragt er, Zeit zum Reden, zum Spaziergang durch die Stadt? Gerd Schmelzer könnte auch an diesem Tag Geschäfte machen. Es gibt genug Arbeit; wann er wohl zurückkommt, fragt seine Tochter Yasmin, eine promovierte Wirtschaftspsychologin. Viele Stunden später wird er einen schönen Satz sagen. "Ich habe Freude am Leben" - man glaubt, es ihm anzusehen, wenn er auf die Pegnitz blickt, durchs Fenster der Brasserie im neuen Augustinerhof, die demnächst eröffnen wird.

Er erzählt nicht von sich, nicht vom Nürnberger Jahrhundertprojekt des Augustinerhofs, das er nun vollendet hat; im Zukunftsmuseum, einer Zweigstelle des Deutschen Museums, stehen schon die ersten Exponate. Das Hotel wird sein Sohn Omar leiten. Gerd Schmelzer bestellt eine Flasche Sekt, er erzählt von den jungen Menschen, die hier das Restaurant führen werden.

Mit der Ente zum Wirtshaus

"Tolle Leute", sagt er, "mit lauter ganz eigenen Geschichten", Lebensgeschichten, die noch am Anfang stehen. Die künftigen Köche schauen sich gerade die Küche an, auf der Theke stehen noch Umzugskartons. Etwas Neues beginnt in lebhafter Vorfreude. "Ich wünsche ihnen so sehr", sagt Gerd Schmelzer, "dass es gut wird, erfolgreich" - er kennt das Gefühl, er sieht kurz so aus, wie man sich den ganz jungen Gerd Schmelzer vorstellt, für den immer wieder etwas Neues begann, der als Student Lastwagen nach Syrien, Jordanien und in den Libanon fuhr, der als Citroen-Händler selbst einen CV2, eine Ente, durch die Stadt chauffierte und spürte, dass das ein Lebensgefühl sein könnte.

Als er in der Langen Gasse 12 die erste eigene Wohnung fand, pachtete er die leer stehende Kneipe darunter spontan gleich mit. Daraus wurde das "Audimax", studentisch-französisches Flair, ein In-Lokal. "Ich habe tausend Toasts Hawaii zubereitet und die Hälfte davon verbrennen lassen, wenn ich das Bier gezapft habe", sagt Gerd Schmelzer.

Aufstieg beim Handball

Auch diese Geschichte ging weiter, Stammgäste waren die Handballer von Tuspo Nürnberg, Schmelzer lernte Arno Hamburger kennen, den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde und Handball-Mäzen - gemeinsam führten sie Tuspo über drei Aufstiege 1981 in die Bundesliga. "Ich war gerührt", sagt Schmelzer, "als mir der große Arno Hamburger das Du angeboten hat."

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Da war alles schon ganz anders gekommen, als es sich seine geliebten Eltern vorgestellt hatten. Sie waren Landwirte in Ketteldorf bei Neuendettelsau in Westmittelfranken, 178 Einwohner, der Vater, Wagnermeister, betrieb nebenbei eine kleine Schreinerei. Die Grundschule in Großhaslach, alle vier Klassen in einem Zimmer, die Realschule in Heilsbronn und, "weil der Vater es wollte", eine Lehre bei der Raiffeisen-Zentralbank in Nürnberg - "da war ich zum ersten Mal in der Stadt" - standen am Anfang dieses Lebenswegs, von dem die Eltern glaubten, er würde Gerd Schmelzer und seinen vier Jahre jüngeren Bruder Helmut zurückführen ins Dorf.

Kindheit im Dorf

Er mag das Dorf, das freie, selbstbestimmte Leben der Eltern hat ihn geprägt. Dass er nicht zurückkehren würde, wusste er aber schon damals. Dem Fachabitur über den zweiten Bildungsweg schloss sich das Betriebswirtschaftsstudium in Nürnberg an, die Abenteuer im Orient, die Autos, die Kneipe, der Handball. Die ganze Lust auf so ein Leben: "Ich war nie ein Mensch, der noch nachts um zehn im Büro sitzt", sagt Gerd Schmelzer beim Sekt im Augustinerhof, "Beruf, Freizeit, Freundschaften - das lag immer nahe beieinander." Mit seinem Bruder wohnt er seit 40 Jahren unter einem Dach.

Gerd Schmelzer war 32 Jahre alt, als er sich, nach den Erfolgen beim Handball, vom 1. FC Nürnberg anwerben ließ, als Stellvertreter von Michael A. Roth, dem Präsidenten. "Er hatte mir den Verein so dargestellt, wie er war", sagt er heute. Als Roth dann zurücktrat, wurde Schmelzer 1983 zum Präsidenten des Vereins gewählt, für den er schon als Kind schwärmte. Und was "mit einem Totentanz", wie er sagt, mit einem unvermeidlichen Abstieg, begann, führte bis in den Europapokal - der Club schrieb Fußball-Geschichte, als der Präsident während einer internen Rebellion zu Trainer Heinz Höher hielt.

Der jüngste Präsident

Es ist bis heute eines der großen Kapitel der Bundesliga-Historie. Aus dem alten Städtischen Stadion wurde das moderne Frankenstadion, Gerd Schmelzer ließ das Vereinsgelände sanieren; Höhers junge Mannschaft, die fünf Nationalspieler hervorbrachte, wurde zur Attraktion, zum respektierten Herausforderer sogar von Bayern München. Mit Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer versteht er sich bis heute gut. Und der Präsident war ja selbst ein Star, jung, kühn, in erster Ehe verheiratet mit einer ehemaligen Kommilitonin aus Indonesien. Beim Versuch, das Familienleben privat zu halten, lernte Gerd Schmelzer unter ein paar Schmerzen, was es bedeuten kann, prominent zu sein.

Lehner und Schmelzer oder auch: eine Kulturreferentin, ein Unternehmer, ein Paar. 

Lehner und Schmelzer oder auch: eine Kulturreferentin, ein Unternehmer, ein Paar.  © Fengler

"Ich wollte nie der neureiche Aufsteiger sein", sagt er heute, sondern "der Gerd Schmelzer, der ein bisschen etwas bewegt und sich in dieser schönen Metropole eine Existenz aufgebaut hat". Es ist natürlich viel mehr geworden, er ist ein Gesicht der Stadt, seit über einem Vierteljahrhundert verheiratet mit Julia Lehner, der Kulturbürgermeisterin - ein Nürnberger "Phänomen", nannte die Süddeutsche Zeitung in einem großen Porträt das Ehepaar. Er bewundert die Arbeit seiner Frau.

Einfach der Gerd

Aber wenn Gerd Schmelzer heute sagt, er wisse gar nicht, "was das genau sein sollte, Erfolg", dann hat man nicht eine Sekunde den Eindruck, er kokettiere. Er ist charmant, aufmerksam, ein guter Erzähler, der Tiefe und Heiterkeit wunderbar verbinden kann, ein interessierter Zuhörer - und ein Mensch, der anderen gerne auf Augenhöhe begegnet, den Bauarbeitern im Augustinerhof, den jungen Leuten in der Brasserie. Der Gerd; das Du kommt ihm leicht über die Lippen, auf eine herzliche, einladende Weise.

"Ein Märchen", sagt er, hätte es beim Fußball werden können, am Ende zerrieb er sich darin - Missgunst, Eitelkeiten, Rivalitäten, er erlebte alles, was zu so einem Verein gehört, 1991 trat er zurück. Der Tod seines Vaters fiel in dieses Jahr, die Trennung von seiner ersten Frau, Gerd Schmelzer war auf einmal alleinerziehender Vater von Omar, Shalimar und Yasmin, damals zehn, acht und sechs Jahre alt - und führte die 1978 gegründete Alpha-Gruppe, sein da noch kleines, kaum bekanntes Immobilienunternehmen.

Leben formen aus Ruinen

"Ich bin ein schlechter Koch und hatte eine Kneipe, ich verstehe wenig von Technik und war Autohändler, ich war kein Fußballer, aber Club-Präsident", sagt er, "und zu Immobilien hatte ich auch keinen echten Bezug."

Die Alpha-Gruppe sollte das Stadtbild Nürnbergs prägen und aus Ruinen, vor denen andere zurückschreckten, Leben formen. Einen Draufgänger haben sie ihn genannt, mutig, visionär. Aber man kann sich leicht irren. "Wach und schnell", sagt Gerd Schmelzer, sei er wohl, "von rascher Auffassungsgabe", fleißig sowieso, er steckt voller Energie und Leidenschaft. "Aber ich habe oft Angst, Riesenrespekt, ich kenne Zweifel an Dingen, die ich tue." "Am Ende war ich nicht stark genug", sagt er über seine Ära beim Fußball - "aber es war gut so, ich musste mich ja ums Unternehmen kümmern."

Und jetzt noch die Lebkuchen

Alle drei Kinder hat er heute in der Alpha-Gruppe um sich, das fünfte Enkelkind ist unterwegs. Er zeigt ein Foto der ganzen großen Familie und die liebevoll gestaltete Zeitung, die ihm die Kinder zum 60. Geburtstag schenkten. Am 3. Juni wird er 70 Jahre alt, viele Geschichten, sagt Gerd Schmelzer, haben sich "zu einem doch relativ kontinuierlichen Leben verbunden", einem "vielleicht atypisch fränkischen", bloß: Nürnberg sollte die Heimat bleiben, für das Unternehmen, für ihn.

Die ihm von der Gesellschafterin Henriette Schmidt-Burkhardt testamentarisch angetragene Geschäftsführung des Traditionsbetriebs Lebkuchen-Schmidt übernahm er 2014 "als besondere Ehre und Verpflichtung", wie er sagt, er hat die Worte noch im Ohr: "Gerdla, pass mir auf die Schmidtla auf." So etwas rührt ihn, man kann Gerd Schmelzer als sehr dankbaren Menschen erleben. "Alleine erreichst du nichts", sagt er, "großartige Mitarbeiter sind das starke Rückgrat, der Antrieb, alles." Eine "Herzenssache" nennt er das Kindertheater "Pfütze", das er seit Jahrzehnten fördert. Die Arbeit des Roten Kreuzes, die er unterstützt, nennt er bewundernswert.

Schafkopfen mit Hans Meyer

"Es wäre Quatsch zu sagen, ich sei nicht ehrgeizig", überlegt er, "aber ich bin nicht erfolgsbesessen, und Geld war nie das tragende Motiv - ich will auch beim Schafkopf gewinnen." Da spielen sie um Cent-Beträge, eine Runde aus alten Freunden. Hans Meyer, der große Fußballtrainer, gehört dazu, der feinsinnige Journalist Klaus Schamberger, der Fürther Komiker Volker Heißmann, der ehemalige Regionalbischof Karl-Heinz Röhlin, mit dem er "auf den Spuren des Volkes Israel", wie er erzählt, durch das Heilige Land gelaufen ist.

Dass sie in Nachbardörfern aufgewachsen sind, haben sie erst da festgestellt, aber so ist es noch eine Geschichte, die sich in den Rahmen fügt. Er muss das Wort Dankbarkeit nicht verwenden, Gerd Schmelzer neigt nicht zu Pathos, aber sein Vater war auch Mesner in Ketteldorf. "Vielleicht", sagt er, "hat der liebe Gott alles ein bisschen mitgesteuert."

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