Erlanger Corona-Impfzentrum-Chef: "Nutzen überwiegt bei weitem"

17.3.2021, 12:30 Uhr
Erlanger Corona-Impfzentrum-Chef:

© Marwan Naamani/dpa

Astrazeneca sorgt seit seiner Zulassung in Deutschland für Debatten. Auch im Erlanger Corona-Impfzentrum gibt es seitdem immer wieder Nachfragen von Bürgern aus Erlangen und Erlangen-Höchstadt. Denn das Impfzentrum ist eine gemeinsame Einrichtung von Stadt und Landkreis unter der Federführung der Hugenottenstadt.

Nun aber, da Deutschland ebenso wie andere Länder die Verwendung des Präparats laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als "reine Vorsichtsmaßnahme" ausgesetzt hat, nimmt der Informationsbedarf zu: "Natürlich standen und stehen die Telefone unserer Hotline nicht still", erläutert der Sprecher der Stadt Erlangen, Christofer Zwanzig.

Die Mitarbeitenden der Hotline, die unter der Telefonnummer (0 91 31) 86 65 00 vor allem für die Anmeldung zuständig sind, hätten die Sprechzeit dafür extra verlängert. Die meisten Fragen beziehen sich darauf, wie es nun weitergeht.

Empfehlungen weitergegeben

Dabei wunderten sich die einen teilweise darüber, dass sie gleich zu einem neuen Termin eingeladen wurden, und seien erleichtert, wenn sie erfahren, dass bei dem Ersatztermin der Impfstoff von Biontech/Pfizer verabreicht wird, berichtet Zwanzig.

Andere wiederum fragten nach, wann mit einem Ersatztermin zu rechnen sei. "Natürlich", sagt der Stadtsprecher, "melden sich auch viele, die in den letzten Tagen mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft wurden und fragen nach, auf was sie nun besonders achten müssen".

Auch wenn die Hotline nicht für medizinische Fragen eingerichtet worden sei, werden die Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) weitergegeben. Demnach sollen sich Personen, die Astrazeneca erhalten haben und sich mehr als vier Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlen, etwa mit starken und anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen, einen Arzt aufsuchen.

Es war schließlich ebenjene Behörde für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel gewesen, die den vorläufigen Stopp empfohlen hatte. Bei der Analyse neuer Daten sehe man eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Thrombosen in Hirnvenen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit Astrazeneca, so die PEI-Experten.

Der vorläufige Stopp ist unter Experten umstritten, so nennt etwa der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Entscheidung einen Fehler. Wie sieht das der Ärztliche Leiter des Erlanger Impfzentrums, Hans Joachim Drossel? "Das Aussetzen der Astrazeneca-Impfungen ist eine sehr sicherheitsbetonte Entscheidung", antwortet er, "das Paul-Ehrlich-Institut ist sehr gründlich und transparent in der Überwachung nach der regulären Impfstoffzulassung." Jedem auch nur geringen Hinweis auf eine eventuelle Komplikation werde nachgegangen und die Sachlage wissenschaftlich geklärt.

Angesichts der dritten Welle der Pandemie hofft Drossel, dass die Sachlage "in Anbetracht der zum Glück wenigen Betroffenen rasch geklärt wird und wir weiter impfen können, gegebenenfalls mit entsprechend ergänzter Risikoaufklärung".

Drossel betont: "Der Nutzen der Impfung überwiegt meines Erachtens auch in dem Fall, dass die extrem seltene Nebenwirkung einer solchen Thrombose sich bestätigt." Bei der Verhütungs-Pille etwa würden in unserer Gesellschaft fast 1000fach höhere Thromboserisiken "ohne große Diskussion" hingenommen."

War der Facharzt für Laboratoriumsmedizin über das Aussetzen überrascht? Immerhin hatte der promovierte Mediziner sich auch in Interviews mit diesem Medienhaus für die Verwendung ausgesprochen, "Impfungen sind das Mittel im Kampf gegen die Pandemie. Das sieht man an der rückläufigen Zahl der Infektionen bei älteren Menschen in Deutschland. Und das sehen wir in anderen Ländern. Impfungen brauchen Vertrauen. Und Vertrauen braucht Transparenz", sagt Drossel.

Verteilung der drei Impfstoffe 

Deshalb sei es gut, dass den Fällen nun nachgegangen und die Impfung mit dem Impfstoff von Astrazeneca vorsichtshalber so lange ausgesetzt werde, bis die Daten umfassend bewertet seien, so Drossel. Die Europäische Arzneimittelbehörde will am Donnerstag über weitere Schritte entscheiden. Bisher verteilt sich das Serum im Erlanger Impfzentrum auf 73,3 Prozent Biontech/Pfizer, 24,9 Prozent Astrazeneca (erstmals verimpft ab KW 8) und 1,8 Prozent Moderna (ab KW 11).

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) indes weist am Tag nach dem Stopp bei einer Pressekonferenz auf steigende Corona-Zahlen und Inzidenzen hin; auch sei im Freistaat erkennbar, dass sich die britische Virusvariante "von Ost nach West" ins Land fräse. Der Anteil der Mutationen liege bereits bei fast 60 Prozent. Den Anstieg dieser Varianten registriert auch das Erlanger Uni-Klinikum.

So haben die dortigen Experten zwischen 1. und 10. März von 39 auswertbaren Proben 14 mit der britischen Variante gefunden, das sind 36 Prozent. Bei der von den Virusvarianten ausgehenden Gefahr müsse man unterscheiden, sagt der Direktor des Virologischen Instituts des Universitätsklinikums, Prof. Klaus Überla. "Eine kürzlich veröffentlichte britische Studie spricht dafür, dass auch die Sterblichkeit nach Infektion mit der britischen Variante höher ist als nach Infektion mit der bisher zirkulierenden Variante", betont er.

Das Infektionsgeschehen gebe keinen Anlass für Entspannung, betont Söder – und setzt beim Impfen neben den Impfzentren auf die Praxen. Wenn Astrazeneca wieder zugelassen werde, könne er sich vorstellen, es gleich zu den Hausärzten zu geben.

Große Bereitschaft

Dort zeige man eine große Bereitschaft, die Patienten zu impfen, sagt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Was aber, wenn sich jemand bereits im Internetportal Bayimco unter www.impfzentren.bayern.de vormerken ließ und sich nun doch, sobald es möglich ist, in einer Praxis impfen lassen will? "Diese Personen werden gebeten, ihre Registrierung in Bayimco zu löschen", rät die Sprecherin.

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