Frankens Ärzte warnen: "Nächste Eskalationsstufe" auf den Intensivstationen

23.3.2021, 10:56 Uhr
Seit Jahresbeginn war die Zahl der Intensivpatienten mit Covid 19 in Bayern kontinuierlich und deutlich gesunken. Doch seit dem Tiefststand am 7. März steigen die Zahlen wieder.

© Sven Hoppe, dpa Seit Jahresbeginn war die Zahl der Intensivpatienten mit Covid 19 in Bayern kontinuierlich und deutlich gesunken. Doch seit dem Tiefststand am 7. März steigen die Zahlen wieder.

Vor knapp zwei Wochen noch konnte man von einer langsamen Entlastung der Intensivstationen von Covid-19-Patienten träumen. Und mehr als das: Die Zahl der Corona-Intensivpatienten in Bayern hatte sich von 912 am 2. Januar auf 428 am 7. März reduziert.

"Das war schon eine gewisse Durchschnaufphase für uns. Die Intensivstationen waren aber immer noch voll belegt, weil es viele Nachholeffekte gab", sagt Dr. Manfred Wagner, Pandemiebeauftragter und Medizinischer Direktor des Klinikums Fürth. Es wurde wieder mehr operiert, ein "einigermaßen geordneter Betrieb" war laut Wagner allerdings wieder möglich.

Zahl der Corona-Intensivpatienten in Bayern steigt

Doch die Entspannung währte nur kurz. Zunächst sanken die Patientenzahlen nicht weiter, seit etwas über einer Woche steigen sie wieder deutlich an - mit der schon vorher zu erwartenden Verzögerung von zwei bis drei Wochen im Vergleich zu den allgemeinen Infektionszahlen. Bayernweit ist die Zahl der Covid-19-Intensivpatienten von 428 bereits wieder auf 518 gestiegen.

Während in Fürth vor einer Woche noch 12 bis 14 Covid-19-Patienten auf der Normal- und vier auf der Intensivstation registriert waren, sind es nun schon wieder 20 auf der Normal- und acht auf der Intensivstation. "Das liegt natürlich vor allem an der Ausbreitung der britischen Mutante", meint Wagner.

Vom bisherigen Höchststand von 68 Covid-19-Patienten am Fürther Klinikum ist man zwar noch ein ganzes Stück entfernt. Doch nur einer oder zwei Intensivpatienten mehr, und schon muss dort eine ganze Einheit von fünf Intensivbetten für Corona-Patienten umgewidmet werden. "Wir stehen kurz vor der nächsten Eskalationsstufe", verdeutlicht Wagner.


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In den Krankenhäusern des Rettungsdienstbereiches Nürnberg (Städte Nürnberg, Fürth, Erlangen, Landkreise Fürth, Nürnberger Land und Erlangen-Höchstadt) liegt die Zahl der Covid-19-Patienten momentan bei etwa einem Drittel der Behandlungszahlen während der zweiten Welle, bei den Intensivpatienten bei circa der Hälfte. Die Zahl der auf den Intensivstationen behandelten Patienten steigt leicht an, während die Zahl derer, die auf Normalstationen behandelt werden, eher gleichbleibt. Der Anteil der Intensivpatienten ist somit nun im Verhältnis höher. "Dies kann mit dem wachsenden und hohen Anteil der britischen Virusvariante zusammenhängen", meint Andreas Franke, Sprecher der Stadt Nürnberg.

Weniger Tote trotz vollen Intensivstationen?

Auch wenn die Intensivstationen wieder so belastet sein sollten wie während der zweiten Welle: Dass es dann genauso viele Tote gibt, ist damit nicht gesagt. Denn viele Ältere kamen zuvor gar nicht mehr auf die Intensivstationen, sie starben in Pflegeheimen oder auf Normalstationen. Viele davon hatten etwa die invasive Beatmung bewusst abgelehnt. Nur etwa 35 Prozent der Corona-Toten wurden auf Intensivstationen vermeldet.


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Durch die Impfung haben mittlerweile zumindest viele über 80-Jährige einen guten Schutz, die Zahl der Toten außerhalb der Intensivstationen könnte also deutlich sinken. "Ich könnte mir schon vorstellen, dass es weniger Tote gibt", bekräftigt auch Wagner. Bei der dritten Welle sei nun bereits zu erkennen, dass es deutlich weniger Einweisungen von über 80-Jährigen gebe als zuvor ohnehin schon.

Ein weiteres Problem für die Intensivstationen: Wenn die Inzidenzzahlen explodieren, werden wohl sehr viele 50- bis 75-Jährige dort landen. Dadurch könnte die Mortalitätsrate von bislang etwa 35 Prozent bei Corona-Intensivpatienten zwar etwas sinken, eine Arbeitsentlastung für die Krankenhäuser bringt das aber nicht. "Bei älteren Patienten entscheidet es sich schneller", erklärt Wagner. Sprich: Diese sind oft sehr schnell gestorben, während Jüngere deutlich länger auf den Intensivstationen verweilen und dort zuweilen wochenlang ein Bett beanspruchen.

"Natürlich haben Senioren das größte Risiko, schwer zu erkranken oder auch zu versterben. Aber wenn sich jüngere Menschen in großer Anzahl infizieren und das Infektionsgeschehen unkontrolliert weiterläuft, kommt es auch dort zu einer großen Zahl von Erkrankten und damit unweigerlich auch zu schweren Verläufen unter den Jüngeren", betont Professor Christian Bogdan, Leiter des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum Erlangen.

STIKO-Mitglied: "Theoretisch sind viele Öffnungen möglich"

Allerdings bleibt er trotz der hohen Infektionszahlen bei seiner Ansicht, dass unter kontrollierten Bedingungen Dienstleister mit Terminvergaben (wie Friseure) und kleine Einzelhandelsgeschäfte ohne Probleme öffnen könnten - und das mit äußerst geringem Risiko. "Theoretisch ist alles möglich, sofern die Menschen die Regeln einhalten, wenn sie also die vorgeschriebenen FFP2-Masken tragen, Händehygiene beachten und Abstand halten. Das Problem ist die Einhaltung der Regeln, vor allem in Arbeitspausen beim gemeinsamen Essen, im privaten Bereich oder bei Zusammenkünften anderer Art", verdeutlicht Bogdan.

Zu viele Menschen würden sich nicht an die Vorgaben halten, würden Masken nicht eng anliegend oder nur über den Mund tragen. Viele glaubten, mit einer FFP2-Maske könne man sich völlig ungezwungen und ohne Abstand bewegen.

"Die Diskussionen darüber, dass wir noch nicht genug Erkenntnisse oder Studien hätten, sind total irrwitzig und müßig. Es ist längst klar: Virusübertragungen gibt es dort, wo Hygienemaßnahmen nicht eingehalten werden. Wo sie eingehalten werden, haben auch die SARS-CoV-2-Varianten keine Chance", betont Bogdan. Der beste Beweis für die grundsätzliche Wirksamkeit der Hygienemaßnahmen seien die Kliniken, wo sich selbst die Mitarbeiter, die tagtäglich Covid-19-Patienten zu versorgen hatten, durch die ergriffenen Präventionsmaßnahmen erfolgreich vor einer Infektion schützten.

"Ein negativer Schnelltest ist kein Freifahrtschein"

Auch die Hoffnung vieler, mit Unmengen von Schnell- und Selbsttests mehr Freiheiten zu ermöglichen, sieht Bogdan sehr kritisch, da sich die Menschen in falscher Sicherheit wiegen. Selbst bei zwei durchgeführten Tests pro Woche gebe es noch genug Tage, über die man keine zuverlässige Aussage treffen könne - und genug unkorrekte Ergebnisse. "Ein negativer Schnelltest kann kein Freifahrtschein sein, am selben Abend ordentlich und ungeschützt Party zu machen. Dafür ist das Risiko einfach zu groß", betont Bogdan.

"Mit den Schnelltests von asymptomatischen Personen wird ein Riesenaufwand betrieben, um ein paar Infizierte zu finden - wobei bei den momentanen Inzidenzen die Zahl der falsch positiv Getesteten höher als die Zahl der richtig positiv Getesteten ist. Viel sinnvoller ist es, jeden Menschen mit beginnenden Symptomen und Zeichen einer Atemwegsinfektion sofort zu testen und bis zum Vorliegen eines endgültigen, bestätigten Testergebnisses zu isolieren", meint der Infektionsimmunologe.

Im zweiten Quartal könnte Impf-Priorisierung wegfallen

Ebenso müssten Geimpfte weiter Masken tragen und Abstand halten. "Unbedenklicher wird es erst, wenn etwa 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sind", meint Bogdan, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist. Bei Geimpften selbst gebe es zwar meist nur noch leichte oder asymptomatische Verläufe und die Viruslast ist reduziert, ein variabler Anteil von ihnen kann das Virus aber immer noch an Ungeimpfte weitergeben. "Erst wenn eine Person und ihr jeweiliges Gegenüber geimpft sind, sind beide vor einer schweren Covid-19-Erkrankung wirklich geschützt", erklärt Bogdan.

Als STIKO-Mitglied blickt er aber positiv auf die über 70 Millionen angekündigten Impfdosen für das zweite Quartal. "Wir sagen ganz klar: Die Priorisierung von bestimmten Gruppen gilt nur, solange es einen Impfstoffmangel gibt. Existiert dieser nicht mehr, fällt die Priorisierung weg."

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